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Mauern und Türme Ein Roman aus Bischofswerdas Vergangenheit Von Marie Hildegard Müller, Bischofswerda (Fortsetzung) „Weil es ein Todesurteil ist, das ich Ew. Bischöfl. Gnaden vorlege." „Mich schaudert. Mein erstes Todesurteil soll ich unter zeichnen und an einem Tage wie heute, der nichts als Sonne und Leben kennt? Worum handelt es sich?" Er überflog die ersten Buchstaben des Dokumentes. „Eine Magd?" Laut las er die unheilschweren Worte ab. Da sie bei obgedachtem Ernst von Miltitz zu Langenwolmsdorf ge- dienet und sich mit ihm, als einem Ehemanne, hat in einen Liebesbund eingelassen, auch endlich ihr neugeborenes Kind ermordet . . . „Ist das der Ernst von Miltitz, dem erst voriges Jahr m seiner Frau eiu Sohn geschenkt wurde?" „Derselbe." Der Bischof unterdrückte das harte Wort, das ihm aus dem Herzen auf die Zunge springen wollte. „Gesetzt, ich unterzeichne das Urteil, welches Gericht erwartet das Mädchen?" „Sie wird in einen Sack gesteckt und unter dem Galgen in der Wesenitz ertränkt werden." Der Bischof warf den Kopf zurück und stieß den Atem kurz aus. „Und der adelige Herr auf Langenwolmsdorf, der Ehe mann und Ehebrecher, wird wohlgemut übers Jahr wieder zur Taufe einladen?" Er wollte noch mehr sagen, besann sich aber, daß er mit seinem Kommissarius noch nicht so vertrant stand. „Ich sage Euch, daraus wird nichts." Er strich das Schreiben mit zwei dicken hastigen Strichen durch, daß Sie Tinte spritzte. „Das Urteil wird nicht vollstreckt werden." „Ich gebe Ew. Bischöfl. Gnaden zu bedenken, daß der Fall eines unvollstreckten Urteils gegen alles Herkommen ist und Aufsehen erregen wird." „Ich erachte es nicht meines Amtes, auf einen Men schen, der zu Boden gefallen ist, außer der unbarmherzigen Härte des Schicksals noch die Härte menschlichen Gerichts zu werfen," antwortete der Bischof würdevoll. „Wie soll ich dann das Verfahren beenden?" „Weist die Person auf zehn Jahre außer Landes, das ist Strafe und Erleichterung zugleich für die Sünderin!" Der Bischof langte nach einem umfangreichen Brief, auf dem ein Siegel von rotem Wachs glänzte. „Sieh da, das Bischofswerdaer Wappen. Aha — die Leineweber wollen ihr Handwerk bestätigt haben. Das könnt Ihr in der Kanzlei fertig machen lassen zusammen mit den Bestätigungen der Schuster und Böttcher in Stol pen. Habt Ihr die Akten bei der Hand? Gut. — Das bei geschlossene Schreiben des Bischofswerdaer Bürgermeisters beantworte ich persönlich. Sonst ist weiter nichts da?" Der Kommissarius verneinte und war entlassen. Allein geblieben, ordnete der Bischof eine Weile lässig die raschelnden Briefblätter und Schriftstücke, ohne seinem Tun sonderliche Aufmerksamkeit zu schenken. Der Brief Bürgermeister Tanners hatte nichts Bedeutendes enthalten, nur eine Feststellung früherer Verschreibungen. Doch das war genug gewesen, um das Bild des Mannes, den er nun Freund nennen mußte, wieder vor seine Augen zu rücken. Johannes liebte Bernhard Tanner, er achtete den hohen menschlichen Adel in diesem Manne nnd er fühlte, daß seine Freundschaft von großem Wert für ihn selbst war. An die sen Mann sich anlehnen, hieß ausruhen in einer großen Kraft. Und das brauchte Johannes von Haugwitz. Er wollte herrschen, jener aber, das ahnte er mehr noch als daß er es wußte, jener konnte herrschen. Aus diesem un eingestandenen Grunde suchte er Bernhard Tanners Freundschaft und war gerührt, daß sie ihm der ältere Mann von selbst entgegenbrachte. Ob er ihm den heimlichen Zwie spalt seiner Stellung bei Gelegenheit offenbarte? Der Bürgermeister mit seinem scharfen Blick für die Dinge der Welt und seiner rücksichtslosen Tatkraft würde vielleicht am besten wissen, ob Handeln und welches Handeln nötig sei. Doch nein, der Bischof verwarf den Gedanken schnell. Wie beschämend, wenn noch einer um seine Verlegenheit wußte. Komerstadt hatte ihm heute wehe genug getan. Zudem durfte der Bischofswerdaer Bürgermeister keinesfalls jetzt schon erfahren, wie sehr seine Seele zu dem evangelischen Glauben hinneigte. Tanner würde wohl nie seinen Glau ben wechseln können. Er gehörte zu denen, die gelobte Treue bis zur Hartnäckigkeit hielten. Und er selbst? Mein Gott, in welche Verwirrung war er gestürzt. Hatte er nicht bis jetzt sein Inneres rein gehalten und ge hütet vor gemeinem, niederträchtigem Wesen? Und nun spielte er doch ein falsches Spiel? Sein Blick glitt hinüber zum Bücherbrett, wo in unscheinbarem Gewände ein paar Bände von Luthers Schriften standen. Er hatte sie mit eige ner Hand hingestellt. War es nicht ganz undenkbar und ein bitterer Hohn, daß Luthers Bücher hier oben gerade an diesem Orte standen, von dem Luther doch gesagt hatte: Nur die Flegel auf dem Stolpen droben, die wollen sich nicht ergeben. — Doch nein — der Bischof schüttelte den kälten den Schatten ab, der ihn zu überfallen drohte. Sein Wollen war gut. Also würde er getrost den Weg gehen, den ihm das Schicksal vorzeichnete. War es denn ganz unmöglich, daß ein Diener der Kirche der neuen Religion nicht feind lich gegenüberstand, daß er mit dem frischen Strom des lauter quellenden Glaubens seiner Kirche, der uralten Kirche Roms, neue, lebendige Kraft zuführen wollte? Nimmermehr konnte das Verrat genannt werden. Nein — nein, schlaf ruhig in deiner Gruft drunten, alter, streit barer Bischof Nikolaus, dein Werk, das mühsam gehalten, soll nicht zerfallen, nichts soll abbröckeln von der Herrlich keit des Hochstiftes Meißen. Froh, mit seinen Zweifeln fertig geworden zu sein, trat der Bischof zum Fenster hinauf. Mittagssonne hing um den Turm, warf überallhin die blendenden Strahlen, daß es den Augen wehe tat. Nur mit Mühe konnte der Bischof die Straße erkennen, auf der Komerstadt gen Süden gezogen sein mußte. Bald würde sein Abgesandter Italien wieder grüßen dürfen. Das rauschende, berückende, von allen Kün sten verklärte, von allen Lastern vergiftete Leben in Nom würde um ihn fluten, wie es vor wenigen Monaten erst ihn selbst in seinen Strudel mitgerissen hatte. Beneidete er Komerstadt? Ehrlichen Mundes lächelte Johannes ein Nein! Er hatte drei Päpste zu Grabe geleiten helfen und wußte, daß man kurzlebig wurde in der glühenden Luft Italiens. Hier aber in der Heimat waren nach heißen Tagen die Nächte kühl,- die Wälder rauschten, wie war es doch gut jagen drüben in der schattigen Masseney! Und Fisch lein sprangen überall. Die zierlichen rotgetupften Forellen spielten in der Wesenitz zu Dutzenden. Selbst die schmale Letzsche, die sich unten nm den Berg wie ein silbernes Schnürchen wand, beherbergte diese munteren Geschöpfe. Wenn sich Johannes fragte, ob ihn die Liebe zur Heimat oder die Liebe zum Herrschen stärker hergezogen habe, so wußte er sich selbst keine Antwort zu geben. Aber er wußte, daß es hier gut Hausen war. Während er sich ans Fenster gelehnt dem trägen Mit tagszauber der Natur hingab, schoß ihm zum ersten Male wieder der Gedanke an Agnes durch den Kopf. Das war, als eine dünkelgefiederte Schwalbe an ihm vorbeistrich. Ohne sich Rechenschaft zu geben über sein Gefühl, erkannte er doch klar, daß es ihn erfreuen würde, ihre Stimme wie der zu hören, die weder tief noch hoch und doch sehr klingend