Volltext Seite (XML)
„Ich fürchte, ich fürchte, sie werden dich halten, mein Freund," sagte der Propst bekümmert. „Sachsens Kurfürst August ist nicht der Mann danach, sich bindende Zugeständ nisse machen zu lassen, ohne sie hernach bis ins letzte Tüpfel chen einzufordern. Johannes," er sprang auf und vertrat dem hin und wieder schreitenden Freund den Weg, „ich meine es ehrlich mit dir. Nicht in Zweifel und Sorgen will ich dich stürzen, nur klar erkennen sollst du, welche Schlin gen sich um deinen Fuß legen wollen. Ich tadele dich ja nicht, daß du die verhängnisvollen Verträge überhaupt ein gingest, die, wenn sie erfüllt würden, dich von vornherein deiner Würde nnd Macht beraubten. Ich weiß, daß du nicht aus Unverstand oder Verblendung jene trügerischen Be dingungen annahmst, sondern daß du einfach mußtest, wenn dn je hier residieren wolltest. Nur über Kurfürst Augusts Geneigtheit ging der Weg nach Stolpen, nnd kurfürstliche Geneigtheit muß man immer erkaufen. Allein die Stunde ist nun nicht mehr fern, da du vor die böse Entscheidung gestellt sein wirst, entweder dem Vertrage nachzukommen — das wäre eine Schmach gleicherweise für dich wie für das Hochstift, denn dann sänke der Hirtenstab in deiner Hand zum bloßen Kinderspielzeug herab — oder aber du kümmerst dich nicht um deine Verbindlichkeiten, dann hast dn den Kurfürsten sofort zum Feinde und das bedeutet Schaden bei jeder Gelegenheit. Hast du dir schon einmal überlegt, wie du dem allen aus dem Wege gehen magst? Den listreichen Kurfürsten noch überlisten, oder Gewalt gegen Gewalt setzen?" Der Bischof richtete sich hoch auf. „Nichts von alledem, ich werde meinen Weg gehen, wie ihn mein Gewissen mir weist, und mit jedem Schritt, den ich vorwärts tue auf diesem Wege, werden die Bedrängnisse eines nm das andere von selber zusammenfallen. Denn warum bestand der Kurfürst auf den Verträgen? Doch nur, weil er den neuen Glauben auch innerhalb des Hochstiftes schützen wollte, weil er fürchtete, seine Protestanten müß ten wieder so schlimmer Zeiten gewärtig sein wie unter Bischof Nikolaus. Jahr für Jahr meiner Herrschaft wird ihm deutlicher machen, welche Stellung ich selbst der evan gelischen Lehre gegenüber einnehme. Er wird dann gewiß nicht daran denken, auf seinen Verträgen zu bestehen. Gegen einen allzu päpstlichen Bischof richten sie sich, nicht gegen mich." — „So willst du das Ungeheuerliche wagen, ein Bischof der römischen Kirche und zugleich ein Schirmer protestan tischen Glaubens zu sein?" „Ja, Komerstadt, ich werde die schönen reinen Träume unserer jungen Mannesjahre zur Erfüllung bringen. Ich, der Kirchenfttrst, werde die Fackel der Wahrheit nicht er sticken, sondern sie mit eigner Hand von Haus zu Haus tragen helfen. Doch sind mir rechtswidrige Gewalt und jäher Umsturz ein Greuel. Ich will langsam vorgehen und der Zeit dabei das Beste überlassen. Die Machtstellung des Hochstiftes Meißen lasse ich jedoch nicht antasten. Meinen Bischofsstaat will und werde ich verwalten so gut als einer vor mir, darauf kannst du dich verlassen und der Kur fürst auch." „Ich hätte dir eine solche Entschiedenheit des Willens nie zngetrant," sprach der bedächtige Propst. „Um deiner Sache willen, die ja auch mich nicht gleichgültig läßt, freut es mich, das, du der Manu zu sei« scheinst, in diesen ver worrenen Zeiten das Schifflein Meißen ins richtige Fahr wasser zu lenken. Gott schenke dir immer guten Rat, Jo hannes." Er küßte und umarmte den Freund. „Nun will ich tun, was zunächst nötig ist, nämlich dir die päpstliche Bestätigungsbnlle aus Rom holen. Hast du das Vollmachtsschreiben für mich und dein Gesuch an den Heiligen Vater bereit liegen?" „Die Schreiber in der Kanzlei sind noch beim Aus fertigen. Mei» Hauptmann selbst wird dir das Ehrengeleit bis zur Grenze geben. Reise glücklich, mein Freund, ich danke dir für deine Dienste nnd bitte den Himmel um gute Rückkehr für dich." Der Bischof unterdrückte eine leichte Bewegung und schritt dem Propst voraus der Türe zu. Die beiden geist lichen Herren verließen den Raum und stiegen über die schön geschwungene dreifache Spindeltreppe hinunter in die Schloßkirche. Vor St. Barbaras Altar, unter dem ergreifen den steinernen Bilde des Gekreuzigten, knieten sie beide zu kurzer, schweigender Andacht nieder. Dann segnete der Bischof den Reisenden und netzte seine Stirn mit geweih tem Wasser. Draußen im Kapellenhof wartete schon der Schloßhaupt mann Melchior von Carlowitz mit seinen Reitern. Komer stadt ließ sich in den Sattel helfen. Der Bischof hob die Hand seinem Abgesandten zum Gruße. Die kleine Reiter schar setzte sich in Bewegung. Viermal mußten sich Roh und Reiter von einem Hof in den anderen durch enge hohe, den Hufschlag dröhnend widerhallende Torgewölbe zwängen, ehe sie endlich Hinterm Obertor am Hanewald ganz aus dem Bereich der Burg heraus waren und in die Gäßchen Stolpens einlenkten. Der Bischof lauschte dem verhallenden Lärm. Nicht lange blieb ihm Muße. Er wußte, sein Kommissarius war tete mit einem Stapel von Geschäften auf ihn, die erledigt werden mußten. Er begab sich in den Siebenspitzenturm, der in unbeholfener Form den siebenkantigen Pfeiler felsen nachgeahmt war, die das Schloß auf dem basaltenen Urgestein trugen, zum Teil sogar seine Mauern bildeten. Viele mühselige, ungleiche Stufen, die auch seinen spann kräftigen Gelenken beschwerlich fielen, mußte der Bischof steigen, ehe er seine Schreibstube erreichte. Drinnen war es um so behaglicher. Die kahlen Mauern verdeckte blankes braunes Getäfel, eine ganze Anzahl Bilder italienischer Maler hingen an den Wänden. Der riesige Kamin ließ ein Bangen vor unfreundlichen Tagen nicht aufkommen. Die einfarbig bunten Glasfenster sperrten die Außenwelt ab oder ließen sie in einem phantastischen Licht erscheinen. Jetzt standen sie weit offen, denn Sommermittagsglut senkte sich auf die Erde. Der Wind wendete ab und zu spielend ein Blatt des Buches um, das offen auf dem Lesepult in der Fensternische lag. Im innersten Winkel des Gemachs schimmerte das rote Licht des ewigen Lämpchens über dem Betpult. Ein silbernes Kruzifix und eine aus Elfenbein ge schnitzte Gottesmutter mit dem Kinde standen darauf, bei des edele Kunstwerke. Der Bischof liebte es, sich mit schönen erlesenen Dingen zu umgeben. Da war noch ein Schrank mit kostbar geschnitzten Türen. Wenn man genauer hin schaute, formte sich das unendlich verschlungene, doch nir gends in unschöner Verwirrung sich kreuzende Rankenwerk znr ausdrucksvollen Darstellung von Heiligengeschichten. Auf dem Estrich lagen zottig dicke Bärenfelle gebreitet. Ein Ruhepolster war von Teppichen überhangen. Geschnitzte Stühle standen umher, Lehnen und Armstützcn zu beque mem Ansruhen ausgeschweift. Am schweren, breitausladenden Tisch wartete der Kom missarius seines Gebieters. Er war ebenfalls ans sächsi schem Adel, Doktor beider Rechte und nächst dem Bischof der Höchste in der Verwaltung des Hochstiftes. »Was gibt es zu unterschreiben? Den Dank an den Propst von Naumburg? Gebt her! Der gute alte Julius Pflugk! Ich bin nun schon der zweite, den er zum Bischof von Meißen gewählt und dann geweiht hat. Da — halt, fügt dem Schreiben an den Dekan Pflugk noch bet, daß ich seinem Rat gefolgt bin und unverzüglich eine Aufnahme aller vom Bischof Nikolaus vou Carlowitz hier auf Stolpen nachgelassenen Bestände an geordnet habe. — Eine Truhe ist bereits den Carlowitz'schen Erben ausgehändigt worden; damit dürfte dann die Erbschafts angelegenheit für mich gänzlich geklärt und abgeschlossen sein. So. — Weiter. Warum macht Ihr nun gar so ein ernsthaftes Gesicht, Herr Kommissarius?" (Fortsetzung folgt.)