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284 Gberlauflher Heimatzeltung Är. itz Mauern und Türme Ein Roman aus Bischofswerdas Vergangenheit Bon Marie Hildegard Müller, Bischofswerda (Fortsetzung) „Dicht vor den Toren eurer Stadt, im Schutze eurer Mauern liegt der Hof, aus dem mein Geschlecht empor geblüht ist. Mein Urahn beschenkte mit frommen Legaten die Kirche dieser Stadt. Ihr wißt, daß er für ein paar Jahre sogar euer Stadtoberhaupt gewesen ist. Die Hang witze und die Stadt Bischofswerda haben immer zusammen gestanden in guter Nachbarschaft und haben einander aus geholfen in Zeiten der Not. Heute nun kommt sein Enkel und wird von euch willkommen geheißen als euer Bischof. Glaubet mir, mein Kommen an diesen Platz ist eine Heim kehr für mich und in euch grüße ich, was jedem Mann teuer ist, ich grüße meine Heimat." Johannes sprach noch mehr. Wie man es von seinem jugendlichen Temperament nicht anders erwarten konnte, flössen ihm die Worte lebhaft warm von den Lippen, wer bend und befehlend zugleich. Und die Glocke gab den Klang zurück, den er angeschla gen hatte. Keiner unter der Tischversammlung, der nicht mit dem Bischof in Liebe zur Heimat glühte und dadurch auch in Begeisterung für den neuen Herrn. Als Johannes am Ende ein Hoch auf die Stadt Bischofswerda ausbrachte, hatte er alle Herzen für sich gewonnen und im jubelnden Stimmengewirr scholl es ihm entgegen: Hoch unser Bischof, hoch Bischofswerda! Wir sind des Bischofs Stadt, insula eptscopi! Mit glücklichem Seufzen ließ sich Johannes auf seinen Sitz nieder. Ungewohnt heiß hatte er sich geredet. Oder war es nur das heiße Wetter, der gute Wein, das reiche Mahl? Einerlei, er war in glücklicher Stimmung heute. Während er sorgsam auf seinem Teller die zarte Wesenitz- forelle zerlegte, fühlte er, wie ein Blick aus brennenden Augen auf ihn zielte. So hatte er heute früh schon in der Kirche einmal diesen Blick gefühlt und an sich abgleiten lassen, jetzt aber hob er suchend seine Augen und ließ sie jenseits des Tisches auf Agnes ruhen, die ihm schräg gegen über an Tanners Seite saß. Einen kurzen Augenblick blie ben die beiden Augenpaare ineinander haften. Artig hob der Bischof den Becher: „Ein Schlückchen auf unsere ge meinsamen Putzkauer Jugendzeiten, Base Agnes!" Lächelnd tat ihm das schöne Mädchen Bescheid. Nun war sie gewiß, daß er seine Gespielin der Kinderjahre nicht vergessen hatte. Als er vorhin die Heimat grüßte, war da nicht vor allem sie gemeint gewesen? Wie ein Springbrun nen stieg die Liebe in ihr mit jedem Herzschlag kräftig empor. Trotzdem sich in diesen Feststunden keine Gelegen heit mehr fand, auch nur ein trauliches Wort weiter mit dem Freund ihrer Kindheit zu wechseln, war ihr doch das heute Erlebte Glückes genug. Sie vertraute völlig auf die Zauberkraft ihrer Liebe. Ein Netz wollte sie spinnen, ein unsichtbares goldenes Netz, darein sie sich und ihn ver stricken wollte. Ihre Zuversicht wuchs, als sie inne ward, daß bei allem Hin und Her der Unterhaltung, die er mit den Herren pflegte und pflegen mußte, des Bischofs Augen sich immer wieder in den ihrigen fingen. Inzwischen war man aufgestanden. Der Bischof stieß ein Fenster auf und ließ sich Erklärung geben zu dem und jenem, was seinen Blick gerade fesselte. Der hohe Herr konnte ein verständnisvolles Schmunzeln nicht verbergen, als er zu wiederholten Malen auf die besondere Güte des Bischofswerdaer Gerstenbieres aufmerksam gemacht wurde. „Sehen Eure Bischöfl. Gnaden da drüben den Gasthof zur Sonne? Zehnerlei Biere werden dort verschenkt zur Freude aller Durstigen aus Stadt und Land. Da hat erst kürzlich wieder Herr Tanner zwei neue Schänken errichtet zu Göda, auch eine in Belmsdorf und Geißmannsdorf, die dürfen nur unser Bier verschenken. So beliebt ist unser Bräu überall im Umkreis auch in den Dörfern bis hin nach Stolpen. Mancherlei Freiheiten sind seit alters von den Herren Bischöfen unserm Bierschank zugebiüigt gewesen!" „Ich weiß, ich weiß," entgegnete leutselig der Bischof dem eifrigen Sprecher, Hans Meißner, „und auch ich kann euer schmackhaftes Bier nur loben," fuhr er fort. „In den tiefen Kellern unter meinem Stolpener Schloß liegen un gezählte Fässer dieses Trankes und gleich meinem Vor gänger soll auch mir euer Bier nicht zu schlecht zum Abend- trunke sein. Was aber die Schankgesetze betrifft, so sollt ihr auch weiterhin von Schank- und Tranksteuer befreit sein." Da glänzte Zufriedenheit von allen Gesichtern. Das herbe Antlitz Bernhard Tanners schien verschlossen wie immer, und doch war gerade er von großer innerer Freudigkeit über diesen Tag. Der Bischof hatte wohl gemerkt, was für eine achtbare, sicher gegründete Stadt Bischofswerda trotz ihrer äußeren Schlichtheit war. Er aber als Bürgermeister dieser Stadt hatte davon vieles angeregt, das meiste geschaffen. Ein Lob, das der Stadt galt, mußte er auch für sich beanspruchen. In Zukunft sollte der Bischof noch besser schätzen lernen, was er an Bischofswerda habe. Das Beste für Bernhard Tan ner war aber gewesen, daß er mit dem Bischof beim vollen Becher einen Händedruck getauscht hatte, der bedeuten sollte, „auf treue Freundschaft". Für den Bischof und seine Begleiter war die Stunde des Aufbruchs mittlerweile gekommen. Es wurde ein fröh liches Scheiden. Bischof Johann von Haugwitz nahm an seinem ersten Feiertage in dieser Stadt das gute Bewußt sein mit hinweg, keinerlei Mißklang hinter sich zu lassen. Weit griffen die Pferde aus und lustig klapperten die Hufe in flottem Takt auf der steinigen Straße. Johann schickte sein Gefolge ein wenig voraus. Er wollte mit seinen heiteren Gedanken ungestört Zwiesprache halten. Tief at mend dehnte er die Brust der wohligen Sommerluft ent gegen. Ein Windhauch kam und spielte um seine heiße Stirn. Leichten Mutes summte er vor sich hin: Heimat, liebe Heimat! Er nickte den vertrauten Bergen zur Linken der Straße zu,' die zwar nicht eben hoch, aber im Schmuck ihrer Wälder ungemein lieblich die Landschaft umsäumten. Ehe die kleine Reiterschar ins Wesenitztal einbog, wandte sich der Bischof im Sattel noch einmal dem schönen Fern blick zu und sagte wieder: „Oh, du meine schöne Lausitzer Heimat!" Nun engte sich das Tal. Der Weg wurde holprig und die Pferde mußten vorsichtig Schritt vor Schritt setzen. Die Wesenitz glitzerte im Nachmittagslicht, und die Forellen schnellten im sommerwarmen Wasser hin und wieder. Der Buchenwald an den steilen Hängen spendete angenehme Kühle, man zählte die längsten Tage im Jahre und noch nichts war von den abendlichen Schatten zu spüren. Der Bischof überlegte weiter. Wie heimatlich hatte ihn auch heute wieder alles angemutet. Er verstand die guten Bürger in all ihren Trachten so wohl, es würde ihm nicht schwer fallen, sich ganz als einer der Ihren zu fühlen. Wie kam es, daß ihm, der doch die Welt da, wo sie am größten und glänzendsten ist, gesehen hatte, dies winzige deutsche Städtlein mit seinem Fleiß und seiner Ordnung solchen Einfluß machte? Es mochte darin seinen Grund haben, daß sein Geschlecht, obschon adeligen Namens, doch von jeher vom Vater auf den Sohn einen bodenständigen bürger lichen Sinn vererbt hatte. In solchen Betrachtungen war er an den geschäftigen Mühlen vorüber bis an den Ausgang des Tales gelangt. Hatten ihn seine Gedanken allzu tief in den engen, aber bunten Schaffenskreis des heimatlichen Stadtgetriebes hin eingeführt, so wurde er mit einem Schlage wachgerüttelt, als die Burg Stolpen hoch oben auf ihrem Felsenberge ge bieterisch aufragte.