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Von ungleich schrofferem Gepräge als die anderen Waldhügel stieg der seltsame Berg steil aus ebenem Boden auf. Düster beherrschte er den ganzen Umkreis und lenkte die Blicke jedes Wanderers auf sich, der hier seine Straße zog. Das war fürwahr ein Herrensitz und so recht geeignet, die mächtig aus Steinen getürmte Feste Stolpen zu tragen. Am Bergabhang ängstlich und demütig gegen die Burg mauern gedrückt, lehnten die Häuser der bescheidenen Stadt Stolpen. Sie führte ihr Dasein ohn eigenes Leben noch eigenen Ruhm. Sie wurzelte allein im Glanze ihrer Her ren, und ohne diesen war sie ein Nichts. Beim Anblick seiner nieltürmigen Residenz wuchs dem Bischof erneut die Lust zum Herrschen. Weit hinter ihm, dem Auge nicht mehr sichtbar, lag be häbig hingestreckt im sichern Ring ihrer Mauern die Stadt der Töpfer und Tuchscherer. Hier droben aber, schwindelnd hoch und mit den schier zahllosen massig aufstrebenden Tür men und Turmzinnen noch immer mehr in die Höhe grei fend, wartete die Hochburg des geistlichen Fürstentums auf ihren Herrn. Gleich würde das Signal gegeben werden und die Tore sich ehrerbietig öffnen vor ihm — dem Bischof von Meißen. Im Siebenspitzenturm Wehrhaft wie eine Grenzfeste und voller königlichen Prunkes war Stolpen, der Meißner Bischöfe erkorener Sitz. Die Blüte des sächsischen Adels und mancher kluge Ge lehrtenkopf waren in diesen Mauern jeden Tag am Werke, die Machtherrlichkeit des Bistums zu festigen und zu meh ren. Hier war der beherrschende Mittelpunkt des weit gedehnten Hochstiftes. „Hier ist mein Reich, Freund Komerstadt, hier soll ich, nein darf ich wirken, bis auch dereinst über mich und meine Jahre zu Gericht gesessen wird. Wie sollte ich mich aber fürchten, der ich noch jung genug bin, allen Widrigkeiten meine eigene begeisterte Überzeugung als einzigen und besten Schutzwall entgegenzusetzen?" Der Probst von Bautzen, Hieronymus Komerstadt, ließ die Frage des Bischofs vorderhand unbeantwortet. „Wie stehst du mit deinen Chorherren?" fragte er da gegen unvermittelt, wenn auch nicht ohne äußeren Anlaß, denn sie sahen unten die sieben Kanonici den Kapitelsturm verlassen und sich im Zuge hinüber in die Schloßkirche zu St. Barbara begeben. Johannes wartete, bis das Glöckchen, das mit eigentümlich dünnem, silbernem Klang zur An dacht rief, verstummt war, ehe er entgegnete: „Ich bin im besten Einvernehmen mit ihnen, doch ist ihre Stellung auch zu unbedeutend, als daß ich irgend welchen Wert darauf legen müßte." „Dem Herrschenden kann alles in seiner Umgebung zu gefährlicher Bedeutung werden." — Der Probst seufzte leicht. „Hast du das eben erschienene Buch meines Dekans Leisentritt schon in den Händen gehabt?" „Er selbst sandte es mir mit ehrfurchtsvoller Widmung zu. Der junge Verfasser scheint ein tüchtiger Streiter unse rer Kirche zu werden." „Und ein gefährlicher, glaube es mir,' Leisentritt ist ein berechnender, ehrgeiziger und höchst blendender Geist, der schon manche Unruhe unter meine Bautzner Domherren gebracht hat." Johannes von Haugwitz konnte auch hochmütig werden. „Strebt er nach hohen Ämtern, wohl gar nach dem Bischofs stuhl? Da vergißt er, daß zu solcher Stellung nicht nur der eigne Wert, sondern auch das Geschlecht, die rühmliche Vergangenheit der Familie gehört. Und wo bleibt da dieser Johann Leisentrttt?" Wieder schwieg Komerstadt. Er begriff den Freund, der sich am Glück über seine neue Würde berauschte und daher wohl hochfahrender und selbstsicherer auftrat als es sonst seiner leisen Art zu eigen war. Sie saßen in einem der nach der Hofseite gelegenen Säle des Palastes. Zwischen Kapitelsturm und Schloß kirche ragte der mächtige Bau auf, der im Innern mit aller verschwenderischen Üppigkeit ausgestattet war. Komerstadt weilte die letzte Stunde beim Bischof, ehe er auf die Bitte des Freundes nach Rom reiste, um als sein Abgesandter beim Papst die Bestätigung seiner Bischofswahl auszuwirken. „Wo weilst du eigentlich am liebsten hier, Johannes? Ich muß gestehen, mir lähmt dies endlos düstere Gemäuer den Mut, das einem die Freiheit des Blickes fast ganz be nimmt. Dazu dieser Kranz von elf steinernen Türen! Wahrhaftig, Bischof, von außen gleicht deine Residenz eher einer Zwingburg als einem geistlichen Domizilium." Johannes sah dem Freunde ernst in die Augen. „Dies Schloß war unter Bischof Nikolaus eine Zwingburg. Du weißt, daß sie unter meiner Herrschaft aufhören wird, das zu sein. Erschrecken jedoch können mich diese Mauern und drohenden Türme nimmermehr, Komerstadt. Wärest du an meiner Stelle, auch dir würde hier jeder Stein zum Mah ner werden, an Größe zu gleichen denen, die vor mir hier gewaltet. Steh, diesen Turm führte Johannes von Saal hausen auf, jenes Tor dort die beiden Schönberg, den Do- natsturm drüben baute Johann von Schleinitz. Den un fertigen Turm linker Hand hat Nikolaus begonnen, und ich werde ihn vollenden. Das Wappen der Haugwitze muß in die Steinmauern dieses Turmes gemeißelt werden. So wird sich auch mein Namen einfügen in die stolze Reihe der in Stein geschriebenen Bischofsnamen," Johannes strich sich mit der Rechten über die Stirn, um die Erregung wegzuwischen. Seine Wangen brannten, seine Augen blitzten und seins beinahe schmächtige Gestalt hatte sich hoheitsvoll gestreckt. Ruhiger fuhr er fort: „Du hast aber recht, Komerstadt, von hier gesehen, bieten die grauen Festungsmauern einen trübseligen Anblick. Mein Lieb lingsaufenthalt ist auch nicht hier, sondern drüben im Siebenspitzenturm in meiner Arbeitsstube. Alle meine Bücher sind dort untergevracht, von dort habe ich jederzeit einen weiten Ausblick, so daß du um mein Wohl nicht be sorgt zu sein brauchst. Bist du des zufrieden?" Er legte dem Freund die Hände auf die Schultern. Der Propst schien noch ein Anliegen zu haben, zu dem er die Worte nicht leicht fand. Endlich fragte er zögernd und ein dringlich: „Johannes, ehe ich abreise, sage nur aufrichtig noch eines: Bist du noch eingedenk der Reden, die wir in Wurzen wechselten?" „Wie könnte ich sie vergessen? Latz mir Zeit und du wirst unsere schönen Pläne zur Wirklichkeit reifen sehen!" „Gut, ich erwartete eine solche Antwort von dir. Aber darum eben möchte ich dich warnen, nicht blind zu sein gegen die Gefahren, die dir von allen Seiten erwachsen werden. Ich bitte dich, täusche dich im ersten berechtigten Sieges rausch über das eben erreichte Ziel nicht über die Halt losigkeit deiner Stellung." „Haltlosigkeit der Stellung des Bischofs? Wie meinst du das, Propst von Bautzen?" „Es haben dich in Wurzen nur zwei gewählt, Pflugk und Draschwitz, die übrigen Herren des Domkapitels fehlten." „Einerlei, die Wahl kann nicht angefochten werden, die Herren Dekane waren nur abwesend, weil sie mir vorher bereits ihre Zustimmung gegeben hatten. Nein, nein, du irrst dich, Freund Komerstadt, mein Bischofsstuhl steht fest wie je einer." Komerstadt senkte die Stimme: „Und deine geheimen Verträge mit dem Kurfürsten?" Eine Sekunde lang wurde des Bischofs Blick unsicher, ehe er kurz auflachte. „Bist du im Glauben, ich werde diese Verträge halten?"