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Abkühlungsvorgänge und Gußtextur Von Prof. Dr.-Ing. habil. JOSEF CZIKEL, Freiberg In der Gießereipraxis gibt es eine ganze Reihe von Pro blemen, deren Ursache und Wirkung zwar grundsätzlich bekannt sind, für die aber bis lang keine exakte Darstellung vorhanden ist. Zu solchen Problemen gehört die Beziehung des Abkühlungsvor ganges zur Gußtextur. Ersterer ist als Ursache und letztere als Wirkung aufzufassen. Betrachtet man den Quer- oder Längsschnitt eines Gußstückes, so können grundsätzlich drei verschieden kristallisierte Zonen auftreten: 1. die unorientierte Randschicht (feinkörnig) 2. die orientierte Zone der Stengelkristalle (transkri stallin) 3. die unorientierte Kernzone (grobkörnig) Die Ausbildung der drei Zonen ist im Bild 1 für einen siliziumhaltigen Stahl |1| wiedergegeben. Bild 1. Primärkristallisation eines Gußblockes aus 3°/oigem Siliziumstahl (nach Goerens) Die Beobachtung lehrt weiter, daß 1. nicht immer alle drei Zonen aufzutreten brauchen; entweder erfolgt eine Verschiebung nach rechts oder links, wodurch nur zwei oder nur noch eine Zone allein übrigbleiben, oder es findet eine Auf weitung der transkristallinen Zone statt, so daß diese allein den Schnitt bedeckt; 2. ein stetiger Übergang zwischen den einzelnen Zonen grundsätzlich nicht besteht; sie grenzen unmittelbar aneinander; 3. die Kristallite der stengligen Zone gemäß dem Wärmefluß orientiert sind; 4. die Gießbedingungen, wie z. B. Gießtemperatur, Art des Formstoffes, dessen Wandstärke, und zum Teil die Gießweise eine gegenseitige Verschiebung der einzelnen Zonen hervorrufen können; 5. die Wandstärke des Gußkörpers ebenfalls einen Einfluß besitzt. Diese Beobachtungen waren es wohl, die bereits G. MASING [2] veranlaßten, folgendes zu erklären: „Eines kann aber mit Sicherheit behauptet werden, daß nämlich an der Grenze, wo an die Stengelkristalle die viel feineren unregelmäßig geformten Kristallite an grenzen (Kernzone, d. Verf.), in der Schmelze ein beson derer, neuer Vorgang eintreten muß, und daß man ihre Entstehung überhaupt, besonders aber ihre plötzliche Entstehung, nicht ohne weiteres aus den von G. TAM- MANN erörterten allgemeinen Gesetzen der Kristalli sation ableiten kann.“ Soweit die Feststellung MASiNGs. Was er für die Grenze zwischen der zweiten und der dritten Zone er klärt, muß selbstverständlich auch für die Grenze zwi schen der ersten und der zweiten Zone gelten, falls sie vorhanden ist. Die Unmöglichkeit, unmittelbar aus den TAMMANN- schen Gesetzen auf die Erstarrungsvorgänge realer Gußkörper zu schließen, liegt wohl in der Art der Dar stellung. Um den Sinn der Kristallisationsgesetze wie dergeben zu können, muß die Darstellung im Ordi- natensystem Temperatur/KZ oder KG erfolgen. Im Ge gensatz dazu vollzieht sich die Erstarrung eines Guß körpers, indem Wärme über seine Grenzfläche mit der Formwand abgezogen wird und so die Erstarrung vom Rand aus nach der Profilmitte zu fortschreitet. Der reale Erstarrungsverlauf kann demnach entweder an der Ausbildung des Temperaturfeldes im Tempe- ratur/Weg- oder besser unmittelbar an der Erstarrungs funktion im Zeit/Weg-System verfolgt werden. Sofern Beobachtungsergebnisse oder Gesetzmäßigkeiten nicht im gleichen Ordinatensystem dargestellt werden kön nen, besteht auch nicht die Möglichkeit, unmittelbar einen Vergleich anzustellen. Zwangsläufig folgt jedoch die Überlegung, daß die Erstarrungsfunktion in irgendeiner Form auf die Kri stallisationsgesetze ansprechen müßte. Experimentell kann die Bestimmung von Temperatur feldern mit Hilfe thermometrischer Messungen erfol gen. Hier sind die klassischen Versuche von W. ROTH [3] an Ms 70 und von P. BARDENHEUER [4] an Stahl blöcken zu nennen. In Bild 2 sind die von ROTH an einem 150 mm dicken Messingbolzen aufgenommenen Versuchsergebnisse dargestellt. Es zeigt sich, daß die Ausbildung des Temperaturfeldes zu verschiedenen Zeiten bereits Aufschluß über die an verschiedenen Stel len der Profilabmessung zu erwartende Gußtextur gibt. Am Rand ist infolge schneller Abkühlung kein thermo metrischer Effekt festzustellen, und erst von einer be stimmten Tiefe ab zeichnet sich die Phasenumwandlung auf der Abkühlungskurve ab. Dementsprechend wird die Reichweite der transkristallinen Zone vom Rand bis