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2 Nr. 7. «STAHL UND EISEN.“ Juli 1886. an einzelnen Stellen ein bissel eng," rief Willem, den strammen Jungen an feiner Seite benundernd, und flog mit ihm ins Canzgenhl. Ein Scheusal non mannweib trug vorn und rchwrts in Plattdeutsc die schriftliche (Einlabung: »Jc taffe mic Hüffen,« und weil bas TTiemand freiwillig that, fo umarmte es selbst 2lles, was nicht zeitig flchtete. Craud mußte fic bie Sarbspuren ber empfangenen unst aus dem esichte wischen, erlitt auc fonftige kleine Anfechtungen. Des dichen Bengels rundliche ©lieber reizten einzelne hecke esellen zu allerlei handgreiflichen TTechereien, fo baß unser urnerlein manchmal aus ber Rolle fiel unb laut aufkreischte. Erhob bann ber hanswurst liche Xeschützer bie Pritsche zur Rache ober Albmehr, fo verschwanden bie Bösewichte rasc im ©ebränge mit dem beschwichtigenden Rufe: »ech, looß ech elans« unb Ales verlief in harmloser, toller Saune. Die geruschvollste Srhlichkeit herrschte an einem langen, mit Speis unb @rank gut besetzten Cische, ben eine zahlreiche, bunte esellschaft stmmiger öbst- unb emseneiber sammt ihren 2Ingehrigen einnahm. Das Sprhfeuer ererbter ungenfertigkeit unb ur= wchsiger Witze lochte manchen neugierigen herbei, auch ber naseweise Spüler Pater Jahns brangte sich heran, faß aber plötzlich zu feinem Schrecken auf ben JRnieen ber Anfhrerin, bie unter lautem hopp, hopp, hopp bie beliebten Reitbungen ber kleinen Kinder anstellte, ©leid? einem großen ©ummiball flog ber zappelnde Knirps auf unb nieber. „Srau Schoppelmann, Jhr verberbt dem Jüngeb chen bie Cournre," rief eine enossin fpöttifdj. „Aes echt, nir ausgestopft," versicherte bie wrdige matrone nac sachlicher Prüfung mittelft einiger derben Jlapse ihrer Riesentatze, gab bem unbekannten Schoszhinde einen Schmatz unb verabschiedete es mit ben Worten: „A1djs, Pitterchen, grüß' mir bie mutter unb fag' ihr, Cante Schoppelmann vom AIItenmarht käme morgen ITac^mittag mit ber ganzen Sippe zum Kaffee. Soffent- tief? habt thr noeß nicht alle mutzen vertilgt." Spät wanberte man heim, höchlic befriebigt von bem genoffenen Dergnügen, nur äußerte Craud einige Angst, ob bie Alte nicht ihre Abwesenheit erfahren hätte ober würbe; bann fei ein furchtbarer Erm sicher. „Das ift unwahrscheinlich," beruhigte Willem, „bie Anna wirb ißr schon was vorgeflunkert t)abm, unb wenn fie's erfährt, ben Kopf kann fie bir nicht ab- reißen, bu bist kein Kind mehr, sondern ein erwach- fenes Wäbchen." „0! trotzdem erhielt ich krzlic bei einem Sänke 'ne tüchtige ©achtel unb bin doch jchon 18 Jahre unb einen monat alt,“ erwiderte ©raub. Willem öffnete mit feinem Sausschlssel, man trat leife ins Schenkzimmer unb jünbete eine asflamme an. ©raub wollte auf ben Strümpfen nach oben zur Sdflafgefährtin schleichen, mußte aber vorher bie knarrenden engen Stiefel ablegen, was viele mhe machte unb erft nach lungern erren bes galanten Sanswursten gelang. Stil unb heimlich war’s in ber Stube, fo recht geeignet zum Rosen. Willem z0g bie Eiebste auf ben Schoof, an feine Brufi. piößlid? erlitt jedoc bas füße Schäferfpiel arge Störung. (Eine Schrechgestalt in Unterrock, iachtjache unb zerknitterter Saube öffnete bie Chr, mit finsteren Blicken bas schnbelnde ©aubenpaar messend unb bie entsetzt Aluseinanderfahrenden andonnernd : „Aha, ba haben wir bie Diebe, welche ic ver- muthete, wo feib ihr Caugenichtse gewesen 2" „Aluf bem Ball," gestand bie zitternde Cochter. „Unb was treibt ihr hier noch, habt euc wohl nicht genug unb küffen können?" ©raub stammelte etwas von helfen beim Stiefel- ausziehen. „c möchte bir noc 'was Anderes ausziehen," schrie bie grobe Alte, ergriff bes Banswursten Pritsche, welche auf bem Cische lag unb fuchtelte damit drohend in ber Suft herum : „Wie weit ift bie Sache zwischen euch schon gediehen? heraus mit der Sprache, mamsell!" ©raub ließ stumm unb bis an bie Schläfen er röthenb ben Ropf hängen. „Wart', bu Racher ! mein Derdacht ift alfo doch begrünbet gewefen,“ rief bie Erboste in hellem orne, pachte ihre Cochter hinten am urt unb schwang fie mit schonungslosen Pritschenschlgen unter höhnenden Worten runb: „Bift kein gartes Hläbel, kein Srulein, wie dic bie hofirenden ©äffe nennen, sondern ein Sotterbub, ein liederlicher Schlingel in straffen Sosent, benen's Ausklopfen noth thut." „Salt, Srau Baas, halt, Srau Baas!“ ver suchte ber fülle Verehrer 311 gebieten unb wollte feine bebrängte Ungebetete bem grimmen Drachen entreißen, aber scharfe Streiche auf bie unvor sichtigen fnde nöthigten ihn zum schimpflichen Rch- zuge, ben er, mit ben schmerzenden Singern schlenkern, von einem Beine aufs andere hpfend, eiligft antrat. Eustig tanzten bie Beiben durch bie Stube, bie pustende Ulte schwerfllig in abgetretenen Schlappschuhen, bie sich vergebens fträubenbe Junge leichtfüßig auf ben Strümpfen. Endlic machte bie (Ermübung bem Wal 3er ein Ende. Schleunigft floh, mit beiben snden bie Eeidensstellen eifrig reibenb, ber losgelaffene Zur ner bavon. „Tun kommt ber 2aja33‘ dran. Jeh will dich Causbub, ber noc nicht trochen hinter ben Ohren ift, lehren ehrlicher Seute Jind verführen," keuchte bas athemlose Weib, drehte bie Pritsche um, fo baß ein richtiger Jnittel baraus würbe, unb jagte mit wuchti gen Sieben ben schellenklingenden Sreier aus einet ©die in bie andere, warf ihm schlieszlich feine Pritsche an ben Jitopf, lschte bie ©asflamme aus, wünschte angenehme Ruh’ unb verfchwanb. Willem schlic wie ein begossener Pudel zu feiner Schlafsttte , nac bem zerbleuten Buckel unb ben garftig juchenden Schultern ftöhnenb taftenb. „Die Ulte hat nicht umsonst gestern 311 tief ins ©las geguckt unb auch ihren Sastnachts fcherz haben wollen," dachte ber edle Dulber. Um andern morgen mußte bie zerknirschte ©raub eine berbe Strafpredigt anhören, deren Schluß lautete: „Jetzt gehst in bie Rirche, bereust deine Snden unb holst bir ein Aschenkreuzchen, ich will unterdessen ein ernstes Wort mit bem Vetter reden." Dieser würbe ins ©ebet genommen unb kurzer Band vor bie Ent scheidung gestellt, sofort schimpflic aus bem fause gejagt zu werben ober in eine baldige SSeirath 311 willigen. Selbftrebenb nahm bie künftige Schwieger mutter bas letztere an, fand auch nicht ben geringften Tiderstand, fonbern bie gewnschte Bereitwilligkeit. Seute am 21schermittwoc schwnzte Willem bie Arbeit, fueßte mittelft saurer ringe unb Dünnbier („ Jölsc Wies") bie erschlafften Cebensgeifter 311 erfrischen unb schmiedete mit feiner Braut uhunftsplne. Acht ©age fpätcr hing ZeiderTamen im bekannten schwarzen Jstchen bes Rathhauses. „Jung gefreit, nie gereut," tröftete bie Sprich wörter liebende Ulte sic, wenn fie sorgenvoll ber Jugend ißres Wichtes gebuchte. Die ©achter aber, froh, der bisherigen ucht entronnen zu fein, unbe kümmert um bie Jukunft, wollte bie gewonnene Srei heit benutzen unb bas tebm genießen, fanb and? wenig Cinwendung seitens bes jungen (Ehemannes, ber wohl ähnlichen rundstzen im Stillen huldigte, „©leid; unb ©leid? gefeilt sich gern,“ brummte bie Schwiegermutter im Einblick auf diese eelenverwandtschaft, was fie aber nicht hinderte, hufig prüfenbe Blicke in ber Kinder SSaushalt zu werfen. „Schmutzfink" ftand eines ©ages groß unb deutlic in bie bidte Staublage ber Sensterbank geschrieben. „Seit 14 ©agen ift sicher ba nicht gefegt worben," behauptete fpätcr bie Or: nungsliebende, „dazu hast bu keine Seit. estern seid