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lieber die Schulvorbildung der Techniker. Von Max Kraft, o.-ö. Professor an der k. k. technischen Hochschule in Brünn. Gestatten Sie mir, sehr geehrter Herr Re dacteur, den in Nr. 5 Ihrer Zeitschrift veröffent lichten Ideen des Herrn J. Schlink über die Schul vorbildung der Techniker einiges hinzu, bezw. entgegenzusetzen. Herr Schlink, der sich in seinem Vortrage als äufserst schneidiger Vertreter der praktischen Richtung kennzeichnet, führt uns namentlich den hohen Aufschwung der amerikanischen Industrie vor, und als deren Grund die weitgehende Spe- cialisirung und Theilung der Arbeit im technischen Betriebe. Ich glaube nun, dafs, wenn man zwei grofse Völker in irgend einer ihrer Thätigkeiten ver gleicht, denn doch ein etwas höherer Standpunkt eingenommen und namentlich die geschichtliche Vergangenheit, die Tradition und auch der Volks- Charakter mit in Rechnung gezogen werden mufs. Wenn das deutsche Volk auf eine verhältnifs- mäfsig so ruhige, äufsere Geschichte zurückzu blicken vermöchte wie Nordamerika; wenn in Deutschland die Wichtigkeit des technischen Wissens und Könnens, als der Grundlage der finanziellen Kraft eines Staates, von den regieren den Kreisen in solcher Weise und seit so langer Zeit anerkannt und gefördert worden wäre wie dort, wenn endlich dem deutschen Wesen der Speculationsgeist und der Trieb nach Gelderwerb so anhaften würde wie dem Nordamerikaner, dann — es ist meine Ueberzeugung — würde der letztere trotz seines specialistischen Wesens keinen Vorsprung aufweisen. Wer aber mifst den Verlust an finanzieller und geistiger Kraft, den das deutsche Volk und namentlich dessen Gewerbe und Industrie im 30 jährigen Kriege und während der darauf fol genden unruhigen und kämpfereichen Jahrhunderte erlitten? Wer ist imstande, den Standpunkt zu bezeichnen, den unsere heutige Industrie ein nehmen würde, wenn auf die mittelalterliche Entwicklungs - Periode der deutschen Industrie und Gewerbe Jahrhunderte des Friedens und der Ruhe gefolgt wären? Dafs die Gesetzgebung einen ungeheuren Ein- Hufs auf die Entwicklung der technischen Künste haben müsse, dafs Regierungen, die die Wichtig keit derselben erkannt haben, ganze Industrieen aus dem Boden zu stampfen und zu hoher Blüthe zu entwickeln vermögen, läfst sich nachweisen, ebenso klar aber ist es auch, dafs die regierenden Männer des deutschen Volkes erst in allerneuester Zeit diese Wichtigkeit anerkennen zu wollen VII.« scheinen, — hier wirken eben dem technischen Wesen schädliche Traditionen — während in England, Frankreich und Nordamerika dieser Standpunkt zu den längst überwundenen gehört. Ein ebenso förderndes Element ist der Spe culationsgeist der Nordamerikaner, der sich jeder neuen, gewinnversprechenden Erfindung mit einer, uns Deutschen ganz fremden Energie bemächtigt und durch zähe Ausdauer zum endlichen Siege verhilft. Dieser Speculationsgeist, sowie der hochaus gebildete Sinn für Gelderwerb sind aber Volks- eigenthümlichkeiten, die sich während des Jahr tausende andauernden Lebens eines Volkes, aus den eigenthümlichen, dasselbe umgebenden Ver hältnissen herauskrystallisirt haben und die sich nicht leicht — wenn überhaupt — übertragen lassen. Und würden sie übertragbar sein, ich weifs nicht, ob sich die gesammte deutsche Technikerschaft für eine solche Uebertragung begeistern könnte; mir wenigstens scheint dieses a u s s c h 1 i e f s 1 i c h e und Alles übertönende Streben nach Geld erwerb bei einem Volke, das in der Geschichte der geistigen Entwicklung der Menschheit epoche machende Siege zu verzeichnen hat, nicht nur eine Unmöglichkeit, sondern ein entschiedener Rückschritt. Ich glaube daher, dafs die Nord amerikaner nicht nur ihrem Specialisiren, sondern auch den oben erwähnten Factoren, die, nach meiner Ansicht, zum mindesten von gleicher Wichtigkeit sind, die hohe Entwicklung ihrer Industrie verdanken. Das Specialisiren, Theilen der Arbeit bis in die äufsersten Consequenzen, ist eins der wichtigsten und nicht zu bekämpfen den Principien, wo es sich um physische Arbeit handelt; wo die geistige Arbeit in den Vorder grund tritt, hat das weitgehende Specialisiren aber gewifs seine argen Schattenseiten. Der Be treffende wird zu einem Maschinenbestandiheil, der — in das Büreau gekommen — in die Ma schine eingesetzt wird und nun ruhig Tage, Mo nate, Jahre weiter arbeitet, mit sehr geringen Aenderungen, die etwa dem Einsetzen eines Wechselrades gleichkommen; er ist eine Geld erwerbmaschine geworden, hat die Fähigkeit, einen höheren Standpunkt, eine leitende Stellung mit administrativer Thätigkeit einzunehmen, voll kommen verloren und wird in den meisten Fällen auch indifferent für das politische Leben seines Volkes. Zur Ausfüllung einer solchen Stelle sind allerdings Techniker mit Hochschulbildung nicht