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1. April 1896. Die Krupp’sehen Schiefsversuche u. s. w. Stahl und Eisen. 275 Eigenschaft des Panzers sei, weil sie die meiste, wenn nicht einzige Gewähr für ein Abweisen auftreffender Geschosse bietet, auch von einer anderen Seite. Man sagt, das Zertrümmern der Panzerplatte sei kein so grofser Nachtheil als das Durchschossenwerden, weil nicht anzunehmen sei, dafs dieselbe Platte in einem Gefecht zwei mal getroffen werde. Diese Ansicht wird sich nach den Erfahrungen im Seegefecht vor der Yalumündung, in welchem das chinesische Panzer schiff Ting Yuen in seinen Seitenwänden mehr als 200 Geschofstreffer erhielt, kaum noch auf recht erhalten lassen. Es ist ferner noch hervor zuheben, dafs man, um das stückweise Herab- fallen des Harveypanzers vom Schiffe zu ver hindern, gezwungen ist, denselben mit einer sehr grofsen Anzahl von Bolzen an der Schiffswand zu befestigen, was eine aufserordentliche Ver mehrung des Gewichtes bedeutet. Platten, welche Gewähr bieten, bei der Beschiefsung nicht zu zerspringen, erfordern zu ihrer Befestigung nur eine geringe Bolzenzahl, und bei gewissen Con- structionen, wie Schächte und dergl., kann man sogar so weit gehen, sie ohne jegliche Hinter lage und Verbolzung aufzustellen. Welche Vortheile damit bei der Nothwendig keit, an Baum und Gewicht möglichst zu sparen, erzielt werden, bedarf nicht der Auseinandersetzung. Wir können daher nur wiederholen, dafs im idealen Panzer gröfste Härte mit entsprechender Zähigkeit vereint sein mufs. Von diesem Ideal sind die besten amerikanischen Platten noch recht weit entfernt, weil es ihnen an Zähigkeit mangelt, während die Krupp’schen Platten ihm doch ganz erheblich näher, heute überhaupt am nächsten stehen. Befremdend erscheint es uns, wie in den amerikanischen Berichten aus dem September v. J. und später die unerreichte Güte der Jowaplatte gerühmt werden konnte, da doch der Krupp'sche Schiefsversuch bereits im März stattfand und seine Ergebnisse im Juniheft der „Marine-Rundschau“ veröffentlicht wurden, also zur Zeit der Beschiefsung ihrer Jowaplatte den Amerikanern hätten bekannt sein können. Bemerkt sei nur noch, dafs die Festigkeit des Hinterbaues befriedigte und seine Construction für den Bau der auf Stapel gelegten Panzerschiffe 5 und 6 mafsgebend sein soll. Nach den ausgezeichneten Erfolgen, die mit den 146- und 300-mm-Platten erzielt wurden, trat an die Kruppsche Fabrik die Frage heran, ob das bei diesen Platten zur Anwendung ge kommene Herstellungsverfahren sich in gleicher Weise für 80 und 100 mm dicke Platten be währen würde. Es war um so mehr noth wendig, dies durch Versuche festzustellen, als einerseits so dünne Platten mit gehärteter Vorderseite bisher eine verhältnifsmäfsig starke Neigung zum Zerspringen zeigten, andererseits aber bedeuten Panzerplatten solcher geringen Dicke von grofser Schufsfestigkeit einen grofsen Gewinn, weil die Nothwendigkeit anerkannt ist, alle auf dem Oberdeck stehenden Schnellfeuer kanonen der Panzerschiffe und Kreuzer mit einem wirksamen Panzerschutz zu versehen. Aufser den in Thürmen stehenden Hauptgeschützen sind heute alle anderen Geschütze auf Schiffen, von 15 cm Kaliber an abwärts, Schnelllade- oder Schnell feuerkanonen. Da nun aber eine starke Schnell feuerartillerie als ein Hauptfactor zur Bestimmung der Kampfkraft oder des Gefechtswerthes eines Schiffes angesehen wird, so ist heute die Panzer schutzfrage mehr als je in den Vordergrund ge treten, nicht nur für Panzerschiffe, sondern auch für Kreuzer. Der als „Ersatz Leipzig“ für die deutsche Flotte im Bau befindliche Panzerkreuzer (Kreuzer I. Klasse) erhält sogar, wie die Schlacht schiffe, einen Gürtelpanzer, aber auch die im Bau befindlichen Kreuzer 11. Klasse werden Panzer- thürme und Panzerkasematten, die in Ausbauten oder sonstwo auf dem Oberdeck stehenden Ge schütze Panzerschilde erhalten. Das nicht allein, die Munitionsaufzüge und die Schornsteine werden künftig, auch auf den geschützten Kreuzern, nicht mehr ohne Panzerschutz bleiben dürfen, nachdem man durch Versuche festgestellt hat, dafs sich mit Maschinengeschützen, z. B. den Maximkanonen, mit einer Anzahl schnell sich folgender Schüsse ein gewöhnlicher Schornstein förmlich in einem Strich abschneiden läfst, so dafs er umstürzt. Diese Panzer müssen natürlich vom Panzerdeck aus hinaufgehen. Eine so ausgedehnte Verwendung des Panzers auf Kreuzern ist, wie sich denken läfst, nur dann statthaft, wenn der Panzer sich in bescheidenen Gewichtsgrenzen hält, also eine geringe Dicke hat. Soll er dann aber wirklich Schutz gewähren, so mufs er eine grofse Wider standsfähigkeit besitzen. In allen diesen Fällen werden die dünnen Panzer von 80 und 100 mm Dicke eine ausgedehnte Verwendung finden. In den Tagen vom 16. bis 19. October 1895 kam die Beschufsprobe solcher 100 und 80 mm dicken Nickelstahlplatten mit gehärteter Vorder seite. zur Ausführung. Krupp'sche 100-mm-Stahlplatte Nr. 475 mit gehärteter Vorderseite. Abmessungen der Platte: Dicke 100 mm, Länge 2,5 m, Höbe 1,5 m. Bei Schufs I bis V war die Platte mit 8 Stück 55-mm-Bolzen aus Nickelstahl auf 30 cm starker unverbolzter Eichen holz-Hinterlage an einem schmiedeisernen Hinter bau mit 40 mm (2 X 20 mm) Innenhaut be festigt. Bei Schufs VI bis VII war die Platte auf 60 cm Eichenholz-Hinterlage in der Mitte mit 4 Bolzen aus Stahl wie vorher befestigt. Die Bolzen waren 50 mm tief eingeschraubt. Bei Schufs VIII bis XIU war die Platte ebenso am schmiedeisernen Hinterbau, jedoch ohne Eichen holz-Hinterlage befestigt. Auftreffwinkel 87°.