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286 Stahl und Eisen. Ennäfsigunt] der Eisenbahnfrachten für Schi/fbaumaterial. I. April 1896. auf deutschen Werften ausgedehnt worden. Die Ausnahmesätze finden gegenwärtig Anwendung auf folgende zum Specialtarif 1 gehörigen Gegen stände: Nieten, Nägel, Schrauben, Unterlags scheiben zu Schrauben, Muttern, Drahtseile, Schiffsketten, Schiffsrippen und Anker, sowie auf sämmtliche zum Bau von Seeschiffen dienende Gegen stände des Specialtarifs II. Der hierbei festgestellte Einheitssatz für das Tonnenkilometer beträgt 1,7 8 und 12 el Abfertigungsgebühr für 10 t. Wir stellen nicht in Abrede, dafs die König liche Verwaltung der preufsischen Staatseisenbahnen mit der Erstellung dieses Tarifs der betreffenden deutschen Industrie ein höchst dankbar anzu erkennendes, weitgehendes Zugeständnifs ge macht hat. Dennoch sehen wir uns gezwungen, an Ew. I Excellenz die gehorsame Bitte zu richten, noch | eine weitere wesentliche Herabsetzung des Tarifs I anzuordnen; denn nur wenn dies geschieht, wird es möglich sein, den vorliegenden Zweck, die weitere Verwendung deutschen Materials beim deutschen Schiffbau und damit die Verdrängung . des englischen Materials zu erreichen. Wir gestatten uns, bei Ew. Excellenz die Er stellung eines Tarifs von höchstens 1,2 © f. d. Tonnenkilometer zuzüglich einer Abfertigungs gebühr von 6 el für 10 t, wenn irgend thunlich aber einen noch weiter ermäfsigten Satz für die Versendung von Schiffbaumaterial aller Art, welches { bei deutschem Schiffbau zur Verwendung gelangt, I zu erbitten. Es ist uns nicht unbekannt, dafs ein derart niedriger Tarif bisher nur für Güter — Stein kohlen — zur Anwendung gekommen ist, die einen weit geringeren Werth als Schiffbaumaterial haben; die Erstellung des erbetenen Tarifs würde daher eine ganz aufsergewöhnliche Mafsregel sein, die uns aber gerechtfertigt und geboten erscheint durch die Bedeutung des zu erreichenden Zieles. Die deutsche Stahlindustrie, um deren Erzeug nisse es sich in der That hauptsächlich handelt, ist die erste der Welt; von deutschem Geist, deutscher Ausdauer und Arbeit auf diese Stelle erhoben, könnte sie den einheimischen Bedarf vollständig decken und alle anderen Stahl er- ( zeugenden Nationen auf dem Weltmarkt siegreich schlagen, wenn ihr nicht durch die Auflegung besonderer Lasten und die Ungunst der natür lichen Productionsbedingungen der Weg verlegt wäre. Unter den besonderen Lasten verstehen wir die Beiträge, welche die deutsche Industrie und somit auch die deutschen Eisen- und Stahl- j werke für die socialpolitische Gesetzgebung, ins besondere für die Arbeiterversicherung, zu leisten ; hat. Diese Auflagen haben, obgleich sie der . Industrie, wesentlich auch zur Bildung grofser Reservefonds, bereits enorme Summen entziehen, ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht. Von dieser Vorbelastung sind die englischen Werke befreit. Die Ungunst der natürlichen Productions bedingungen liegt für die deutschen Werke fast lediglich in den Transportverhältnissen; denn die Bezirke der deutschen Eisen- und Stahlindustrie liegen weit ab von der Küste im Binnenlande und die verschiedenen Rohmaterialien sind meistens durch weite Entfernungen voneinander getrennt gelagert. Daher ist die Erzeugung schwer belastet, einmal mit den Transportkosten für dieAnfuhr der Rohmaterialien zur Verarbeitungsstelle, zum anderen mit hohen Frachten für die Versendung. Es ist nicht unsere Aufgabe, bei dieser Gelegen heit auf die bisher vergebens angestrebte Ermäfsigung der hohen Frachtsätze für den Transport der Roh materialien zurückzukommen, und zwar um so weniger, als uns bekannt ist, dafs Ew. Excellenz in dankenswerther Weise fortgesetzt bestrebt sind, eine entsprechende Ermäfsigung dieser Transport gebühren zu erwirken. Wir geben uns auch der Hoffnung hin, dafs es, mit Bezug auf die aufser- ordentlich hohen Ueberschüsse der Staatseisenbahn verwaltung, gelingen wird, die in fiscalischen Rück sichten liegenden Widerstandsmomente zu über winden. Da in dieser Beziehung das Nothwendige bisher nicht hat geschehen können, so hoffen wir mit um so gröfserer Zuversicht, dafs Ew. Excellenz sich der Erkenntnifs nicht verschliefsen werden, wie unerläfslich es ist, für die Versendung der Erzeugnisse weitgehende, wenn auch aufsergewöhn liche Mafsregeln zu ergreifen. Es handelt sich darum, der deutschen Eisen- und Stahlindustrie wenigstens das einheimische Absatzgebiet voll ständig zu sichern, einer fremdländischen Industrie gegenüber, deren übermächtige Stellung wesentlich in der Gunst der natürlichen Bezugs- und Absatz verhältnisse wurzelt. Wir sind nicht in der Lage ziffermäfsig fest zustellen, ob bei Erstellung des von uns erbetenen Frachtsatzes die Eisenbahnen noch einen, wenn auch geringen Gewinn erzielen oder unter den Selbstkosten fahren würden. Letzteres glauben wir nicht annehmen zu sollen; sollte es aber thal- sächlich der Fall sein, so würde sich dadurch doch nicht Verlust, sondern, bei Erfassung des Ganzen, Gewinn für die Staatseisenbahnverwaltung ergeben. Auf 1000 kg Erzeugnisse der Eisen- und Stahl industrie, wie Schienen, Schwellen, Laschen u. s. w., denen in hier in Rede stehender Beziehung das Schiffbaumaterial ganz gleichzustellen ist, entfallen 10 000 kg Roh- und sonstige Betriebsmaterialien, welche die Verarbeitungsstelle heranschaffen mufs.* Selbst wenn die 1000 kg Erzeugnisse von den Bahnen unter den Selbstkosten bis zur Verbrauchs- Stelle gefahren werden sollten, so ist ihnen durch den Transport der zur Erzeugung jener 1000 kg * A. Haarmann: „Ueber die Eisenbahnoberbau frage in ihrer wirthschaftlichen Bedeutung“. „Stahl und Eisen“ 1893, Nr. 1, S. 41.