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88 geben. Dasselbe war ehemals ein Amthaus des reichen Grün- hainer Mönchsklosters und hieß deshalb der Grün Hain er Hof. Es enthält die Wohnungen des Direktors, des zweiten Lehrers und des Hausmanns, eine geräumige und neuerlich geschmackvoll restaurirte Aula, die Lehrzimmer und — in einer ehemaligen Kapelle und einem daran gebauten großen Saale — die besonders in älteren Werken sebr reichhaltige Raths- und Schulbibliothek. Diese zu besuchen und ihre allerdings sehr sehenswerthen Schätze in Augenschein zu neh men, hatte ich heute weder Zeit noch Lust. Wir setzten also unsern Weg durch die Schulgassc fort; mein Freund zeigte mir noch von außen das auf dem nahen Klosterplatze neben dem Kornmarkte gelegene, einfach aber schön gebaute Regie rungsgebäude, welches im Erdgeschosse die Wohnung des Hausmannes und die Archive, im ersten Stocke die Räume für das Appellationsgcricht, im zweiten die der Kreisdirection enthält, und wir wendeten uns wieder zur Tanne an der Ecke des KornmarkteS, um daselbst unser Mittagsmahl cin- zunchmcn. Am Nachmittage machten wir noch einen Gang auf das Nathhaus, dessen Aeußeres ich schon am Sonntage beschaut hatte. Denn es war schon der Mühe werth, auch von In nen die Räume in Augenschein zu nehmen, in denen der Zwickauer Rath, der in früheren Jahrhunderten nicht wenig zu bedeuten hatte und es oft selbst mit Fürsten und Herren aufnahm, seit alten Zeiten seine Sitzungen hält. Eine breite Treppe führt auf einen großen und Hellen Vorsaal, welcher mit den lebensgroßen Bildnissen mehrerer sächsischen Fürsten geschmückt ist. Eine Menge Thürcn eröffnen den Zugang zu den verschiedenen Expeditionslokalen. Wir traten nur in die große Rathsstubc ein, über deren Thüre das aus Holz geschnitzte und bunt gemalte Stadtwappen (ein vierfach ge- theiltes Schild, welches zweimal die drei Schwäne im rothcn Felde und zweimal drei verbundene Thürme, auf den Helmen aber einen Hut mit sieben Fähnlein und den die Streitaxt schwingenden heiligen Mauritius zeigt) uns cntgegenwinkte. Das große und hohe Gemach selbst enthält gleichfalls einige Fürstenbildcr und ein Paar hübsche Glasgemälde. Mehr als von diesen fühlte ich mich aber von der langen Tafel und den um sie gereihcten hohen Lehnstühlen angezogen. Denn es war mir bei dein Blicke auf diese Ucberbleibsel der „alten, guten Zeit," als müßten die alten, bidcrben Rathsherrcn in ihren weißen Krausen oder mit den großen Allongepcrrücken hereinwandeln und sich mit feierlicher Gravität auf dielen Sesseln niederlassen, um gemeiner Stadt Bestes zu berathen. Die modernen Herren in Frack und Palletot wollten mir auf diese Sessel und an diese Tafelrunde nicht passen. Aber die verblichene Farbe und der überall sichtbare Mottenfraß an dem scharlachrothen Tuche, womit Tisch und Stühle über zogen sind, mahnte mich, daß jene Zeiten vorüber sind und nimmermehr wiederkehrcn werden. Und wohl uns, daß es so ist! Denn bei allem Trüben und Dunkeln, was die Ge genwart umwölkt und den Blick der Sehnsucht nach dem Hoffnungslande der Zukunft weist, möchte ich doch jene alte Zeit noch viel weniger „die gute" nennen. Außer der Rathsstube ließen wir uns noch in das Raths archiv, um daselbst einige merkwürdige alte Urkunden, eigen händige Briefe Luthers und Melanchthons u. dgl. zu be-