Volltext Seite (XML)
Allgemeine Schulvorbildung künftiger Techniker. Es war für den Verfasser’ eine freudige Ueber- raschung, dafs seine bekannten Ansichten über technische Ausbildung mit den, im vorigen Hefte wiedergegebenen, Aeufserungen des Herrn Dr. William Siemens in London so vielfach überein stimmen. In guter Gesellschaft befindet man sich allemal behaglich. Ein unmittelbarer Vergleich des englischen und amerikanischen Unterrichts wesens mit dem deutschen ist jedoch kaum statt haft , denn wie schon früher erwähnt, müssen dort die angehenden Techniker, bei ihrer theil weis mangelhaften Schulbildung, die nöthigen Vorkenntnisse in Mathematik und Naturlehre erst auf besonderen Fachanstalten erwerben, während die hiesigen technischen Hochschulen bestimmte Anforderungen hinsichtlich der genannten Wissen schaften an den eintretenden Hörer stellen. Da in den allgemeinen Kenntnissen das Fundament für die späteren Fachstudien gelegt wird, so möch ten wir unsere Betrachtungen, welche sich haupt sächlich auf deutsche Zustände bezogen, mit einigen Worten über die zweckmäfsigste Schul vorbildung künftiger Hütten- und Maschinenleute beschliefsen. Nach diesseitiger Meinung sollte jeder Tech niker, dem Befähigung und persönliche Verhält nisse Aussicht auf eine höhere Laufbahn eröffnen, ein Gymnasium oder eine Realschule I. Ordnung besuchen und das Abiturientenexamen ablegen, trotzdem das letztere einstweilen nur für den Staatsdienst vorgeschrieben ist. So lange eine ge wisse Kenntnifs der lateinischen Sprache zu den, vielleicht unberechtigten, Erfordernissen eines Ge bildeten gehört, ziehen wir die normale Real schule der lateinlosen undaus sonstigen, unten ent wickelten Gründen auch dem Gymnasium vor. Die Zukunft mufs lehren, ob Latein den vielfach gepriesenen Werth gegenwärtig noch hat, ande rerseits erscheint der geringe Zeitverlust für das mäfsige Studium des Lateinischen auf den Real schulen bedeutungslos und mag in dem kleinen Opfer eine vernünftige Nachgiebigkeit gegen zahl reiche Stimmen liegen, die im Verstehen oder zierlichen Anbringen eines lateinischen Citates den Ausdruck höherer Bildung erblicken. Wird La tein aber in dem grofsen Umfange wie auf Gym nasien getrieben, tritt dazu Griechisch, und ge schieht das alles auf Kosten der neuen Sprachen, Mathematik und Naturwissenschaften, so vernach lässigt der künftige Techniker zu sehr die eigent lichen Grundlagen seiner späteren Specialstudien, und dürfte die sogenannte classische Bildung kaum das Eingebüfste in anderer Weise ersetzen. Die Leiter des deutschen Militärerziehungswesens sind kluge Leute und wissen wohl, welche An sprüche an die Bildung von Offizieren gestellt werden müssen. Die Kadettenhäuser, aus denen die Mehrzahl hervorgeht, haben den vollständigen Lehrplan von Realschulen I. Ordnung, und dürf ten bei Offizieren sowie Technikern gleiche Be dürfnisse vorliegen. Fürst Bismarck bemerkte einst: »Als ich Primaner war, da konnte ich recht gut lateinisch schreiben und sprechen, jetzt würde es mir schwer fallen, und das Griechische habe ich ganz vergessen. Ich begreife überhaupt nicht, wie man das so eifrig betreiben kann. Es ist blofs, weil die Gelehrten nicht viel mehr wissen und doch etwas wissen wollen.« An die disciplina mentis erinnert, entgegnete er schlagfertig, dann sollte man Russisch lehren, das sei eine der schwierigsten Sprachen und habe doch wenigstens einen greifbaren Nutzen. Die urwüchsige Derb heit des erfahrenen Staatsmannes trifft den Nagel auf den Kopf. Gründliche Kenntnifs einer jeden fremden Sprache ist ein allgemeines Bildungs- mittel, vereinigt sich damit ein unmittelbarer Nutzen fürs praktische Leben, so ist der Haupt zweck der Schule erreicht. Dem selbständigen Techniker sind fremde Sprachen unentbehrlich, in erster Reihe die englische, in zweiter die fran zösische; er mufs die ausländische Fachliteratur kennen und darf im Geschäftsverkehr nicht auf die Hülfe von Uebersetzern und Dolmetscher an gewiesen sein. Wenn die englischen, amerika nischen , französischen Genossen in fremden Sprachen durchschnittlich wenig leisten, so macht dies für den deutschen Ingenieur das Gegentheil doppelt nöthig. Die oft aufgestellte Behauptung, dafs der klassisch Gebildete die neuen Sprachen spielend lerne, ist eine kühne Fabel; unsere Ju risten, Mediziner, Theologen u. s. w. leiden im allgemeinen an schlimmer Unkenntnifs darin. Mancher fidele Landrichter declamirt hinter dem gewohnten Schoppen mit Behagen einzelne, schöne Erinnerungen aus Horaz und Homer, kommt er aber einmal zufällig über die Grenzen des lieben Vaterlandes, so gleicht er in seiner sprachlichen Hülfslosigkeit dem, aufs Trockene geworfenen, vergebens nach Luft schnappenden Fische und beneidet gewifs die unverfrorene Sicherheit eines sprachgewandten Kellners oder Handlungsreisenden. Wir geben gern zu, dafs die Schule keineswegs zum Verkehre im Eng lischen und Französischen genügt, aber sie ver leiht doch wenigstens die grundlegenden Vor kenntnisse , auf denen die spätere Fertigkeit beruht. Die heutige gebildete (Welt befindet sich in einer Uebergangszeit bezüglich der Anschauungen