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Januar 1882. „STAHL I NI) EISEN.“ Nr. 1. 3 Auch die in jüngster Zeit vielfach laut gewordenen Klagen, dafs infolge der Zölle auf Lebens mittel die Existenz der Arbeiter gefährdet, erscheinen mir aufserordentlich übertrieben. Soweit meine Erfahrungen reichen, und einer Verwaltung angehörend, welche 7000 Arbeitern Beschäftigung bietet, darf ich mir wohl ein Urtheil erlauben, haben sich die Existenzbedingungen der Arbeiter in letzter Zeit wesentlich gebessert. Sollten wirklich die Getreidezölle eine Vertheurung des Brodes herbeigeführt haben, was ich weder glaube noch nachweisen kann, so übersteigt die inzwischen erfolgte Lohnsteigerung jedenfalls das vielfache dieses Betrages. Ich fürchte nicht den Widerspruch der Versammlung, wenn ich behaupte, dafs nicht allein der Schichtlohn eine Erhöhung erfahren hat, sondern mehr noch die Einnahmen des Arbeiters sich dadurch gehoben haben, dafs derselbe befähigt war, seine volle Arbeitszeit auszunützen. Von mehreren der gröfsten Eisenwerke unseres Bezirks ist mir bekannt geworden, dafs der durch schnittliche Jahresverdienst der Arbeiter seit dem 1. Juli 1879 sich um 10 % = circa 80 Mark gesteigert hat. Die Industrie und insbesondere die Eisen- und Stahlindustrie ist und wird stets bestrebt sein, durch Wohlfahrtseinrichtungen aller Art erträgliche Zustände für ihre Arbeiter zu schaffen. In der That dürften nur wenige Erwerbszweige in unserm Vaterlande dem Arbeiter gleich günstige Be dingungen bieten, wie gerade die Eisen- und Stahlindustrie. Von dem Wohlergehen dieser Industrie hängen schwerwiegende Interessen ab; mögen fernere Experimente, worunter dieselbe so lange und schwer gelitten, derselben in Zukunft erspart bleiben. Wenn eine verständige und stabile Wirthschaftspolitik in erster Linie die Existenz der Eisen- und Stahlindustrie bedingt, so sind indessen auch noch andere Momente für das Gedeihen derselben von durchschlagender Wichtigkeit, ich meine die Bedingungen einer billigen Fabrication und die hierdurch bedingte Möglichkeit eines gesicherten Exportes. Um billig zu fabriciren, bedarf die Eisen- und Stahlindustrie aber vor allem billiger Frachten und Verkehrserleichterungen nach allen Richtungen. Die an die Verstaatlichung der Bahnen geknüpften Hoffnungen bezüglich Frachtermäfsigungen sind bis jetzt leider nicht in Erfüllung gegangen, da wohl eine Vereinfachung, aber keine wesentliche Ermäfsigung der Tarife Platz gegriffen hat, wozu der in jüngster Zeit zu beklagende Wagenmangel verschärfend hinzugetreten ist. Die westlichen industriellen Provinzen sind der Verstaatlichungsidee im grofsen und ganzen wohlwollend entgegengetreten, in der Voraussetzung, dafs eine Tarifpolitik befolgt werden würde, welche nicht allein eine directe hohe Verzinsung der angelegten Kapitalien anstreben, sondern auch die indirecten Vortheile in Rechnung ziehen würde, welche durch Gewährung billiger Frachtsätze dem Gemeinwohl beziehentlich dem Staate erwachsen. Wir hoffen, diese Voraussetzung wird sich noch erfüllen, um der heimischen Industrie den Kampf gegen das mächtige Ausland zu ermöglichen. Nicht minder warm werden Sie, m. H., diejenigen Bestrebungen unterstützen, welche darauf gerichtet sind, durch eine angemessene Colonialpolilik unserer Industrie einen dauernden Export zu sichern, da Sie wissen, wie sehr das Wohlergehen unserer Industrie von einem starken Export bedingt wird. Eine nationale Colonialpolitik würde vielleicht auch den Erfolg haben, dafs das heimische Kapital, ähnlich wie solches z. B. in England der Fall ist, sich mehr direct schöpferischen Unter nehmungen zuwenden würde, anstatt, wie bisher, ausländischen Märkten die Mittel zur Ausführung derartiger Unternehmungen zu bieten. Den demnächst zu erwartenden Zollanschlufs Hamburgs werden Sie mit Freuden begrüfst haben, da diese mächtige Handelsstadt, welche Verbindungen über die ganze Erde unterhält, befähigt ist, den Producten deutschen Gewerbfleifses weite Absatzgebiete zu erschliefsen. Zurückkehrend zu den internen Interessen unseres Vereins, habe ich Ihnen die Mittheilung zu machen, dafs Ihr Vorstand sich in jüngster Zeit mit der Frage der Organisation einer Schule be- fafst hat, welche zum Zwecke hat, ähnlich wie die Bcrgschule für den Bergbau, Meister für die Eisen- und Stahlindustrie heranzubilden. Wie segensreich die Bergschulen gewirkt, ist allgemein bekannt, und Sie werden gewifs, ebenso wie Ihr Vorstand, diesem Unternehmen Ihre volle Sympathie entgegenbringen. Unser verehrtes Mitglied, Herr Bergrath Dr. Schultz, wird Ihnen die Ziele und Organisation der Schule näher darlegen, und geben wir uns gern der Hoffnung hin, dafs Sie demnächst Veranlassung nehmen, das Unter nehmen mit allen Kräften zu unterstützen. Nach Vorschrift des $ 4 unserer Statuten sollen von dem zur Zeit aus 15 Mitgliedern be-