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508 Nr. 6. STAHL UND EISEN.“ Juni 1890. den Beisitzer für die Annahme eines indirecten Wahlsystems aussprechen und es bleibt nur noch darzulegen, welcher Weg uns innerhalb dieser Grenzen als der empfehlenswertheste erscheint. Die Einführung der Gewerbegerichte ist ein weiterer Schritt in der Betheiligung des Laien- | elements an der Rechtspflege, sie sind insofern : mit den Schöffengerichten zu vergleichen. Es kann sieh deshalb fragen, ob nicht die Vor- I Schriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Bildung der Schöffengerichte das Vorbild für das Wahlverfahren bei den Gewerbegerichten abgeben sollten. Wie dort ein gewählter Vertrauensmänner- Ausschufs unter dem Vorsitz des Amtsrichters aus einer »Urliste« aller zum Schöffenamt fähigen Männer diejenigen auswählt, welche im nächsten Geschäftsjahre als Schöffen einberufen werden sollen, so könnten hier besondere Wahlausschüsse, zu gleichen Theilen aus Arbeitgebern und Ar beitern bestehend, gebildet werden, um unter Leitung des Gewerbegerichts - Vorsitzenden in collegialischer Berathung eine Beisitzerliste für das nächste Jahr oder für eine längere Periode festzustellen. Durch die Einrichtung solcher Wahlausschüsse, deren Mitglieder ohne weitere Zwischeninstanz vor den beiderseitigen Standesgenossen gewählt werden könnten, würden die mit der directen Wahl der Beisitzer verbundenen Unzuträglichkeiten vermieden, eine schädliche Erregung der Wähler massen, eine agitatorische Beeinflussung derselben im Hinblick auf eine bestimmte Zusammensetzung des Gewerbegerichts und Einigungsamts, so gut wie ausgeschlossen werden. Dem Verfahren steht nur das Bedenken entgegen, dafs es in den Wahlausschüssen eine bisher nicht vorhandene, in keiner bestehenden Einrichtung wurzelnde Or ganisation erfordern und so zu einer weiteren Complicirung unseres schon hinreichend ver wickelten öffentlichen Lebens beitragen würde. Eine solche Neubildung ist aber auch keines wegs unentbehrlich, da wir in den Vorständen der Kranken- und Knappschaftskassen schon Vertreter der Arbeiter besitzen, welche für die Ausübung des in Rede stehenden Wahl rechts in vorzüglichem Grade geeignet sind. Die bezeichneten Vorstände sind, abgesehen von der ihnen in Gemeinschaft mit Vertretern der Arbeit geber obliegenden Kassenverwaltung, schon durch die bisherige socialpolitische Gesetzgebung mit einer Reihe wichtiger Befugnisse betraut worden. Nach dem Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 haben sie die für den Bereich dieses Gesetzes geschaffenen »Vertreter der Arbeiter« zu wählen, wodurch sie mittelbar einen Einflufs auf die Zusammensetzung der Schiedsgerichte und des Reichsversicherungsamts, also auf die Entschei dung über alle Unfallentschädigungs-Ansprüche, ausüben und an dem Erlafs von Unfallverhütungs vorschriften betheiligt sind. Dieselben Vorstände werden ferner nach dem Invaliditäts- und Alters- Versicherungsgesetz vom 22. Juni 1889 die Wahl des mit wichtigen Rechten ausgestatteten »Aus schusses« der Versicherungsanstalt vorzunehmen haben und in dem Verfahren für die Rentenfest- Stellung zu einer unter Umständen mafsgebenden Meinungsäufserung berufen sein. Soweit also bei der Wahl von Beisitzern zu den Gewerbegerichten die Interessen der Arbeiter wahrzunehmen sind, kann diese Wahl keinen besseren Organen anver traut werden, als den aus dem Arbeiterstande entnommenen Vorstandsmitgliedern der erwähnten Kassen, welche bereits für eine Reihe materiell bedeutsamer Functionen das Vertrauen der Ar beiter geniefsen. Es sprechen aber für die vor geschlagene Regelung noch andere Gründe. Die Arbeiter wissen recht wohl, dafs für eine Kassenverwaltung unruhige Köpfe, social demokratische Hetzredner, nicht zu brauchen sind, sie sehen deshalb im eignen Interesse darauf, dafs ihr Candidat ein ruhiger, zuverlässiger und einigermafsen geschäftserfahrener Mann ist. Andererseits übt erfahrungsmäfsig das gemeinsame Wirken mit den Vertretern des Arbeitgebers auf die gewählten Arbeitervertreter einen mäfsigenden und erziehenden Einflufs aus; sie lernen dieWohl- thaten der socialpolitischen Gesetzgebung besser als bisher würdigen, sie begreifen, dafs die Inter essen des Arbeiters in vielen Beziehungen mit denen des Arbeitgebers identisch sind, sie werden so mit der Zeit ein, allen Umsturzbestrebungen abgeneigtes conservatives Element der Arbeiterschaft. Dieses Element zu stärken, sein Ansehen in der Arbeiterwelt möglichst zu erhöhen, mufs das Ziel einer vernünftigen Socialpolitik sein, ein geeignetes Mittel bietet sich aber hierfür in der Uebertragung des in Rede stehenden Wahl rechts an die erwähnten Kassenvorstände. Es bedarf endlich nach dem oben Ausgeführten keiner weiteren Darlegung, dafs ein in dieser Weise geregeltes Wahlverfahren nur von günstigem Ein flufs auf die Zusammensetzung der Gewerbegerichte und damit von besonderer Bedeutung für die einigungsamtliche Function derselben sein würde. Wir schlossen unsern vorigen Artikel mit der Ausführung, dafs man sich allzugrofsen Er wartungen über die Wirksamkeit der Einigungs ämter mit Rücksicht auf die die Arbeiterwelt gegen wärtig beherrschenden Strömungen nicht hingeben dürfe. Wir möchten dem heute hinzufügen, dafs, wenn diesen Strömungen durch die Einführung des directen Wahl verfahrens für die Beisitzer der Gewerbegerichte ein neues Kampfmittel gewährt wird, dann aller Voraussicht nach die Einigungs ämter für die Arbeitgeber unannehmbar sein werden. K. w.