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906 Nr. 12. .STAHL UND ESEN.® December 188?. deren hohe Spannung ihnen ferner ein hinreichendes specifisches Gewicht giebt, um die darüber lagernden flüssigen Massen nicht einsinken zu lassen, auf denen dann aber die starre Erdkruste ruht. Da jedoch das mittlere specifische Gewicht der Erde die Zahl 6 nicht übersteigt, die hochgespannten Gase aber nach Obigem weit schwerer sind, so scheint es, als ob der hypothetische gasförmige Kern nicht allzu weit nach oben reichen dürfte. Man denke sich jetzt den ganzen Schacht mit flüssigen Lavamassen angefüllt, deren specifisches Ge wicht 2 sei. Denkt man sich dann in der Nähe, vielleicht bis zu 18 Meilen Tiefe, einen Parallelschacht angelegt, der Luft enthält, so würde dieselbe nach der früheren vereinfachenden Annahme unten das specifische Gewicht 3 haben. Würden nun beide Schachte in dieser Tiefe verbunden, so würde die schwerere Luft dem Erdcentrum zustreben und die Lava dorthin drängen, wo Raum vorhanden ist, d. h. die Lava würde an der oberen Schachtöffnung (event. auch an der entgegengesetzten) continuirlich über- fliefsen, während durch den Luftschacht dauernd Luft einfliefst. Die Lavamassen würden also ohne jede ruckweise Explosion allmählich aus dem Schacht hinaus befördert werden. Lediglich der Kampf der speci- fischen Gewichte untereinander würde einen dauernden vulkanischen Ausbruch verursachen. Je mehr Lava aber herausgetrieben wird, um so mehr Luft würde die Atmosphäre verlieren. Man mufs unwillkürlich an den Mond denken, dessen Oberfläche von Kratern bedeckt ist, der aber eine Atmosphäre nicht mehr besitzt. Das Gesagte würde noch nicht die schlechteste Hypothese für das Verschwinden der Lufthülle sein. Dies klingt ganz anders, als die gebräuchlichen vulkanischen Theorieen, welche z. B. auf irgend eine Weise Wasser ins Innere gelangen und dasselbe ver dampfen lassen, worauf in irgend einem Hohlraum durch Berührung mit den heilsen Theilen des Erd- innern eine derartige Spannung entstehen soll, dafs Erdbeben entstehen und bei dem Ausbrechen der über hitzten Dämpfe Theile des Magmas (d. h. des flüssigen Erdinnern) mit emporgetrieben und hinausgerissen werden. Nach den obigen Betrachtungen würden dazu Spannungen nöthig sein, die gröfser sind, als die be rechneten. Bringt doch im Centrum die Spannung von 13 Millionen Atmosphären nicht Explosionen und dergleichen, sondern nur Gleichgewicht der Luft säule hervor. Humboldt betrachtete die Vulkane als Sicher heitsventile der Erde und hielt die Ursache der Erd beben für beseitigt, sobald der Ausbruch der Vulkane erfolgte. Unsere Betrachtungen zeigen aber, dafs selbst infolge jener Spannung von 13 Millionen Atmosphären eine Ausbruchgefahr explodirender Gase noch nicht vorhanden ist. Denkt man sich den Luftschacht bis ins Erdinnere fortgeführt und durch eine Scheidewand von dem Magma getrennt, so würde ein Durchbrechen der Wand an beliebiger Stelle, wenn sie nur tief genug liegt, einen Austausch folgender Art hervorrufen: Die glühendflüssigen Massen würden in den Schacht herein- fliefsen und, da ihr specifisches Gewicht kleiner ist, als das der comprimirten Luft, im Schachte empor steigen und infolge der Beharrung sogar über die Gleichgewichtsstelle hinaus gelangen. Dafür würde die comprimirte Luft durch die Wandöffnung in die flüssigen Massen eindringen und den freigewordenen Raum ausfüllen, um schliefslich bis zum Centruin hinabzusinken. Wem solche Betrachtungen phantastisch erscheinen, dem sei bemerkt, dafs sie weit nüchterner sind, als die Humboldtschen Theorieen, als die bekannte Falb sehe Erdbebentheorie und Aehnliches. Es handelt sich lediglich um Consequenzen gewisser physikalischer Gesetze. Allerdings kann man die letzteren nur als An näherungen betrachten, denn Niemand kann von dem, was er bei den kleinen Verhältnissen des Laboratoriums bestätigt findet, auf Zustände schliefsen, bei denen es sich um tausendfache Spannungen und Hitzegrade handelt. Was sich also gegen unsere Betrachtungen einwenden läfst, wird nicht gegen die logischen Folgerungen, sondern gegen die allgemeine Gültigkeit der Gesetze gerichtet sein. Unsere Betrachtungen widersprechen allerdings den landläufigen Ansichten, aber nicht den anerkannten Gesetzen. Ritter hat seine Theorieen über die Constitution gasförmiger Weltkörper besonders in der Absicht auf gestellt, die Natur der Sonne zu ergründen, die ein solcher Gasball zu sein scheint, dessen Kerntemperatur nur nach Millionen von Graden taxirt werden kann, Seine Untersuchungen werden den Anlafs geben, die Kant-Laplacesche Hypothese von der Bildung des Sonnensystems einer wissenschaftlichen Kritik zu unter werfen, die bisher weniger möglich war. Ein Theil der Forscher nimmt an, dafs der Erdball bis zum Centrum in festem Zustande sei, andere nehmen das Erdinnere als flüssig an. Ritter hat gezeigt, dafs er ebenso gut im Innersten gasförmig, weiter oben flüssig und an der Oberfläche fest sein kann. Wie es in Wirklichkeit ist, kann noch Niemand entscheiden. Die Wissenschaft wird sich noch lange Zeit mit dem Schachtprobleme beschäftigen müssen, ehe die Physik des Erdinnern hinreichend erforscht sein wird. Erst dann würde für die Wissenschaft der Geologie eine befriedigende Grundlage geschaffen sein. Was wir bis jetzt haben, ist zum Theil auf gewagte, zum Theil auf unhaltbare Hypothesen gegründet. Nur durch Berechnungen nach Art der Ritt ersehen, die übrigens in wissenschaftlichen Kreisen grofses Aufsehen erregt, nirgends aber einen begründeten Widerspruch gefunden haben, wird man imstande sein, über die innere Constitution der Erde, der Sonne und der zahllosen Fixsterne richtigere Anschauungen zu erhalten. Das Weltall aber erscheint uns in demselben Mafse grofsartiger, je tiefer unser Einblick in seine Gesetze wird, und je mehr Räthsel der Lösung entgegen geführt werden.