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Die Königliche Industrieschule zu Plauen i. V. or einiger Zeit haben unsere Wochen berichte eine kurze 1 Notiz über die Einweihung des Neubaues der königl. Industrieschule zu Plauen gebracht. Indem wir glauben, der Pflege des Musterwesens, jenes ewigen Räthsels der Textilindustrie, das wohl nie seine ganze Lösung finden, sondern in immer neuen Fragen und Aufgaben sich ver jüngen wird, die weittragendste Bedeutung einer Lebensfrage für das weitere Fortschreiten eines mit jedem Jahre volkswirthschaftlich wichtiger werdenden Gewerbszweiges fast aller Nationen beimessen zu müssen, so betrachten wir auch die Einweihung eines neuen Tempels des guten Geschmacks als ein Ereigniss von mehr als gewöhnlicher Bedeutung, welches wir deshalb aus der kleinen Chronik unserer Wochenbe ¬ richte in die grosse Chronik unserer Monat schrift herüber nehmen wollen. lungen war zu eng geworden; die Industrie des Voigtlandes hatte seit 1880 durch Einführung der Fabrikation englischer Gardinen, der Tüll- stickerei und der Aetzspitzenfabrikation neue Triebe angesetzt, welche zu ihrem Wachsthum Licht und Luft und wiederum Raum verlangten. Die Petition des Stadtrathes zu Plauen, welche vom HerrnOberbürgermeister Kuntze ver anlasst und abgefasst wurde, fand beim Land tage und bei der hohen Staatsregierung eine äusserst günstige Aufnahme. Es wurde be- schlossen, die Fachzeichenschule zu einer Staats anstalt zu erheben und ihr auf Staatskosten, unter Mitwirkung der Stadtgemeinde und der Industriellen, ein eigenes Gebäude herzustellen. Bis zur Fertigstellung des Neubaues wurde gleichzeitig ein jährlicher Staatszuschuss von 20 000 M. bewilligt, um unterdessen die alten Schulräume und die öffentlichen Vorbildersamm lungen entsprechend erweitern, sowie die An stellung von 3 neuen Lehrern ermöglichen zu können. Am 11. Mai 1891 konnte der Neu bau bezogen und eine Neuorganisation durch Die königl. Industrieschule zu Plauen i. V. Die kgl. Industrieschule zu Plauen ist aus der im Jahr 1877 gegründeten kunstgewerblichen Fachzeichenschule hervorgegangen. Letztere, vom Plauener Stadtrathe in’s Leben gerufen, um zunächst eine Lücke der localen Industrie auszufüllen, vom königl. Ministerium mässig unterstützt und vom Schuldirector Herrn Krause geleitet, begann ihre Thätigkeit in sehr beschei denem. Maassstab mit genau 1 Schüler und 2 Hospitanten; denn es gab damals im Voigtlande genug Kleingläubige, welche der jungen, fast Schüler- und thalerlosen Anstalt ein baldiges Absterben weissagten, vielleicht auch gegönnt hätten. Es gehörte unter solchen Umständen für den Director wie für den ihm damals bei gegebenen Lehrer, jetzigen Leiter der Anstalt, Herrn Prof. R. Hofmann, einiger persönlicher Muth dazu, das begonnene Werk am Leben zu erhalten und weiterzuführen. Doch die Ent wickelung machte stetige Fortschritte, bis man endlich im Jahr 1886, ermuthigt durch die zunehmende Zahl der Schüler und durch den Beifall, welchen ihre Arbeiten auf den kunst gewerblichen Ausstellungen in verschiedenen Städten des engeren und weiteren Vaterlandes fanden, vor die Regierung treten zu dürfen glaubte, um, unter Hinweis auf das sicher ge legte Fundament, ihre Hilfe für den äusseren und inneren Ausbau der Anstalt zu erbitten. Der Raum für die Schüler und für die Samm geführt werden, welche allen Anforderungen an eine industrielle Bildungsanstalt der Neuzeit entspricht. Die jetzige Industrieschule zerfällt darnach in 4 Haupttheile: 1) die Musterzeichen schule mit Maschinenstick- und Webabtheilung, 2) die Frauenarbeit schule, 3) die Fabrikanten - schule, 4) die öffentliche Vorbildersammlung. Letztere besteht aus einer Sammlung von Er zeugnissen der modernen Textilindustrie und einer Bibliothek mit öffentlichem Zeichensaale. Die Anzahl der Lehrer äusser dem Director beträgt 16, die Zahl der Lehrerinnen 5, der Schüler 70, der Schülerinnen 16. Die Gesammtkosten des 4000 m 2 umfassen den Grundstückes belaufen sich, einschliesslich Strassen- und Bauplatz, welche von der Stadt gemeinde Plauen beigesteuert worden sind, auf nahezu 700 000 M.; das Gebäude für sich allein ist auf 573 000 M. zu stehen gekommen. Wie unsere Abbildung zeigt, stellt dasselbe einen imponirenden Bau vor, dessen schönes Aeussere schon dem Beschauer zu verstehen giebt, dass das Innere ein Angehöriges der grossen Familie des Kunstgewerbes beherbergt, welches an seine Jünger und an seine Um gebung künstlerische Ansprüche zu machen be rechtigt ist. Durch das nach der Bahnhofstrasse zu ge legene Hauptportal tritt man zunächst in eine Vorhalle ein, deren Hauptschmuck in 2 bron- ■ zenen Greifen oder Thürhütern besteht. Diese, i wie der übrige Figurenschmuck des Gebäudes, sind von den Industriellen der Stadt Plauen I gestiftet worden. Aus der Vorhalle tritt man j in das Treppenhaus. Zu Seiten der Haupt treppe sind die allegorischen Figuren der Kunst und Wissenschaft aufgestellt. Das Treppen haus entwickelt sich von unten aus in einfacher Weise, bis sich die doppelarmige Treppe im II. Obergeschoss zu einer prächtig ausgestatteten Treppenhalle erweitert. Ein reich ornamentirtes, | vom Decorationsmaler Schultz in Leipzig aus- | geführtes Decken-Gemälde zeigt als Mittelstück eine allegorische Darstellung der Textil industrie, während vier auf den Treppen postamenten aufgestellte bronzene Statuetten den Handel, das Kunstgewerbe, die Ma lerei und di$ Zeichenkunst versinnlichen. Die übrigen vier Postamente der Treppenhalle sind mit prächtigen elektrischen Kandelabern ge schmückt, welche das Treppenhaus bei Abend j glänzend erleuchten. — In dem linken Flügel des | Gebäudes befindet sich zunächst im Erdgeschoss das Museum für Textilindustrie, An eine pracht- j volle Säulenhalle von 36 Meter Länge und 10 Meter Tiefe, deren Gewölbebau von 18 polirten Granitsäulen getragen wird, schliessen sich nach vorn und hinten Nebenräume an. Die eigenartige Einrichtung des Museums ist naeh Angaben des Directors in schöner archi tektonischer Durchführung vom königl. Land bauamt in Zwickau entworfen. Die reichhaltige Sammlung selbst aber bietet insofern ein ganz hervorragendes Interesse, weil sie ausschliesslich Erzeugnisse der modernen Textilindustrie ent hält und ein ziemlich umfassendes Bild von der Leistungsfähigkeit derselben giebt. Im I. und II. Obergeschoss befindet sich das Di- rectorialzimmer, die Musterzeichnerschule und die Modellkammer. — In dem rechten Flügel des Gebäudes ist im Erdgeschoss und I. Ober geschoss die Abtheilung für Frauenarbeiten und im II. Obergeschoss die Wohnung des Directors untergebracht. — Der nach der Bahnhofstrasse zu gelegene Mittelbau enthält im I. Oberge schoss den Ausstellungssaal für die Gewerbe treibenden der Stadt Plauen und im II. Ober geschoss die prachtvoll ausgestattete Bibliothek, welche, wie das Museum, täglich zu freier Be nutzung für die industrielle Bevölkerung des Voigtlandes und Erzgebirges geöffnet ist. — Im Sockelgeschoss des Gebäudes ist auf dem rechten Flügel die Maschinenstick- und die Webschule (Fabrikantenschule) untergebracht, während auf dem linken Flügel der Kesse)- und Maschinen raum, sowie die Kellerräume sich befinden. Das Gebäude, nach den Plänen des kgl. Land bauamtes Zwickau in modernem Renaissance- style ausgeführt, insbesondere dessen Mittelbau in reiner Sandsteinarbeit, ist von prächtiger Wirkung. Für die Winterzeit sorgt theils eine Dampf-, theils eine Dampfwarmwasser heizung mit Niederdruck. Ausserdem ist das Gebäude elektrisch beleuchtet, w t eiche Ein richtung die Firma Schuckert & Co. in Nürnberg (Zweigniederlassung in Leipzig) ausgeführt hat. Das Treppenhaus und sämmt- liche Corridore sind überdies mit Gas — als Nothbeleuchtung — versehen. Zur Zucht von Pflanzen als Lehrmittel wird das Gebäude mit Gartenanlagen umgeben. Nachdem die Uebersiedelung aus den alten Räumlichkeiten zu Ende geführt worden, konnte das neue Haus und seine Ausstattung am 3. October des Jahres vom Herrn Geh. Rath Böttcher im Namen der hohen Staatsregierung dem Director der Anstalt officiell und feierlich übergeben werden. Aus seiner Ansprache an die Theilnehmer des Festactes möchten wir eine Stelle hervorheben, welche uns als eine Ar Programm für sämmtliche Gewerbeschulen höhe