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lockerung der Vliesse durch Einwirkung nur gelinder Wärme für eine leichte und besonders exactc Sor- tirung sich empfiehlt. Wenn nun die erwähnte feine schlesische Wolle früher bei 38° R. erwärmt wurde, wozu schon 30° genügen dürften, so ist es rein un erfindlich, wie man nachher zu diesem Zwecke einen Wärmegrad von 70 - 80° R. anwenden kann. Man verstehe es nur recht : 80" R. ist der Siedepunkt des Wassers; und dann ist es doch hier wohl eine trockene Wärme, durch welche eine feine Wolle entschieden leiden und in ihrem guten Charakter beeinträchtigt werden muss. Ohne dass man hier zum Vergleich ein Muster der nichtvorgewärmten und der vorgewärmten W’olle in Händen hat, kann schon mit absoluter Sicherheit behauptet werden, dass die Einwirkung einer so hohen, trockenen Tem peratur die Wolle nicht nur spröde macht, sondern diese auch in ihrer Haltbarkeit wesentlich beein trächtigt. Ich vermuthe sogar, denn der Schluss der Frage lässt dies voraussetzen, dass der Fragesteller die diesbezüglichen Erfahrungen der verminderten Haltbarkeit der Faser schon gemacht hat, und es kann hier nur angerathen werden, dass mit einem derartigen Anwärmungssystem auf der Stelle ge brochen wird. Lieber die Wolle gar nicht vorwärmen, denn absolut nothwendig ist dies nicht und ein be sonders ins Gewicht fallender Zweck wird mit diesem Vorwärmen nicht erreicht. Sodann muss auch noch erwähnt werden, dass die Wolle durch die hohe, trockene Temperatur nicht nur spröde wird und an Haltbarkeit verliert, sondern dass sie auch an Filz fähigkeit verliert, und dass die Waare beim Wa'.ken einen entschieden grösseren Walk Verlust durch ver mehrten Abstoss von Walk haaren ergeben wird. Frage steller wird also finden, dass die hier angeführten Uebelstände schon eine ganz hübsche Blumenlese von Nachtheilen in sich schliessen und kann nicht mehr zweifelhaft darüber sein, was zu thun und zu lassen ist. G. B. Technische Notizen etc. Hygienische Seide. Unter dem Schlagwort Sani tat s-Unter kleid er brachten wir in No. 17 unserer Wochenberichte eine kurze Notiz unseres Sp.-Correspondenten, in welcher er sich über den neuerlichen Sport des hygienischen Wettrennens unserer verschiedenen Textilfasern lustig machte. Er that dies in seiner schnurrigen Weise, ohne dass es just böse gemeint war. In Erwägung, dass die Reihenfolge der verhältnissmässig rasch in der Hygiene sich ablösenden Faserstoffe: Leinwand, Schafwolle (Jäger), Baumwolle und wieder Leinwand (vgl. d. Wochenber. No. 14 d. J) und neuerdings Seide, in der That etwas Ueberraschendes an sich hat, in Erwägung ferner, dass dieser Umstand wohl zu einem entschuldbaren Skepticismus bezüglich der ganzen Angelegenheit verleiten kann, bewilligten wir damals der Notiz die unveränderte Aufnahme in unsereWochen- berichte. So unscheinbar das Artikelchen auch an und für sich war, zog es uns doch eine ernste Be lehrung seitens eines unserer Leser zu, welcher in einem uns zugegangenen Schreiben betonte, dass die Seide allerdings das der Gesundheit zuträglichste Bekleidungsmaterial sei, sofern sie — wenn selbst geruchlos hergestellt — die üblichen Bestandtheile der Hautausdünstung und des Schweisses unseres Körpers nicht, wie die anderen Textilstoffe, aufnehme, dass sie ferner beim Tragen ein angenehmes Gefühl auf der Haut erzeuge, dass sie dabei nicht kälte und endlich sehr fest und haltbar sei. Der Einsender fährt dann fort: Die Kostspielig keit der Seide ist wohl der einzige Grund, dass die selbe nicht häufiger getragen wird, als es der Fall ist. Man hat aber neuerdings ein Verfahren ge funden, nach welchem Bourretteseide (Rohseidenab fall) zu Unterzeugen benutzt werden kann und dies Verfahren ist dem ausübenden Vertreter der Natur heilkunde Herrn Bruno Beyer in Grossenhain (Sachsen) patentirt worden (D.-R.-P. No. 57 059). Die Bourretteseide besitzt indessen — wie bekannt — infolge ihr anhaftender Substanzen einen sehr üblen Geruch, welcher auch durch die chemische Bleiche nicht leicht zu entfernen ist. Es würde ohne besondere Behandlung diese Seide beim Tragen auf dem Kör per die riechenden Dunststoffe ebenso begierig, wie Wolle, Baumwolle und Leinen aufsaugen und fest halten. Durch das Herrn Beyer patentirte Verfahren wird dieser üble Geruch aus der Bourretteseide gänz lich beseitigt; sie wird dadurch vollständig geruch frei und wirkt direct geruchabstossend. Aus der so präparirten Seide werden nun Gesundheits kleider hergestellt, welche in Bezug auf Billigkeit denjenigen aus Wolle und Baumwolle nahezu gleich kommen und dabei allen Anforderungen entsprechen, die man heute an eine gesundheitsdienliche Unterkleidung stellt. Die Behandlung der aus Rohseidenabfällen ge ¬ sponnenen Garne oder der am besten auf dem Rund- t wirkstuhl hergestellten Gewebe beginnt zunächst mit einem Oelseifebad, in welchem dieselben durch 20 Tage, jeden Tag 15 Minuten, gekocht werden. Dann wird die Waare in kaltem Wasser gespült und für mehrere Stunden in ein Wasserdampfbad gelegt. Hierbei bestreut man sie in dünnen Schichten mit Chlornatrium, welches durch die Dämpfe gelöst wird und die Garne und Gewebe vollständig durch dringt. Nach dem Dämpfen spült man sie wiederum und bringt sie nass auf den Rasen zur Naturbleiche oder in eine Trockenkammer von mässiger Tempe ratur. Nach vollständigem Trocknen werden sie am nächsten Tage derselben Behandlung, vom Seifenbad an, nochmals unterworfen und diese wiederholte Be arbeitung mindestens 20 Tage fortgesetzt. Schliesslich wird in fliessendes Wasser gehängt und 24 Stunden gespült. Die Garne und Gewebe zeigen dann eine mattweisse Farbe und sind von jedem Geruch frei Man verarbeitet sie nun zu Kleidungsstücken, ohne zu färben, w-äscht sie nach ihrer Fertigstellung in einem kalten, mit übermangansaurem Kali versetzten Wasserbad aus und legt sie dann nochmals in eine verdünnte Chlornatriumlösung, in welcher man sie auch behufs Reinigung nach dem Tragen auswäscht. Der Erfinder hat die Verwerthung seines Pa tentes energisch in die Hand genommen, so dass schon Bestellungen auf Hemden, Unterhosen, Socken und Strümpfe von ihm angenommen werden. Gleich zeitig sucht er Verbindungen mit Fabri kanten anzuknüpfen, um der Seidenkleidung die weiteste Verbreitung zu verschaffen. Später soll das Patent Beyer auch für rohseidene Umschlageinlagen u. dgl. Anwendung finden, wofür insbesondere der Patentträger die fachkundige Unter stützung von Seidewebern und Seidewaarenhändlern sucht, welche mit diesen Artikeln und ihrem Verbrauch ganz genau vertraut sind. —r. Anmerkung der Redaction. Wir lesen soeben von der mechanischen Tricotweberei Liebmann & Levi in Hechingen, dass dieselbe mit nachahmungswerther Unparteilichkeit und mit gleicher Vorliebe Tricots nach dem System Jäger, System Lahmann und System Kneipp fabrieirt. Wir zweifeln nicht, dass sie auch das seidene System acceptiren wird und machen den oben genannten Erfinder daher auf diese vielseitige Firma aufmerksam! Aus den Handelskammerberichten. (Spezialbearbeitungen für die „Leipziger Monatsehrift für Textil-Industrie“.) Sp. Der Jahresbericht der Handelskammer zu Offen bach a. M. für das Jahr 1890 leuchtet wie ein weisser Rabe aus der Gesellschaft deranderenHandelskammer- berichte hervor. Man athmet ordentlich auf, wenn man zur Abwechselung auch einmal zu lesen bekommt, dass es der gewerblichen Produktion eines Distriktes im Grossen und Ganzen gelungen sei, im Jahre 1890 den Höhenstand des Jahres 1889 zu behaupten, wie vorliegender Bericht anzugeben weiss. Freilich muss man sofort zur Erklärung beifügen, dass dieser Kam meibezirk äusser dem Posamentiergewerbe kein sonstiges Mitglied der nicht eben wetterharten Textilbranche beherbergt. — Die zwei zu diesem Bezirke gehörigen Anilinfabriken hatten Veranlas sung, teilweise ihren Betrieb zu erweitern, und fürch ten sich vor Mc Kinley nicht im Geringsten. — Der Bericht spricht sich über die Beschickung der Chi cagoer Weltausstellung dahin aus, dass diese Frage seitens der deutschen Industrie nur nach rein wirth- schaftlichen Gesichtspunkten zu behandeln sei, d. h., sie sei im Princip der Entscheidung der Interessenten zu überlassen, wobei als selbstverständlich voraus gesetzt wird, dass, falls diese Entscheidung zu Gunsten einer Beschickung ausfällt, alsdann seitens der Reichs regierung eine thatkräftige Förderung dieser Be schickung, sowie nachdrückliche und umsichtige Wahrung der auf dieser Ausstellung zur Vertretung gelangenden deutschen Interessen erwartet werden muss. Rundschau. Bericht eines amerikanischen Journalisten über seine europäische Reise. Wir haben uns über das ruppige Benehmen der amerikanischen Regierung in handelspolitischen An gelegenheiten oft und deutlich genug ausgesprochen. Lassen wir zur Abwechslung in dieser Sache einem amerikanischen Urtheil das Wort, indem wir einen Artikel von Max Jägerhuber aus »Dry Goods Economist“ wiedergeben. Man wird finden, dass wir nie zu viel gesagt haben und dass die Wirthschaft drüben ein klein wenig an ein Narrenhaus erinnert. Jägerhuber hat auch dieses Jahr seine europäische Tour gemacht und hatte dabei Gelegenheit, mit diesem und jenem amerikanischen Consul zu verkehren, was vorausgesehickt werden muss, um die Quintessenz seiner „Reiseeindrücke“ richtig zu verstehen. Er sagt: Unsere viel geschmähten amerikanischen Consuln. deren Aemter man bisher gewohnt war, als Sinecuren zu beneiden, führen seit einem Jahr ein recht bemit- leidenswerthes Leben. Wer jetzt eines unserer Con- sulate in Europa besucht, muss den Eindruck gewinnen, dass entweder der betreffende Herr Consul ein Narr sei oder dass in Washington ein ewiger Carneval gefeiert werde. Alle Paar Wochen treffen neue Befehle, neue Instructionen und Ukase von dort ein, welche ein ander mehr oder weniger widersprechen, aufheben oder verschlimmbessern. Eines schönen Tages wird der arme Consul, welchem zuvor schon die Geschäfte über den Kopf gewachsen sind, beauftragt, er solle für jede von ihm zu bescheinigende Factura genaue Angabe über Fabrikationsweise, Calculationen und sonstige Geheimnisse beibringen. Natürlich verur sacht ihm diese Zumuthung nicht wenig Aerger und Verdruss und er muss sich beispielsweise gefallen lassen, dass man ihn ernstlich fragt, ob denn Amerika über Nacht in eine russische Gegend verwandelt worden sei ? Tags darauf wird Ukas No. 1 wider rufen und der arme Consul hat von Neuem seine liebe Noth. Einen Monat später wird Ukas No. 1 wieder aufgewärmt, um 14 Tage später, nachdem er genug Unheil angestiftet, wieder kalt gestellt zu werden. Dann werden wieder statistische Angaben über die Industrie der Handkarren oder Austernbüchsen von ihm einverlangt. Oder irgend ein Schwindler in Da kota oder in Washington will ein neues Mittel gegen das Sauerwerden der Milch gefunden haben; flugs wird von Amts wegen an die diplomatischen Agen ten Onkel Sam’s hinausgeschrieben, sie mögen diese Erfindung in ihren Consularbezirken empfehlen und sofort über den Vieh- und Kuhstand derselben ge nauesten Bericht erstatten. Tags darauf wird der ge plagte Consul vielleicht durch den Auftrag über rascht, er möge bei diesem oder jenem Fabrikan ten oder Händler über diesen oder jenen Gegenstand vertrauliche Erkundigungen einziehen. Ein Ukas No. 19 enthält ferner den Befehl, über die Düngmittel und Düngmaschinen seines Distriktes zu referiren, welcher zufällig nur in Spitzen und Stickwaaren macht. Mittlerweile erhält der Consul wohl auch den Besuch eines Landsmannes, welcher in irgend welche Schwie rigkeiten mit der Polizei des Landes gerathen ist. Aber der Consul hat keine Zeit, er kann ihm nicht helfen, sein Kopf ist voll von Dünger und Auster büchsen. Nicht genug, dass die Regierung den Consuln das Leben verbittert, sie sorgt auch dafür, dass sie dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen. Es existirt neuerdings in der Republik eine Art sogenannter öffent licher Bildungsanstalten und gewerblicher Curiositäten- ammlungen Aus ihren 10 000 Schülern, Lehrern und Ver- tretern der Journalistik werden nun eine Anzahl junger Bürschchen herausgeloost, welche die europäischen In dustrieschulen durchstöbern und deren Eipfluss auf die Gewerbeverhältnisse der betreffenden Länder aus forschen sollen. Zufällig traf ich mit einem solchen Hans Guckindiewelt in einem weltberühmten gewerb lichen Institut des Continents zusammen. Er stellte sich dem Leiter der Anstalt in nicht allzu bescheidener Weise vor; dieser - schaute ihn an, drehte sich um und liess ihn stehen. Nachher frug mich der Direktor, ob Amerika sich nicht schäme, Schuljungen, welche nicht einmal die Grundbegriffe des Anstandes kennen, herüberzusenden, um die Verhältnisse der europäischen Industrie zum Nutzen ihres Landes auszukundsebaften. Natürlich haben solche Sendlinge auch den Auftrag, die Ver mittlung der amerikanischen Consuln bei ihren Recog- noscirungen in Anspruch zu nehmen und die Folge davon ist, dass nicht nur die jungen Leute ihre Reise vergeblich gemacht, sondern auch die Consulate bla- mirt haben. Unter solchen Umständen darf mau sich nicht wundern, wenn das Ansehen unserer Consuln im Aus lande leidet und dass man sich nicht für unsere Aus stellung in Chicago erwärmen will. Mehrere Indu strielle versicherten mich, dass das letzte Jahr ihnen allen Appetit für das amerikanische Geschäft ver trieben habe. Nur - wenn es gelingt, das Ansehen unserer Consulate wieder herzustellen, kann man hoffen, dass es ihnen gelingen wird, die Industriellen Europas für die Ausstellung in Chicago zu gewinnen. Nach meiucn Beobachtungen ist es wirklich fraglich, ob der Ausstellung eine allgemeine Betheiligung bc- schieden sein wird. In neun Fällen unter zehn er widerte man mir auf meine Frage, warum dieser plötz liche Wechsel der Stimmung eingetreten sei? man habe leider iin letzten Jahre die Ueberzeugung ge wonnen, dass der Regierung von Washington jeder Begriff von Recht und Billigkeit und politischem Anstand abgehe und das sei der Grund der Ver stimmung der europäischen Industriellen. Noch ist es vielleicht nicht zu spät, den Dingen für Chicago einebessereWcndung zu geben, aber dann darf