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M ■■ M enn man über Aspekte der Ich bin der Aumtassung, daß-der VAT Ausbildung an der Tech- Ausweg in erster Linie ist und sein Wra® nischen Hochschule Karl- muß, die Natur des Lernens zu än- Ww Marx-Stadt sprechen soll, dern. Ich möchte das folgendermaßen muß man zunächst einiges charakterisieren: Wie war bisher der über die wissenschaftlich-technische Revolutioin sagen; denn die Diplom- ingenieuredie wir. heute ausbilden, Sind ja die Menschen, die die wis- senschaftlich-technische Revolution durchsetzen müssen, die die Träger dieser wissenschaftlich-technischen Revolution sein sollen. Wenn man die Entwicklung der Wisseinschaft betrachtet und die Ent- wicklu ngstendenzen aufstellt, so kann man sagen, daß die Entwicklung der Wissenschaft charakterisiert ist, erstens durch die Zunahme des Wis sens; zweitens durch eine zuneh mende Spezialisierung der Wissen schaften und drittens durch die Zu- naihme der Komplexität der Pro bleme der Wissenschaft. : Albersjede Spezialisierung hat ent scheidende Nachteile. Deutlich sicht bar wird das bei Lebewesen. Spezia lisierte Lebewesen sind weniger an passungsfähig als nicht spezialisierte Leibeweisen. Deshalb bringt die Spe zialisierung, die zwangsweise eine Be gleiterscheinung der absoluten Zu- nähme und der Vergrößerung der Komplexität der Wissenschaft ist, eine ganze Reihe von Nachteilen mit sich und in erster Linie den Rückgang der Anpassungsfähigkeit der Spezia listen. Eine ähnliche Tendenz kennt man in technischen Systemen. Ich brauche hier nicht ausführlich den Unter schied darzulegen zwischen einer Maschine mit Programmsteuerung und einer rückgekoppelten Maschine, also einer Maschine, die das Pro gramm über ein Zwischenglied durch die Messung am Ausgang des tech- Biologischen Prozesses verändert. Der Uinterschied zwischen beiden Maschinen ist, daß das eine System starr und unbeweglich ist; während das andere Anpassungsfähigkeit be- sitzt. Das Neue in der Entwicklung zu solchen anpassungsfähigen Systemen zur Ueberwindung der Starrheit, zur Uelberwindung der Spezialisierung, besteht darin, daß neben dem Begriff der „Beherrschung der Energie“ immer mehr der Begriff der „Be herrschung der Informationen" in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Der Begriff der Information wird also eine zunehmende ■ Bedeutung haben, eine Bedeutung, die gleichzu setzen ist mit dem klassischen Begriff der Energie. In unserem Betrieb wer den z. B. im Monat 80 Millionen Zah len verarbeitet und 40 Millionen Rechenoperationen durchgeführt. Der Inhalt der wissenschaftlich- technischen Revolution besteht mei ner Auffassung nach im Uebergang vom starren zum beweglichen System, wo neben der Energiebeherrschung die Informationsbeherrschung immer mehr in den Mittelpunkt rückt. In halt der wissenschaftlich-technischen Revolution ist also die Tendenz zur Anpassungsfähigkeit. Aus diesen Ueberlegungen zur wis- senschaftlich-technischen Revolution ist es möglich, die Anforderungen der zukünftigen Praxis an den zu künftigen Diplomingenieur abzulei ten, und daraus die Auswirkungen auf das Studium 'festzustellen. Ich be tone ausdrücklich, Anforderungen der zukünftigen Praxis, nicht der heutigen Praxis; denn wir bilden ja aus, um zu verändern. Ich möchte die ganze Problematik — Anforde rungen der zukünftigen Praxis und die Auswirkungen auf das Studium — in einige Problemkreise’ unterglie- dern. Das erste Problem ist: Studium verlängern, oder die Natur des Ler nens ändern. Was ist zu tun, um mit der absoluten Zunahme des Wissens und ■ der, Zunahme der Komplexität der Wissenschaften fertig zu werden? Muß das zu einer Verlängerung des Studiums führen oder nicht? Wenn man sich mehr Wissen aneignen will, wenn, man sich ein, komplexes Wis- seh aneignen will, braucht man mehr Zeit. Ist da der Ausweg die Verlänge rung des Studiums? Entwicklungsgang eines Fachschul oder Diplomingenieurs? ■ Man kann sagen, in der Schulzeit nimmt das Wissen ganz beträchtlich zu, in den ersten Jahren der Praxis auch noch etwas, dann bleibt es aber relativ konstant. Der größte Teil der Zu nahme des Wissens erfolgt also in der Schulzeit. Es ist eine Tatsache, daß auch Diplomingenieure glauben, wenn sie von der Hochschule kom men seien sie fertig' ausgebildet. Es ist unter den Ingenieuren und Diplomingenieuren eine sehr weit verbreitete Tendenz, im wesentlichen auf dieser Stufe stehenzubleiben. Natürlich lesen sie auch einmal eine Fachzeitschrift, aber das Studium ist zu Ende, und zur Qualifikation muß man erst aufgefordert werden. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich möchte fragen: Wie verlief denn, um einmal weit zurückzugrei- fen, schon vor 50 Jahren das natür- liche Leben eines Professors? Er hat noch gelernt bis zum letzten Tag! Das ist die Richtung, in der wir uns be wegen müssen. Das ist die Richtung, in der sich das Leben der Maischen verändern muß. In erster Linie das Leben derer, die sich als Akademi ker bezeichnen. Aus dieser Ueberlegung lassen sich ganz bestimmte Schlußfolgerungen ziehen. Meiner Auffassung nach kommt es darauf an, das Studium so zu gestalten, daß in der ersten Pe riode der Wüssensaneignung etwas anderes gelernt wird, als in der Ver gangenheit. Man muß von vornherein voraussetzen, daß das Lernen nie auf- hört, daß es erst richtig beginnt, wenn man die Hochschule verlassen hat. Es muß also in der Ausbildung der Charakter des Lernens verändert werden. Aber die Frage ist jetzt noch, wie nun die Natur des Lernens ändern? Was ist Lernen? Lernen ist nega tives Vergessen. Els gibt Ueberlegun gen, z. B. eine quantenphysikalische Untersuchung des Gedächtnisses, die sich mit der Problematik des nega tiven Vergessens beschäftigt hat. Durch quantenphysikalische und kybernetische ‘ Methoden wurde ver- sucht, einen Zugang zur Funktions weise des Gehirns zu verschaffen. Man macht sich Gedanken darüber, wie man die Fähigkeit des Menschen, zu vergessen, übertragen kann auf technische Systeme, auf technische Speicher. Im Augenblick hat man keine Lösung dafür, aber man be trachtet diese Fähigkeit des Menschen, zu vergessen, afe einen Vorteil. Das ist der Gedankengang, der nach meiner Auffassung bei der Betrach tung des Lernens eine Rolle spielen muß. Man müßte daraus eine Schlußfolgerung ziehen: Im Lehrpro gramm jeder Vorlesung dürfte nur das enthalten sein, was sich nicht in einer Maschine speichern läßt. Ich möchte das mit Vorsicht ausdrücken. Es müßte in "einer Vorlesung nur das enthalten sein, was typisch mensch lich ist, nicht aber, was ich in einer Maschine speichern kann. Natürlich gibt es hier Einschrän kungen. In der Regeltechnik gibt es den Begriff der Redundanz, den Be griff der Ueberfülle. Main könnte sagen, es gibt auch eine pädagogisch notwendige Redundanz. Es gibt also bestimmte notwendige, pädagogische Gründe, Probleme mit einer Ueber- fülle darzulegen, Dinge durch Fak ten zu erläutern. Sie können Be standteile des Vorlesungprogramms sein, aber nur, wenn sie den Zweck haben, das Wesen der Sache zu er- läutern. Man kann sagen, daß es auch eine Veränderung des gesamten Charak ters der Arbeit geben wird. Eigent lich hat sich in den letzten Jahr zehnten der Charakter der Arbeit schon entscheidend verändert. Man muß sehen, daß z. B. ein Facharbei ter, etwa ein Dreher, der vor 30 Jah- roh ausgebildet wurde, die Aussicht batte, Viellebeht 30 Jahre an der Drehmaschine zu stehen. Heute hat der Dreher diese Aussicht nicht mehr. Unsere Zeit ist schnellebig. Der Um- schlag der Maschinen geht sehr rasch vor sich, und das wirkt sich auf den Charakter der Ausbildung der Facharbeiter aus. Aber nicht nur bei den Facharbeitern ist das so, son dern das gilt auch für die Hochschul ausbildung. » Die Facharbeiterausbildung geht mehr dazu über, nicht mehr wie früher, konkrete® Wissen, z. B. als Dreher schlechthin, sondern ein brei teres allgemeimes Wissen zu, vermit- teln. . In der Hochschulausbildung dürfte es aber nicht darum gehen, Algorith- men darzulegen, denn die kann man ja speichern. Es ist vielmehr not wendig die Theorie der Algorithmen darzulegem, und zwar in jedem Fach- gebiet. Das müßte der Hauptinihal der Vorlesung sein. Es kömmt dar- auf ain, in jeder Einzelwissenschäft den Anteil des allgemeinen Wissens herauszuholen, die allgemeinen Wis- senschaften an den Hochschulen überhaupt stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Einige Bemerkungen zum praxis verbundenen Studium: Ich hatte schön gesagt, man dürfe die Ausbil dungszeit nicht verlängern. Man muß sich vielmehr über den Inhalt der Praxis klar sein. Was ist der Inhalt? Einmal ist der Inhalt, ich möchte es hier auf einen Nenner bringen, päda gogisch notwendige Redundanz. Wenn man nämlich 5 Jahre an der Hoch- .schule ist, da kann man zunächst gar nicht mehr übersehen, bei der Fülle des Wissens, was wichtig und was unwichtig ist und was die Praxis braucht. Da gehört einmal eine Auf frischung hinein, um zu erkennen, was wesentlich ist. Doch man muß nicht unbedingt in die Praxis gehen, um eine nicht ver änderte Ausgangssituation optimal lösen zu lernen. Das können wahr scheinlich die Professoren an den Hochschulen den Studenten viel bes ser beibringen. Es müssen vielmehr Aufgaben gefunden werden, bei denen der Student in den Regelkreis des Betriebes eingeschaltet ist, und er zum Regler wird. Solche Aufgaben’ muß man finden, bei denen die Stu denten Verantwortung erhalten und die eng mit den betrieblichen Auf gaben verknüpft sind. Ich möchte nochmals betonen, daß die Praxis nicht spezialisierte Kräfte, sondern anpassungsfähige Diplom ingenieure erfordert. Ich bin deshalb auch der Auffassung, daß die in den vergangenen Jahren sehr stark ent wickelte Spezialisierung teilweise wieder zurückgehen muß. Die Auf- gliedeerung in eine Vielzahl von Ein- zelfachrichtungen entspricht nicht der Realität. Ich möchte damit nicht etwa sagen,' daß es überhaupt keine Spezialisie rung mehr geben soll, daß aber die zu breite Spezialisierung mehr hemmt als nützt. Sie schafft den Studenten Illusionen, die dann in der Praxis zerstreut werden müssen, eben, weil sich die Praxis sehr schnell entwickelt. Auf dem 5. Plenum des ZK der SED wurde in einem Diskussions- beitrag gesagt, wir müßten mehr Plastingenieure : ausibilden. Ich ■ sage nein! Ist denn zwischen der Plast- Verarbeitung und den bekannten Verfahren der Umformung und des Trennens ein solcher Unterschied, daß Wir Diplomingenieure für die Plast-' Verarbeitung spezialisiert ausbilden müssen? Ich bin der Auffassung,, daß die Forderung nicht richtig ist. .Die Plaste .verändern sich schneller als das Metall, und in fünf oder in, zehn Jähren gibt es neue zusätzliche Plaste. Aber die Theorie . der Ver formung, die muß der akademisch gebildete Technologe bis zum letzten beherrschen. Mit diesem Rüstzeug kann er sich in jede konkrete Auf gabeei iarbeiten. Unsere Diplomingenieure brauche» alber noch etwas: Neben den soliden Grundkenntnissen brauchen sie den Mut zum Verändern. Das ist eine entscheidende Fähigkeit, die in erster Linie erzieherisch zu erreichen ist, eine Fähigkeit, die nicht nur durch das bloße Vermitteln von technischen Kenntnissen, sondern durch die Ein wirkung der Professoren und Assi stenten erreicht wird. Was wir erreichen müssen, ist, daß die jungen Menschen, die von den Hochschulen kommen, sich als diejenigen fühlen, die den Betrieb „umkrempel" müssen. Ich möchte betonen, daß wir stolz sein können auf ünser e jungen Nachwuchskräfte; und daß wir damit stolz auch auf ihre Lehrer sein können. Wir haben allen Grund, die Traditionen der deutschen Hochschulen zu wahren, aber diese Traditionen sind eben vor allem, nie stehenzubleiben, sondern immer mit an der Spitze zu sein. ' Die Forderungen der sozialisti schen Praxis, die Erfordernisse der technisch-wissenschaftlichen Revolu tion, das sind die Probleme, die heute und in Zukunft vor den Absolventen der Hochschulen auf der Tagesord nung stehen, und es kommt darauf an, die Menschen so zu erziehen, daß sie dieser Aufgabe gerecht werden.’ (Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Vortrag über das gleichnamige Thema, den Dr.-Ing. Heinrich in einem Symposium vor Lehrkräften unserer TH am 3. Juni 1964 hielt.)