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194 Stahl und Eisen. Deutsche Schiffe aus englischem Eisen. 15. Februar 1895. Stunde fahren. Das ist schon die Geschwindig- | keit vieler deutscher Eisenbahnzüge. Die „Elbe“ war vor dem Zusammenstofs in | voller Fahrt, hatte also annähernd diese Ge- ] schwindigkeit, als die „Grathie“ sie von der i Seite »schräg« anfuhr. Die Stärke des Stofses, welchen die „Grathie“ auf die „Elbe“ ausübte, [ ist jedenfalls durch die Geschwindigkeit der letz- j teren und den Umstand, dafs die „Crathie“ [ unter einem spitzen Winkel aufstiefs, sehr ge mindert worden; die Erschütterung der „Elbe“ durch den Stofs wird deshalb auch als eine sehr geringe geschildert. Trotzdem konnte die „Grathie“ ein so grofses Loch in die Wandung der „Elbe“ rammen. Die „Elbe“ hätte die | „Crathie“, welche sie hinter dem Maschinen raum schräg angefahren hat, einfach auf die > Seite schieben können, und ihre Blechwandung hätte, so ist die Ueberzeugung des Verfassers,* höchstens eine Beule bekommen, wenn die | Bleche aus deutschem Stahl hergestellt gewesen wären. So aber waren die Bleche der Wandungen der „Elbe“ aus schottischem gepuddeltem Eisen hergestellt; natürlich haben diese Bleche die höchste Klasse des Bureau Veritas gehabt und ist das Schiff unter der besonderen Aufsicht des Bureau Veritas erbaut. Jeder Fachmann kennt die glasharte Beschaffenheit der „schottischen“ Bleche, hergestellt in dem veralteten Puddel- verfahren; darüber braucht kein Wort mehr verloren zu werden. Die Engländer hatten auch keinen Grund, für deutsche Dampfer, deren Vor handensein ihnen allein schon ein Dorn in ihren Augen ist, bessere Bleche und ein sorgfältigeres Herstellungsverfahren anzuwenden. Schreibt doch * Diese Ueberzeugung wird von der Redaction von „Stahl und Eisen“ in vollem Mafse getheilt. Zum Beweise für dieselbe erinnern wir an einen Fall, der sich vor einigen Jahren ebenfalls im Kanal ereignete. Ein Frachtdampfer von annähernd 2000 t Gehalt wurde am Bug von einem andern mit voller Kraft angerammt. Das Ergebnifs des Stofses ist aus der Abbildung auf vorhergehender Seite ersichtlich und ist insbesondere , zu bemerken, dafs der Stofs auch damals in der Wasserlinie lag, dafs aber dort kein Loch entstand, wie dies bei hartem Material ohne Zweifel der Fall ge wesen wäre, sondern nur eine riesengrofse Einbeulung, weil die Bleche aus bestem, weichem Phönixmaterial gewalzt waren. Das Schiff hielt sich daher über Wasser und konnte in ein englisches Dock geschleppt werden. Die Einbiegung der Platten erregte, so wurde uns damals von den Schiffseigenthümern erzählt, all gemeines Aufsehen bei den zur Besichtigung herbei- strömenden englischen Fachleuten, welchen bis dahin so zähes und biegsames Material unbekannt gewesen war. Leider hat das bezeichnete Vorkommnifs damals nicht zu der Lehre gedient, welche man eigentlich hätte erwarten sollen, nämlich zur Abänderung der betreffen den Lieferungsvorschriften des englischen Lloyd, welche auf das harte englische Material auch jetzt noch zu geschnitten sind, dagegen auf die Dehnbarkeit nicht den Werth legen, den man nach solchen Vorkomm nissen mit Recht erwarten dürfte. Die Redaction. selbst in diesem traurigen Unglücksfalle eines der leitenden englischen Blätter, die »Pall Mall Gazette«: „Ein Ding wissen wir: es ist die Gewohn- „heit der norddeutschen Lloydschiffe, mit der „Dampfsirene pfeifend und von Zeit zu Zeit „mit grofsem Feuer leuchtend durch die „Nordsee zu fliegen, wobei sie erwarten, dafs „ihnen Jedermann aus dem Wege gehe.“ Warum lassen wir, so kann man mit Recht fragen, unsere deutschen Schiffe noch in einem Lande bauen, welches solche perfide Beurthei- lungen einer unglücklichen Katastrophe in die Welt schleudert, welche durch ein mit eng lischer Rücksichtslosigkeit gesteuertes kleines englisches Schiff gegen einen aus schottischen Puddelblechen hergestelllen deutschen Dampfer herbeigeführt ist? Die deutschen Rheder müssen sich als auf deutschem Boden stehend betrachten, und sich mit Deutschlands Wohlergehen eins fühlen; sie müssen aufhören, nur die Interessen Englands und des übrigen Auslandes wahrzunehmen. Sie müssen ihre Schiffe auf deutschen Werften aus deutschem Material bauen lassen. Wir Binnenländer wollen keine englischen Schiffe und englischen Waaren von einem Volke, welches unsere Industrie durch ihr „made in Germany“ niederzuwerfen hoffte. Der englische Schiffbau hat im Jahre 1894 wieder Schiffe im Gewichte von 1080 419 t geliefert, darunter war ein grofser Theil für Deutschland; die englische Ausfuhr hat im Jahre 1894 gegen 1893 um ungefähr dasselbe Gewicht abgenommen, und die »Times« klagte, dafs diese Ausfuhr von Deutsch land übernommen sei. Es ist kein Grund ein zusehen, warum es uns nicht gelingen sollte, mit dem Schiffbaumaterial für unser eigenes Land gleichen Erfolg zu erzielen. Dazu könnte nicht nur die Einführung von Zoll, sowie die Zulas sung von Thomasstahl,* sondern auch die Verminderung unserer unwirthschaftlich hohen Frachten auf Rohstoffe beitragen, also die Verminderung der Steuer auf die ersten Kosten der ersten Bedürfnisse unserer Industrie. Wir erwarten immer noch das Erscheinen des „Eisenbahn-Stephan“, der den langsam fah renden Zug unserer deutsch-nationalen Wirth- Schaftspolitik durch die längst vorhandene Weiche in das richtige Geleise der billigsten Frachten für die Rohstoffe lenkt. Diese billigeren Frachten werden dann nicht nur, wie leider in engherzigen bureaukratischen Kreisen angenommen wird, die deutsche Massenfabrication und Grofsindustrie wettbewerbsfähig machen, sondern durch billigere Preise unserer ausgezeichneten Fertig- und Halb- fabricate auch der Ausfuhrfähigkeit der Erzeug- * Siehe Kölnische Zeitung: „Deutscher Schiffbau und englischer Stahl“ 1895 in den Nummern 8, 24, 30, 44, 54, 61, 65 und 68.