Volltext Seite (XML)
180 Stahl und Eisen. Tetmajers neuestes Gutachten über Thomas-Stahlschienen. 15. Februar 1895. „Das Verhalten der hier zur Verwendung ge kommenen Schienen aus Thomasstahl gegen Ab nützung ist bei weitem ungünstiger als dasjenige von Schienen aus Bessemerstahl, theilweise so un günstig, dafs Bedenken getragen werden mufs, ferner Schienen aus Thomasstahl zu verwenden,“ so folgt doch daraus weiter nichts, als dafs das Werk, welches an die Grofsherzoglich ober hessische Eisenbahnverwaltung Thomas - Stahl - schienen geliefert hat, entweder ein zu weiches, ein randblasiges oder sonst unganzes, für alle Fälle für Schienenzwecke ungeeignetes Material verwendet hat. Wie man hierfür den Procefs verantwortlich machen kann, ist uns gänzlich unverständlich. Man darf doch nicht übersehen, dafs an anderenOrten mit Thomasschienen diametral entgegengesetzte, gute Erfahrungen vorliegen, was unmöglich wäre, wenn der Procefs, den man so leichtfertig verdammt, die Schuld daran trüge. Die löbliche Grofsherzoglich oberhessische Eisen- bahnverwaltung hätte den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn sie erklärt hätte: „Das Verhalten der hier zur Verwendung ge kommenen Schienen aus Thomasstahl gegen Ab nutzung ist bei weitem ungünstiger als dasjenige von Schienen aus Bessemerstahl, theilweise so un günstig, dafs Bedenken getragen werden mufs, ferner Thomas-Stahlschienen der gleichen Provenienz (vom , gleichen Werke) zu verwenden.“ Vielfach tragen die speciellen Vorschriften für die Lieferung und Prüfung von Stahlschienen an dem nachträglichen schlechten Verhalten des Materials im Betrieb direct Schuldantheil. Speciell in Deutschland, wo bis auf die neueste Zeit das Princip, weich auf weich zu fahren, fast allgemein Geltung besafs, hat man wohl in mehr als einem Falle den Fabricanten gezwungen, gegen sein besseres Wissen, Schienen nach Vorschrift zu liefern. Unvergessen sind die Zeiten, wo die heute gänzlich in Vergessenheit gerathene Wöhlersche Summe als die allein seligmachende galt und Jedermann daran glauben mufste, der sich nicht in den Übeln Ruf setzen wollte, „von der Sache nichts zu verstehen“. Dafs einzelne thomasirende Werke selbst viel dazu beigetragen haben, den Thomasstahl als Schienenmaterial zu discreditiren, steht aufser Frage. “ Tetmajer bespricht sodann an Hand von Zahlen, Betriebsergebnissen, Analysen u. s. w. eine Reihe von Vorkommnissen dieser Art, denen er dann zufügt: „Dafs der Procefs als solcher mit den hier besprochenen Erscheinungen nichts gemein hat, bedarf keiner nähern Begründung. Auch müssen wir Verwahrung dagegen einlegen, dafs aus dem Zusammenhang der Sache einzelne der mitgetheilten Zahlen tendenziös herausgerissen werden, um daran die Möglichkeit der mangel haften Entphosphorung des Thomasmetalls zu demonstriren. Ein solches Verfahren ist nicht nur unbillig, sondern widerspricht thatsächlich den Verhältnissen der Entwicklung der Thomasstahl- Industrie unserer Zeit. Heute sind den geschilderten ähnliche Vorkommnisse fast ausgeschlossen, denn auf sorgfältig fabricirenden Thomaswerken wird der Phosphorgehalt, vielfach auch der Mangan gehalt sämmtlicher Chargen durch das Werks laboratorium nachgewiesen, Zufälligkeiten überdies durch eine Biege- oder Hammerprobe aufgedeckt. Durch diese Mafsregeln ist die Möglichkeit der Mitlieferung mangelhaft entphosphorten Stahl materials vollkommen ausgeschlossen worden.“ Im II. Kapitel: „Würdigung des Thomas- processes und seiner Producte“, geht Verfasser auf einzelne Angriffe über, welche seitens eines andern Gutachters gegen das Thomasverfahren an sich gerichtet worden. In denselben wurde die Möglichkeit des Auftretens mangelhafter Ent phosphorung als ein „radicaler und organischer F ehlerdes Processes “, das Darbysche Rückkohlungs verfahren als nicht zum Procefs gehörend und die dem basischen Converter entstammenden Schienen und andere Producte als minderwerthig bezeichnet; ferner wird zur Begründung dieser merkwürdigen Anschauungen die aufserordentliche Ausbreitung der sauren Stahlerzeugungs-Verfahren, zu deren erspriefslichen Führung einzelne Werke mit grofsen finanziellen Opfern reine Erze und Roheisenmarken importiren, ins Treffen geführt und auf einzelne Vorkommnisse hingewiesen, wie stellenweise Aufgabe des Thomasprocesses, des Darby-Rückkohlungs-Verfahrens, das Verbot von Thomasflufseisen-Verwendung bei österreichischen Staatsbrücken und dergleichen. Mit Recht bemerkt Tetmajer hierzu, dafs die Frage der Einfuhr reiner Erze z. B. in Deutsch land mit dem Thomasprocefs und dem Werth- verhältnifs seiner Erzeugnisse überhaupt nichts zu thun habe , dafs z. B. das Kruppsche Werk sich schon vor der Einführung des Thomas processes in den Besitz von spanischen Erzlager stätten gesetzt habe und dafs es übrigens auch kennzeichnend sei, „dafs Werke, die, wie Krupps Gufsstahlwerk, der Hauptsache nach mit impor- tirten Roheisenmarken arbeiten, es nicht ver säumten, sich am Minettedistrict umfassende Erzlagerstätten zu sichern. Für den Eingeweihten hat die Thatsache, dafs einzelne Werke den Thomasprocefs wieder aufgegeben haben, weniger Befremdendes als der Umstand, dafs diese Werke ernstlich daran denken konnten, diesen überhaupt betreiben zu wollen. So sind die Witkowitzer Roheisen zu phosphorisch, um sauer zu arbeiten, und zu siliciumreich und phosphorarm, um ökonomisch basisch zu convertiren. Lediglich diesen Verhältnissen verdankt der combinirte Procefs in Witkowitz seine Ausbildung, wo heute noch im alten Stahlwerke im sauren Converter geläutert (entsilicirt), im basischen Martinofen entkohlt und entphosphort wird. In Witkowitz hat man wahrscheinlich nur so lange überhaupt basisch convertirt, als der hierzu nöthige Phosphor