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transport nach Luxemburg-Lothringen benutzten und vielfach leer zurücklaufender Wagen spielt dabei eine grofse Rolle. Eine durchgreifende Tarifermäfsigung würde das ganze Land befruch ten, insbesondere auch der Kleineisenindustrie zu gute kommen, welche ebenfalls mit dem aus ländischen Wettbewerb einen aufserordentlich schweren Kampf auszufechten hat. (Sehr richtig!) Diese wirthschaftliche Befruchtung des Landes ist das wesentliche Ziel der Ermäfsigung der Gütertarife, und diese wirthschaftliche Befruch tung würde es reichlich ersetzen, wenn wirklich vor der Hand Einnahme-Ausfälle mit dieser Er mäfsigung verbunden wären. Darin aber, dafs dies wirklich der Fall sein wird, kann ich dem Finanzminister nicht folgen. Bei der Einführung des Nothstandstarifs für Sieg, Lahn und Dill sind Mehreinnahmen die Folge gewesen. Wenn eine Herabsetzung der Gütertarife nicht bald kommt, schlachtet der Finanzminister ganz sicher die niederrheinisch-westfälische Henne, die ihm die goldenen Eierlegt. (Sehr gut!) Ein genauer Kenner unseres Eisenbahnwesens, Geheimer Finanzrath Jencke in Essen, hat neulich mit vollem Rechte darauf hingewiesen, dafs sich die Staatsregierung bezüglich der Gütertarifermäfsigungen in einem circulus vitiosus bewegt, indem sie die Eisen industrie bei guter Geschäftslage dahin beschied, die wirthschaftliche Bewegung müsse wieder in ruhige Bahnen lenken, während in schlechten Zeiten die Einführung niedriger Tarife mit dem Hinweis darauf abschlägig beschieden wurde, dafs die Staatsfinanzen keine Einbufse erleiden könn ten. Da nun, um mit Herrn Goldschmidt zu reden, die guten und schlechten Zeiten auf und ab gehen wie eine Lawine (Heiterkeit und Zuruf: „Es war Landau!“), so werden wir ja, wenn man sich in dem genannten circulus vitiosus weiter bewegt, nie etwas bekommen. Mit der niederrheinisch • westfälischen Roheisen - Industrie steht und fällt die dortige Flufseisen- und Stahl- fabrication. Diese Industrie ist aber in so hohem Mafse, theilweise bis zu 80 % ihrer Erzeugnisse, an dem Export Deutschlands betheiligt, dafs ihr Untergang von den übelsten Folgen für den Steuersäckel unseres Vaterlandes begleitet sein würde. Ich vermisse in den Darlegungen des Herrn Finanzministers den Gesichtspunkt, dafs Tarifermäfsigungen für Landwirthschaft und In dustrie nothwendig sind, damit beide nicht im internationalen Wettbewerb unterliegen und wir nicht für grofse Summen dem Auslande tributär werden, wie das neulich hier auch noch an der Einfuhr schwedischer Grubenhölzer nachgewiesen worden ist. Hindern uns dauernd finanzielle Rücksichten an der Durchführung der Gütertarif- Ermäfsigungen, dann müssen wir wirthschaftlich zu Grunde gehen. Wenn wir aber nicht mehr in der bisherigen Weise verfrachten, was soll dann aus den Eisenbahnen werden? Ich sehe einen Geheimrath am Regierungstische lachen. Der Geheimrath scheint die Schwierigkeit nicht zu kennen, unter denen wir am Niederrhein arbeiten, wenn er eine solche Frage lächerlich findet. (Beifall links.) Es kann sehr wohl ein mal kommen, dafs wir nichts mehr zu verfrachten haben, weil die Tarife in ihrer starren Höhe be harren. Dann wird dem Herrn Minister Miquel die „Verkehrssteuer“ fehlen, und die andern Steuern wird er auch nicht mehr in der bis herigen Weise bekommen. Die Frage der Er mäfsigung unserer Personentarife scheidet für mich aus, solange es wahr bleibt, was der Minister im Betriebsbericht dem Hause in diesem Jahre mitgelheilt hat, dafs die Kosten für Per sonenbeförderung das Doppelte betragen müssen wie für die Güterbeförderung. Daraus erhellt, dafs es keine Herabsetzung der Personentarife geben darf, so lange die Gütertarife nicht wesent lich herabgesetzt sind. Bleibt jener einseitig England nützende Exporttarif mit Belgien und der Prinz Heinrich-Bahn bestehen, so ist das nur ein neuer Anlafs mehr, mit der allgemeinen Frachtermäfsigung auf den preufsischen Staats bahnen nicht länger zu zögern. Gefahr ist im Verzüge. (Lebhafter Beifall links.) — Der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten entgegnete auf diese Darlegungen, dafs die preufsi schen Eisenbahnen mit keinem Kilometer an der Angelegenheit betheiligt seien, was Keiner, also auch nicht der Abgeordnete Dr. Beumer, be hauptet hatte. Er entgegnete ferner, dafs auch die preufsische Staatsbahn sehr erheblich ermäfsigte Tarife eingeführt habe. Aber auch das hatte der Abgeordnete Dr. Beumer erwähnt, freilich mit dem sehr richtigen Zusatze, dafs die am 1. Mai 1893 bewilligten Ermäfsigungen nicht genügten, um so weniger, wenn man nun dem Auslande noch billigere Tarife bewillige, wie das die Reichs eisenbahnen gethan, was auch der Herr Minister nicht habe bestreiten können. Unter diesen Umständen wird man das Vor gehen der Reichseisenbahnen im Lande merk würdig finden, sehr merkwürdig! —