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15. Februar 1895. Eine merkwürdige Tarifmafsregel. Stahl und Eisen 173 „Im Besitze Ihres gefl. Schreibens vom 7. d. M. beehren wir uns, Ihnen ergebenst mitzutheilen , dafs durch den für Antwerpen transit einzuführenden er- mäfsigten Erztarif lediglich die Möglichkeit zur Aus fuhr von Erzen von Lothringen-Luxemburg nach England geschaffen werden soll. Zur Annahme dieses Ausnahmetarifs sind wir nur unter der ausdrücklichen Bedingung geschritten, dafs Vorsorge dahin getroffen werde, dafs die ermäfsigten Sätze auf Erzsendungen, welche etwa überAntwerpen nach der Ruhr zur Beförderung kommen sollten, keine Anwendung finden. Nach Ihrem gefl. Schreiben mufs angenommen werden, dafs die Ausdehnung des geplanten Ausnahme tarifs nach dieser Richtung hin von Ihnen gewünscht wird. Dieselbe kann aber von uns nicht in Aussicht genommen werden, da eine Unterbietung derfürdie Ruhr bestehenden directen Erzfrachten durch die Ermäfsigung des Tarifs für Antwerpen durchaus vermieden werden mufs. Bei dieser Sachlage dürfte eine mündliche Erörterung dieser Angelegenheit für Sie ohne Werth sein, weil wir an dem eingenommenen Standpunkte gleich der belgischen Staatsbahn grundsätzlich festhalten müssen. (gez.) Unleserlich. Wir stehen, m. H., angesichts dieser Schrift stücke also vor folgenden Thatsachen: Die Kaiserliche Generaldirection der Reichseisen bahnen schliefst mit der belgischen Staatsbahn und der Prinz Heinrich - Bahn einen Tarif, der auf dem Satze von 1,2 Centimes für das Tonnenkilometer basirt, während der directe Aus nahmetarif von Lothringen und Luxemburg nach den Hochofenstationen in Rheinland und West- falen heute noch für die ersten 100 km 2,2 und für die ferneren Kilometer 1,5 8 für das Tonnen kilometer und aufserdem 7 6 Expeditionsgebühr für den Doppellader beträgt. Aus diesem Verhalten der Kaiserlichen Generaldirection geht klar hervor: 1. dafs die Kaiserliche Generaldirection die Aus fuhr von Minette wünscht, da hierdurch Mehr einnahmen erwachsen und viele Arbeiter Verdienst und Brot erhalten; 2. dafs man zu den den Eng ländern bewilligten Ausnahmelarifen, also unter einem Pfennig, noch mit Vortheil fahren kann. (Hört, hört!) Es wird somit durch diese Mafs- regel der ausländische Wettbewerb in unerhörter Weise auf Kosten der inländischen Production durch niedrige Tarife, die man den deutschen Werken vorenthält, gestärkt. Sollte der Herr Minister erwidern, an dieser Tarifmafsregel seien die Reichseisenbahnen nur mit einer kurzen Strecke betheiligt, so antworte ich von vornherein, dafs deutsche Eisenbahnen zumal unter den gegen wärtigen Verhältnissen auch nicht mit einem Kilometer an der offenbaren Schwächung des deutschen Wettbewerbs sich betheiligen dürfen. (Sehr richtig!) Sollte ferner erwidert werden, dafs diese Tarifmafsregel geeignet sei, den Eisen erzbergbau im Minetterevier zu heben, so ist ein solcher, die inländische Eisenindustrie schädigender Weg um so mehr zu verurtheilen, als sich derselbe Effect der Hebung des Eisenerzbaues im Minette bezirk viel besser und wirksamer auf anderm Wege, nämlich auf dem der Ermäfsigung der einheimischen Tarife erreichen läfst. (Sehr richtig!) Weil man die Mosel nicht kanalisiren, weil man über die am 1. Mai 1893 zugestandenen Ermäfsigimgen nicht hinausgehen will, macht man uns neben Spanien nun auch Schweden noch tributär, das im vorigen Jahre bereits an 600 000 t Erze bei uns eingeführt hat. (Hört, hört!) Ich kann dem Herrn Minister ein grofses rheinisches Schienenwerk nennen, das in den letzten 12 Monaten sich vergeblich bemüht hat, ein einziges Lot Schienen an das Ausland abzusetzen, weil es überall unterboten wird durch den ausländischen Wettbewerb. Will man denn nun den letztem durch solche Tarifmafsregeln noch mehr dazu anspornen? (Sehr richtig!) Ich habe schon im vorigen Jahre darauf hingewiesen, wie sehr uns schon durch die grofse socialpolitische Belastung, welche eine Vorbelastung im eigentlichen Sinne des Wortes ist, der Wettbewerb mit dem Aus lande erschwert wird. (Sehr richtig!) Dafs ich eine reichsländische Eisenbahnangelegenheit hier zur Sprache bringe, hat darin seinen Grund, dafs die reichsländischen Eisenbahnen in diesem Export tarife dem ausländischen Eisengewerbe das ge währen, was die preufsische Eisenbahnverwaltung bisher dem inländischen Eisengewerbe vorent- halten hat. (Sehr gut!) Dies ist ein unhaltbarer Zustand und mufs vom volkswirthschaftlichen Standpunkt aufs entschiedenste yerurtheilt werden. Gerade der luxemburgisch-lothringischen Minette bedarf die niederrheinisch-westfälische Eisen- und Stahlindustrie so dringend, dafs hier eine wiederholt von uns beantragte Frachtermäfsigung aufs schleunigste ins Werk gesetzt werden mufs. Die Minette haben wir nöthig, weil uns Puddel- schlacke in genügender Menge überhaupt nicht mehr zur Verfügung steht. Die Puddelschlacke, welche vor 10 Jahren 6 46 kostete, gilt heute 16 6 und ist auch zu diesem hohen Preise nicht in genügenden Mengen erhältlich, um in der bisherigen Weise als Schmelzmaterial in Be tracht zu kommen. Es bleibt uns also nur die Minette, weil wir diese aber bei so theuren Fracht sätzen zu beziehen aufser stände sind, wenden wir uns den auf dem Wasserwege erlangbaren nordischen Erzen in Grängesberg und Gellivare zu und werden dadurch, wenn wir die spanischen Erze hinzurechnen, dem Auslande jährlich für rund 17 Millionen tributär. (Hört, hört!) Diese Millionen können zum gröfsten Theile im Lande bleiben, wenn wir die Minette zu billigeren Frachtsätzen zu beziehen in der Lage wären. Dafs aus solchen Tarifermäfsigungen der Staats eisenbahn Frachtausfälle erwachsen sollten, vermag ich nicht zu glauben. Im Gegentheil, ich bin der Ansicht, dafs durch die Verdrängung der zur Zeit gröfstentheils auf dem Wasserwege bezoge nen ausländischen Erze den Staatseisenbahnen neue grofse Frachtmengen zugeführt werden würden. Auch die Verwendung aller zum Koks-