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16 Stahl und Eisen. 1. Januar 1895. Zur Panzerplattenfrage. III. blättern damit vorgebeugt war. Die Engländer meinen nun, dafs die Hinzufügung von Nickel zum Stahl bei Anwendung des Harveyschen Verfahrens nicht nur nichts nütze, sondern ge radezu schädlich wirke. Die Beimischung von Nickel sei nicht geeignet, wie man bisher annahm, den Widerstand der Stahlplatten zu erhöhen, ebenso sei nicht erwiesen, dafs durch sie die Zähigkeit des Stahls gesteigert und damit die Neigung zu Sprüngen, Brüchen und Ausbrechungen vermindert werde; es sei darum vorzuziehen, den theuren Zusatz von Nickel zum Stahl bei Anwendung des Harveyschen Verfahrens fortzulassen. Diesen Ansichten wird von den französischen Panzerfabriken St. Chamond, Marrell frres zu Ri ve-de-Gier, den Werken von Chatillon- Commentry, St. Etienne und Grenzot wider sprochen. Diese Fabriken haben das Harveysche Patent erworben, um sich den Nutzen auch dieses Verfahrens für ihre Stahlsorten, so weit als möglich, zu sichern. In ihren Bestrebungen wurden sie von der Regierung angeregt und durch vergleichende Schiefsversuche, die sie zu Gävres veranstaltete, unterstützt, wozu Platten von verschiedenen ausländischen Fabriken heran gezogen wurden. Man hatte in Frankreich längst auf wissenschaftlicher Grundlage den Stahl zu Panzerplatten zu verbessern gesucht. Man wollte ein Metall herstellen, welches mit einer grofsen Widerstandsfähigkeit gegen das Durchschlagen von Geschossen eine genügende Zähigkeit ver bindet, um dem Umsichgreifen von Rissen, Sprüngen und Ausbuchtungen vorzubeugen. Man glaubte zu diesem Ziele besser und sicherer auf dem Wege zu gelangen, den die Metallurgie durch Legirungen bietet, als durch verschiedene Härtungs weisen des mehr oder minder kohlenstoffreichen Stahls. Die Werke von St. Chamond haben bereits 1890 Chromstahl und Nickelstahl mit bedingungsweisem Erfolge versucht, aber 1891 ein Patent auf eine Stahllegirung erhalten, die bei einem gewissen Gehalt an Kohlenstoff einen Zusatz von Chrom und Nickel enthält. Ver- muthlich ist hierunter die Legirung zu verstehen, die wir in „Stahl und Eisen“ 1893, Seite 147 erwähnt haben. Man sagt, die Beimischung von Nickel vermehrt die Zähigkeit und Dehnbarkeit des Stahls, aber nicht den Widerstand des Panzers. Hierzu ist die ergänzende Hinzufügung von Chrom nothwendig. Chrom vermindert die dem Stahl durch das Nickel gegebene Zähigkeit nicht, voraus gesetzt jedoch, dafs der Gehalt an Kohlenstoff ein hierfür entsprechend günstiger ist. Im all gemeinen ist dieser ausgezeichnete Panzerstahl kohlenstoffarm; seine ihn auszeichnenden Eigen schaften beruhen auf der Beimischung von Nickel und Chrom. Die Schwierigkeit liegt nur in der Bestimmung der dem Stahl beizumischenden Mengen an Nickel und Chrom, sowie des Kohlen stoffgehalts. Die auf Anregung der Regierung von den französischen Panzerfabriken angefertigten Panzer platten wurden im Vergleich mit den aus dem Auslande bezogenen Platten Schiefsversuchen unter worfen, die bei Gävres stattfanden, im December 1893 begannen und im April v. J. abgeschlossen wurden. Die besten Ergebnisse sind mit Platten erzielt worden, die aus dem Specialstahl von St. Chamond gefertigt waren und nach dem Harveyschen Verfahren eine Oberflächenhärtung erhalten hatten. Im April v. J. wurden Panzer platten beschossen, die in den Werken von Marrel frh res und von Ghatillon-Gommentry genau nach der chemischen Zusammensetzung des Specialstahls der Werke von St. Chamond gefertigt und nach dem Harveyschen Verfahren behandelt waren. Sie leisteten einen um 30 % gröfseren Widerstand als die gewöhnlichen Harvey- Stahlplatten, ohne dafs sie die geringste Neigung zu Sprüngen oder Brüchen gezeigt hätten. Den Schmiedeisenplatten von gleicher Dicke sollen diese Panzerplatten an Widerstandsvermögen um etwa 74 % überlegen sein, durch den Zusatz von Nickel und Chrom wird eine Ueberlegenheit von 15 bis 20 % über reine Stahlplatten erzielt. Wie „Genie Givil“ berichtet, haben die Versuche in Gävres die hervorragende Ueberlegenheit der französischen Panzerindustrie über die des Auslands erwiesen,* trotzdem sollen die fran zösischen nur etwa halb so theuer sein als die amerikanischen, denn der Preis der von den Carnegie werken gelieferten Platten soll 3,20 (4 Fres.) für das Kilogramm noch überschritten haben. Die Firma Vickers liefert Harveyplatten zu 2000 Fres, für die Tonne. Näheres über die Herstellungsweise und die chemische Zusammensetzung der in Gävres mit so ausgezeichnetem Erfolge beschossenen fran- * Nach der im Heft Nr. 15 vom 11. August 1894 des „Gnie Civil“ enthaltenen Uebersicht über die in Frankreich, Nordamerika, England, Holland, Oester reich und Deutschland stattgehabten Panzerschiefs versuche und ihre Ergebnisse sind auf dem Schiefs- platz bei Gävres in der Zeit vom December 1893 bis April 1894 von ausländischen Platten nur eine Studien platte von 16 cm und eine Platte von 25 cm Dicke der Firma Vickers beschossen worden. Aufserdem waren die französischen Fabriken von St. Chamond, Chatillon, St. Etienne, Creuzot und Marrel durch Platten vertreten. Ob Platten noch anderer ausländischer Fabriken bei diesem Versuch in Gävres beschossen wurden, geht aus dem Bericht nicht hervor, anzu nehmen ist, dafs sie in der Uebersicht aufgeführt worden wären, hätte man solche beschossen. Womit das obige Urtheil der „hervorragenden Ueberlegenheit der französischen Panzerfabriken über die des Aus lands“ zu rechtfertigen ist, wissen wir nicht; der Vergleich mit den Platten von Vickers ist unseres Erachtens hierzu nicht geeignet, denn Vickerssche Platten sind bei Schiefsversuchen in Meppen (am 20. April 1893), in Ochta und Witkowitz von Kruppschen, Witkowitzer und anderen Platten zum Theil recht bedeutend an Widerstandsleistung überholt worden.