Volltext Seite (XML)
ausfindig zu machen," rief er der schon in der offnen Thür Stehenden nach und überließ sich dann einige Minuten lang dem drückenden Gefühle eines Schmer zes, dem selten einer an Bitterkeit gleichkommcn wird. Erst das Hinwegrollcn des Wagens, der seine Gattin von dem Krankenbett ihrer-Tochter in den Concertsaal führte, brachte ihm wieder aus dem Reich der Grübeleien, wie er die Ehe sich gedacht und wie er fühlte, daß sie sich gestalten könne, zu dem Bewußtsein der Wirk lichkeit zurück. Er faßte die Hand seiner Nichte und bat die Jungfrau so warm und innig, daß sie ihm und ihrer Tante die Beschämung ersparen und nicht dazu beitragen möge, daß die Wahrheit im Publikum bekannt werde — daß Anna unter zahllosen Thränen sich ankleiden ließ und als der Wagen zurückgekehrt war, mit rothgeweinten Augen ihr Zimmer verließ, um sich hinunter in denselben zu begeben. Aus dem Vor saal begegnet sie dem Arzt, der eben aus Eugeniens Krankenzimmer zurückkehrend, von ihr um den mehr oder minder gefährlichen Zustand des Kindes befragt wird und sie beruhigt. Etwas leichtern Herzens fährt sie nun dem Hüte! zu und tritt eben in den Saal, als das Duett mit ihrer Tante an der Reihe war und die Direktoren der Akademie, da Anna noch fehlte, berathschlagend zusammenstandcn, ob man eine spätere Nummer jetzt vornehmen oder eine andere der Damen, von denen man wußte, daß sie die Parthie sofort über nehmen könnten, um diese Gefälligkeit bitten solle. Gleichsam im Triumph ward also das junge Mädchen empfangen und an Hie Seite ihrer Tante gestellt. Zitternd, bleich *und von den mannichfachen, in den letzten Stunden empfangenen Eindrücken in tiefster Seele ergriffen,, steht sie, ihre rothgeweinten Augen zu Boden gcscnkt/das Blatt in der bebenden Hand, vor dem crwartrMsvollen Publikum. Endlich als schon auf dem Flügel die ersten Accorde des begleitenden Vorspiels angeschlagen wurden, erhebt sie das Auge und den ersten Blick auf die zahlreiche Versammlung vor ihr ^werfend, trifft dieser erste und einzige Blick — AdolpHetzer seitwärts an einen Pfeiler gelehnt un weit von ihr stand und Schmerz, Liebe und Bcsorg- niß in dem ausdkkcksvollen Auge fest an dem ihren hing. Das Gefühl, -oft und lange in dem Herzen des Weibes durch Mißverstehen desselben zum Schwei gen gebracht, durchbricht dann oft plötzlich und mit nicht zu hemmender Gewalt den Damm, den Launen oder Verhältnisse ihm entgcgengcstellt. So geschah cs auch hier. Ein Blick auf den Mann, dessen Spiegel ihr Herz zu sein schien, reichte hin, . mühsam er rungene Fassung zu vernichten, uno der Gedanke, daß sie in diesem Augenblick im Begriff stehe, sowohl an der Liebe ein Verbrechen zu begehen, als auch den ersten Schritt auf einer Bahn zu thun, der die Frau an ihrer Seite in seinem weitern Verlauf jetzt von dem Bett ihres kranken Kindes in den Cirkus eitler Triumphe geführt — dieser Gedanke, plötzlich wie ein flüchtiger Hauch über ihre Seele geweht: machte die kaum zurückgedrängten Thränen wieder hcrvorbrechen, und ihr Taschentuch vor das Gesicht gedrückt stürzte sie, als eben Natalie mit glockenreiner Stimme die ersten Strophen des Duetts begann — vom Orchester hinweg in das unmittelbar daran stoßende Nebenzimmer, wo sie die auf sie einstürmenden Fragen nicht beachtend, ihren Thränen freien Lauf ließ und statt aller Antwort nur nach einem Wagen verlangte, weil ihr plötzlich unwohl geworden sei. Das Aufsehen, das dieser Vor fall veranlaßte, war groß. Die Räthin Balsau, welche wohl absichtlich später, als man es von der Werwandtin der auf so seltsame Weise Erkrankten hätte erwarten sollen — in dem Zimmer, wo Anna sich befand, erschien, gab endlich den Ausschlag über das, was geschehen müsse, sie schickte nach einem Wagen, erklärte, statt ihres Duetts jetzt ihre große Arie singen und später auch, um ihre Nichte einigermaßen zu er setzen, deren Eaprice spielen zu wollen, und beauf tragte dann den ihr hierher gefolgten Assessor Pann- witz, das, wie sie sagte, heut schon den ganzen Tag nervenkranke Mädchen sicher nach Hause zu bringen, da sie selbst durch ihre nun doppelte Verbindlichkeit gegen das Publikum von der Erfüllung dieser Pflicht abgehaltcn sei. Erwünschter konnte dem Jüngling nichts sein und als er an der Seite des angcbctetcn Mädchens im Wagen saß, strömte sein volles Herz, das Anna's Thränen, wenn auch nur zur Hälfte, richtig gedeutet und nun von ihr Aufschluß über ihr spätetz und ver störtes Erscheinen im Concertsaal erhalten hatte — über in der Sprache der Liebe und Adolph, denn er war mit Pannwitz eine und dieselbe Person — drückte, als der Wagen hielt, die Braut an seine Brust. „O! dreimal und ewig gesegnet," rief er jubelnd, als der Augenblick des Scheidens nicht länger verzögert werden konnte, „sei mir der Tag, an " ' Dich und Du Dich selbst richtig crker digcn gelernt; wie edel, wie rein un Gefühls müssen Herz und Gcmüth des das in solchen Umgebungen ihrer