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etwa Murdoch war, der Schäfer vom Berge drüben, der manchmal mit einer Mütze voll Brombeeren oder einem Lämmersell für Marie's Winterbettdecke sich ein stellte — eine fast eben so große Merkwürdigkeit ge wesen sein, als Gulliver in Brobdignag, oder das erste Schiff für die Südsecinsulaner. Darum war aber doch das Leben in der Hütte von Glen-Shce kein unglückliches, sobald nur der Geist des einsamen Mäd chens von der Trübung seiner Fluthen ausruhtc; denn in den langen Winterabenden, wenn die hölzernen Bretcr dicht über das Fenster hcrgezogen waren und die getrockneten Fichtenscheitc auf dem Heerde glühten und knisterten, drehte die Hausmutter fröhlich ihr Rad und Werg, Marie legte das Kinn traulich auf des Vaters Knie und blickte zu ihm auf mit den glän zenden Augen, die beinahe die größere Halbscheid des blassen, von ihnen bestrahlten Antlitzes auszumachcn schienen, um den Wundern wilder Dichterei zu lauschen, die er einem gälischen Bande von Ossian — dem Buche, das der Hochländer, wenn er überhaupt mit Büchern sich befaßt, am Allgemeinsten zum Lesen wählt — cnlschöpste. Denn der Sommer wieder kam, war es der ZaubrrnM Liebstes.- dem Vater nach der Bergesstirn fernab die Suppe oder den sauren Haferbrei — sein schlichtes Mahl — zu bringen, und rann auf einem ver kahlen Felsenscheitel, die den See überragten, zu weilen, bis die Sonne in ihrer Strah lenherrlichkeit hinabschwand und die Sterne in ihrem milden Lichte heraufzogen. Denn es ist eine der Ei- genthümlichkeitcn dieser seltsamen Krankheit, wenn man sie eine Krankheit nennen darf, daß der Schauer der Begeisterung weder kommt, wenn der Seher sein Kommen heißt, noch sich bewältigen oder zurückdrängen läßt. Marie stand zur Zeit, wo meine Erzählung be ginnt, an der Schwelle ihres fünfzehnten Lebensjahres, wiewohl ihr überzartes Aussehen, ihre für diese Alters stufe kleine Gestalt sie um mehre Jahre jünger erschei nen ließen. Hätte der gesunde Hauch der Bergluft ihre Wange mit dem kräftigenden Einflüsse, der ihn so oft begleitet, überwcht, so dürste sic ein reizendes Mu sterbild von ihrer Art ländlicher Amnulh dargcstellt ha ben, denn ihre Züge waren regelmäßig und offen und hatten in den Zwischenräumen von Gesundheit, die ihr gegönnt waren, einen Ausdruck rührender, herzgewinnen der Lieblichkeit. Aus ihren tiefblauen Augen leuchtete ein ganz inniges, unaussprechliches Verlangen nach et was Befferm, als diese Welt gewähren kann, und das Schwermüthig-Schmachtende der übrigen Züge, das so häufig zum Himmel aufgekchrte Antlitz gaben unwill kürlich den Eindruck des Sehnens nach Ruhe. An einem klaren, blauen, schneidend-scharfen Abende zu Ende des Octobers — dieser reizenden Zeit des Jahres in Schottland, wo die bunte Farbcndecke aus Baum und Berg noch weilt unter der Hellen Frostlust des Winters — nahm Murdoch, der Schäfer, seinen Weg hinauf nach dem Rande des Loch-Shee, den Mantel von Würfclzeug fest umgcschlagcn und die Mütze dicht über die Stirn gezogen, zum Schutz gegen die schneidende Lust. Der Wind strich scharf über die Berg gipfel und fegte aus dem Lustkreise^ jede Spur von Gewölk oder Nebeldust, kräuselte aber mit keinem Weil chen die Oberfläche des Wassers, das, wie gewöhnlich, schwarz, klar und regungslos, wie von geheimem Zau ber gebannt, dalag. Die Blätter der Bcrgcsche schwirr ten mit Scufzerlautcn, wie im klagenden Schmerze, daß sie ihr Helles kurzes Dasein nun aufgeben müssen, nieder; die härteren Glattulmen dagegen trugen noch ihr dunkelgrünes Laubkleid und verbanden, wenn auch nur selten und einzeln stehend, den Hellen blauen Him mel und den zarten Farbenschein des Sonnenunter ganges mit der scheidenden Jahreszeit, der sie anzuge- hörcn schienen. Murdoch achtete indessen bei seinem rasche ten der Schönheit des Abends wenig, wohl aber Men er mit einigem Wohlgefallen die ungewöhnlich dicke Rauchsäule, die aus dem Hüttenschlot emporsticg, als ein einladendes Zeichen der verstärkten Glut des Heerd- feucrs drinnen anzuschen. Der Schäfer hatte schon die letzte Wendung des felsigen Pfades, der ihn auf einer langen Ausbiegung von dem gegenüberliegenden Scerandc herführte, zurückgelcgt, und den Fuß auf den nächsten der Schritlstcinc gesetzt, welche ihn mit trocl ner Sohle über den breiten Theil des Bcrgwassers, da, wo cs über ebnen Boden strömt, hinüberbringen stllte, als sein Auge das Flattern eines Plaids gewahrte, und er nun hastig den Bach aufwärts schaute, um kessen Besitzerin— Elsbeth — zu entdecken, denn ihreNelk- stundc war's und hatte sie gewiß zu ihrer Obliege,heit, gegen den schneidenden Hauch so geschützt, herarsgeru- fcn. Allein der Würfclmantel war, wie sein sckarfes Auge bald bemerkte, an einem Baume aufgehengen, und seine Falten verhinderten ihn, die Gestalt der er angehören oder die sich hinter ihm geschirmt haben mochte, zu erkennen. Der Gedanke, es möge Marie sein, die hier zu ihrem Lieblingsplatze sich zurück gezogen, zuckte ihm durch den Sinn, und rasch drängte