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137 I Irrit diesem sonderbaren Ereignisse beschäftigt sei, und ^ Ihiclt cs sür seine Pflicht, die durch einen Blick zu ent- -nj «täuschen, die bei dem Borgegangenen leiden mußte. 1Er konnte ihr Gesicht nicht sehen. Sie hatte es in Ä sdie Haad gestützt und weinte heftig. Ein neuer Schmerz «hatte sich zu dem der Besorgniß gesellt, aus Bitterkeit grollten ihr die Thränen über die Wangen. , ! Ach! es war ein Augenblick der Entzauberung für «die arme Frau, die den Heißgeliebten nun treulos «glaubte. Nach Vernehmung des letzten Zeugen, dessen «Aussage den anderen gleich kam, verließen die Freunde §.) «Naimund's voll Kummer und Besorgniß den Saal. ! In sein Gefangniß zurückgckehrt, konnte Raimund , I zum eisten Male seine Gedanken über den Austritt I sammeln, der so eben Statt gefunden hatte. Er bc- . E mühte sich, seine Erinnerungen herbeizurufcn. Er ge il dachte der Zeit, wo er in ihrer Nähe lebte; er erinnerte « sich ihrer Freundschaft, als seine Mutter die Waise wie ' I ihre Tochter erzog; ihre geschwisterliche Zuneigung, " S welche mit 15 Jahren eine andre Richtung nahm, > leichtfertig und frivol bei ihm, aber tief und zärtlich in I der Seele jenes Mädchens, in der er auch abwesend r. I lebte. Nun enthüllte sich ihm zum ersten Male das Ge- ''' i heimm'ß der Aufmerksamkeit, mit welcher Marie ihn > > stets beobachtete; er verstand die Tiefe des langen le I Blickes ihrer schwarzen, sanften Augen; er las zum Äl ersten Male in dem Mädchenhcrzcn, welches er bisher iHD nicht verstanden hatte. Das unschuldige Kind hatte I in den Schmeicheleien eines jungen Menschen wahre ü. I Liebe geahnt, und hatte einige Aufmerksamkeiten der "i I Freundschaft mit leidenschaftlicher Liebe vergolten. In I einem stummen Gefühle liegt eine solche Bercdtsamkeit, Z I daß der, welcher dasselbe cinflößt, ohne allen Zweifel «l I daran glaubt. Bon diesem Augenblicke an wurde d I Marie eine längst verlorne Freundin für Raimund; es empörte ihn, die innige Neigung verkannt zu haben, e I als die Zukunst ihm noch lachende Hoffnungen bot. Wie verschieden zeigte sich Marie gegen die anderen K I Frauen, die er geliebt; sie, die ohne irgend etwas für sich selbst zu erwarten, nicht vor einem Geständ- I nisse zurückbcbte, durch das sie mit Verachtung bedeckt irde. Er fühlte, was das tugendhafte Mädchen rerreißendcs empfunden haben mußte, als sic für ! ... - 'Achtung der Welt opferte, die ihr so thcuer war. < Gedächtniß stellte ihm Marie dar, die so ' o bescheiden war, wie sie, bleich und niedcrge- ch die Schmach, die Entehrung dem Verluste dessen vorzog, von dem sie nicht einmal verstanden wurde, und den sie retten wollte, um ihn einer Andern zurückzugeben. In einer solchen Liebe liegt etwas zu Wahres, um nicht getheilt zu werden. Ec fühlte jetzt, daß cs Frauen gicbt, deren Herz voll Mysterien der Liebe er nie er kannt hatte. Marie gehörte ihm an für immer, denn er hatte sie erkauft durch die Verachtung Aller. Mit großen Schritten ging er in seinem Gefäng nisse umher; der Unglückliche vergaß, daß der Tod, dcp Tod durch Henkershand, ihm ganz nahe war. Doch jetzt zeigte er sich ihm gewiß, denn er faßte seinen Kopf mit beiden Händen, stieß einen schmerzlichen Seufzer aus und sank nieder auf seinen Stuhl. Der Schließer trat ein. Der Gefangene sagte zu ihm: „Bernard, ich habe etwas zu bitten. Ich wünschte heute Jemand zu sehen. Ist es möglich?" „Heut' noch, ja." „Heut'- noch," wiederholte Raimund mit bitterm Lächeln, „dann — enger Gewahrsam, und dann — das Schaffet. — Wohl, es sei, das Schaffet!" rief er noch einmal, die Hände gewaltsam ballend; „aber mein Blut wird auf sie fallen, und mein Tod nicht ohne Nutzen sein. Bernard, lassen Sie dieses Billct an seine Adresse bringen, und führen Sie die Person dann zu mir." Als Raimund allein war, fragte er sich, ob Marie kommen würde, und verfiel in tiefes Nachdenken; drei leise Schläge weckten ihn daraus. Dieß Zeichen war zwischen ihm und einem theuren Wesen verabredet und hatte ihn stets mit Freude erfüllt; heut' aber er tönte es ihm wie ein Vorwurf. Wie wenig Zeit be darf es, um die Ucbereinstimmung unter Liebenden zu stören. Ein Augenblick, und Zweifel und Mißtrauen werfen Eiskälte zwischen die innigsten Verhältnisse. Das Herz, in welchem Zweifel sich erheben, erblickt überall nur Zweifel. Raimund öffnete, aber cs geschah jetzt nicht so rasch wie sonst. Indem er zur Thür ging, dachte er der nächsten Vergangenheit, und sein Auge senkte sich beim Anblick der Jungfrau, die zu ihm eintiat. Es war Valentine, Mariens glückliche Nebenbuhlerin, die er allein geliebt, bis jetzt. Sie hatte rothgeweinte Augen, ihre Wangen waren bleich. Sie setzte sich nieder, verbarg das Gesicht in beide Hände und weinte. Raimund näherte sich ihr und sagte leise: „Va lentine, kommen Sie so zu mir?" Sie erhob das Haupt. Der ganze Stolz eines