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136 befand sich eine andre Frauengestalt, aufmerksam und besorgnißvoll, crröthend und erbleichend bei der Rede Raimund's. Des Athems kaum mächtig, verließen ihre Augen die BrtnULer Angeklagten nur, um sich auf die Richter und Deschwornen zu wenden und ihre strengen zu befragen, während sic, vergessen von dem, der ihr solche Angst cinflößte, keinen Blick als Antwort erhielt. Sie sah nur, wie er die vor ihm sitzende Frau sanft anblickte, und dann fühlte Marie das Blut sich zu ihrem Herzen zurück- drängcn und seufzte. Die Zeugen waren vernommen, es blieben nur noch zwei. Die Aussagen schienen nicht sehr wichtig, we nigstens waren die Anklagen beseitigt; die Freunde Raimund's blickten einander ruhiger an und hofften wieder. Einer der zwei Zeugen trat vor. „Wiederholt Cure Aussage," befahl der Präsident. „Wo habt Ihr den Angeklagten Dcrvcaux in der Nacht des Ereignisses gesehen?" „Es war II Uhr. Der Angeklagte ging schnell, verbarg eine Waffe unter seinen Mantel und sah mich nicht. „„Rasch!"" sagte er zu einem Vorübergehenden; „„unsere Freunde sind verhaftet; wenn es nicht mehr Zeit ist, sie zu retten, wollen wir wenigstens auf unsre Sicherheit bedacht sein."" Alle sahen einander an. Marie fühlte ihr Herz brechen, es schien ihr, als hätte sie das Todesurtheil vernommen. Der Zeuge brachte die Beweise bei, und sagte zu letzt, daß er den Angeklagten um 2 Uhr Morgens an der Thür eines Hauses getroffen hätte, dessen Verdäch tigkeit hinlänglich bewiesen sei. Die letzte Behauptung war noch nicht ganz ausge sprochen, als aus dem Hintergründe des Saales eine weibliche Stimme rief: „Lüge!" Man wollte Stillschweigen gebieten. Aller Augen hatten sich nach der Gegend gerichtet, woher die Stimme kam. Der Angeklagte verlangte, daß man diesen neuen Zeugen befragen solle. Da sah man ein junges Mädchen, bleich und zit ternd, nahen, aber aufrecht erhalten und beherrscht durch den festen Entschluß, welcher das Ergebnis; des Augen blicks war. Als sie sich aber der Menge gegenüber sah, Aller Blicke aus sich gerichtet, da wankten ihre Füße, ihre Augen umflorten sich, sie stützte sich auf ei nen Stuhl, um sicht zu fallen. Gcwallsam sich sammelnd, wendeten ihre Blicke Hch bittend auf Raimund, als wollte sie ihn fragen: „Was werden Sie denken?" Und dann auf die junge >' Frau, die mit Erstaunen sie anblickte. Marie hätte ihr so gern gesagt: „Zürnen Sie mir nicht, beneiden Sie/!'' mich nicht um mein erlognes Glück!" Und ihr Blick war so beredt, daß ihre glücklicl I'" Nebenbuhlerin sie hätte verstehen sollen. ! Raimund wurde durch den Anblick Mariens so se I'' überrascht, daß er glaubte zu träumen. Marie, gcknr von ihm, seinem Leben fremd geworden, erschien st z wie ein schützender Engel, den Streich abzuwensi i ! der ihn bedrohte. Er betrachtete sie mit Rührü k Erinnerungen drängten sich in seinem Geiste, und l >! litt, indem er bedachte, daß die Zukunft ihm nicht gestatten würde, die verkannte Vergangenheit zu i M i guten. „Was wissen Sie von dem Angeklagten?" frq « . der Präsident. „Herrn Dcrvcaux kann der Zeuge nicht gsseh ! haben," sagte sic, und vermochte kaum diese Do, I hervorzubringen. „Ich habe ihn gesehen und - > weiß — wo er bis zum Morgen war." „So sagen Sie es. Die bloße Behauptung; ^ nügt nicht." ? „Bei mir!" sagte sie so leise, daß man sie n Saale eher crrathcn mußte, als verstehen konnte. ^ „Und welchen Beweis haben Sie?" fragte , Präsident. „Glauben Sie, daß Ihre einzige Stim i die fünf Zeugen Lügen strafen könne, die vor Ihl. gesprochen haben?" „Welchen Beweis, großer Gott! Ist das Gesta 7 niß, welches ich ablege, noch nicht genug?" sagte A ihr brennendes Gesicht verbergend. „Es bedarf eines Beweises!" wiederholte der M i des Gesetzes, mit seiner amtlichen Gleichgültigkeit Worte betonend, damit sie besser verstanden würde ß „Ich habe keinen." „So entfernen Sie sich." Marie schwankte ? dem Saale. „Haben Sie nichts zu'-entgcgncn?" fragte ß Präsident den Angeklagten. ^ Raimund zögerte einen Augenblick; aber Seelen von -gleicher Größe versteht man die S ^ aufopferung, und hält sich nicht für berechtigt, s Edclmmh zurückzuweiscn. „Nichts!" ^viedcrtc er kalt. Jetzt zum ersten Male fühlte er, daß er nicht