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20 neun Jahre sieben Jünglinge und eine gleich große Anzahl von Jungfrauen als Tribut zu senden, — eine Angabe, worin die meisten Geschichtschreiber übercinstimmen. Wurden nun diese jungen Leute nach Kreta gebracht, so schildert uns die Sage in ihrer traurigsten Gestaltung, wie sie entweder von dem Minotaurus') im Labyrinth aufgefressen wurden, oder wie sie selbst darin ver irrten und unfähig, wieder einen Ausgang zu finden, jämmerlich verschmachteten. Minotaurus aber sei, nach Euripides' Dar stellung, „Ein scheußliches Geschöpf von arg gemischter Art" gewesen und „Zur Hälfte Stier, zur Hälfte Mensch — ein Doppelding." Cap. 16. Nach Philochorus' Angabe gestehen die Kreter Letzteres nicht ein, sondern behaupten: „das Labyrinth sei nur ein Ort des Gewahrsams gewesen, ohne weitere Schrecknisse, als daß die Ge fangenen nicht hätten entfliehen können. Minos habe lediglich zu Ehren des Androgeos einige Kampfspiele angestellt, wobei man die Kinder, welche inzwischen im Labyrinth sicher aufgehoben wurden, an die Sieger als Preis vertheilte. Nun siegte in den früheren Kampfspielen gerade der Mann, welcher bei Minos da mals den größten Einfluß besaß, der Feldherr Taurus, ein harter, unfreundlicher Charakter, der auch mit den athenischen Kindern hochmüthig und rauh umging." Aristoteles 2) selbst glaubt offenbar — in seinem „Staat der Bottiäer" — ebenfalls nicht an eine Ermordung der Kinder durch Minos, sondern nur an ein lebenslängliches Sklavenver- hältniß auf der Insel Kreta. „Die Kreter (erzählt er) hatten einst ein altes Gelübde zu erfüllen und schickten deßhalb eine ') Minotaurus, cig. Stier de» Mino». Die Sagen über ihn find verschie den, z. B. bei Apollodor III, >. 2) Aristoteles beschrieb in einem verloren gegangenen Werke die Berfassung von ldS, nach Anderen von M Staaten.