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12988 Börsenblatt f. d. DIschn. vuchhanöel. Fertige Bücher. 248, 2Z. Okwber 1912. Eine glänzende Besprechung über Pfarrer Schröder erschien soeben in der „Frankfurter Bürgerzeitung"! Pfarrer Schröder Ein Roman von Edward Stilgebauer Ein aktuelleres Buch hätte der Dichter des „Götz Krafft" nicht schreiben können. Pfarrer Schröder ist der Held des geist lichen Berufs, der Mann, der an seiner innersten Überzeugung zugrunde gehen mlißte, wenn die Opfer der Orthodoxie in ihrer mutigen Bckenntnistreuc nicht den Schutz von Tausenden fänden, die sich auch um die Jatho und Traub scharen. Es ist das Buch der evange lischen Geistlichkeit, aber nur der liberalen; die Positiven und Orthodoxen werden für die religiöse Überzeugung des Helden nur bas gleiche Mast von Unduldsamkeit besitzen, das sie gegen jeden Amtsbruder in Christo amvenden, sie werden aber auch für das Kunstwerk wenig Verständ nis zeigen, bas der neue Roman Stil gebauers ist. Man kann sich mit diesem Buche nicht beschäftigen, man kann es nicht lesen, ohne an die traurigen Vorgänge im kirch lichen Leben der Gegenwart erinnert zu werden. Und doch ist dieser Roman mit seinen meisterlich gezeichnete» Gestalten im eigentlichen Sinne kein Tendenzwerk; es mühte denn sein, bah man jede künst lerische Erscheinung, durch die eine frei heitliche Lebensauffassung weht, die sich gegen überlebte und unhaltbare Dogmen richtet, die das Banner des geistigen Fortschritts gegen die Reaktion, einerlei auf welchem Gebiet trägt, als Tendenz schrift bezeichnen wollte. Der Roman des moderne» Geistlichen, den Stilgebauer im Verfolg seiner großen Romanserie „Die Lügner des Lebens" mit „Pfarrer Schröder" (Verlag Carl Rechner,Dresdens neuerdings erscheinen ließ, zeigt an dem Schicksal eines jungen evangelischen Pfarrers die Pharisäerhaftigkeit der Orthodoxen, er entrollt zugleich aber ein Bild der kirchlichen Kreise, wie es keiner echter und eindrucksvoller zeichnen konnte als der Frankfurter Psarrerssohn, der damit allerdings wieder das Malheur hat, gewissen Leuten, die auf dem Stand punkt des Spruchkollegiums stehen, gründ lich zu mihsallen. Der Heid des Romans wird von den Orthodoxen zur Strecke gebracht; er geht trotzdem siegreich durch innere seelische Kämpfe und äußerliche Verfolgungen durch und bleibt sich selbst in seinem Bekennermut treu Wer bas Buch aber liest — und es wäre um der Sache der geistigen und religiösen Frei heit willen zu wünschen, daß cs möglichst viele lesen — der wirb, gefesselt durch die packende Darstellung und die scharfe Charakterisierung aller Figuren, Pro bleme erörtert finden, mit denen sich der moderne Mensch klar auseinandcrsetzen muß. Das Buch muß eine starke Wirkung haben, denn es rüttelt an Dingen, die längst morsch nur noch (durch die Schein- krast von Dogmen gehalten werden, die mit der Wissenschaft so wenig vereinbar sind wie mit dem wahren sittlichen Em pfinden: Das Evangelium der Jatho, Traub und des Pfarrers Schröder ist ein wahrhaft religiöses und seelisch-erlöscndes, und in der Form eines künstlerischen Gebildes an der religiösen und sittlichen Befreiung des Volkes von orthodoxem Fanatismus kraftvoll mitgearbeitet zu haben, — das ist vielleicht bas größte Verdienst dieses Buches. Stilgebauer zeigt einen jungen Geist lichen in seiner Entwicklung. Es ist kein Typ, den er schildert, sondern ein Einzel sall; in Wirklichkeit mögen die Schröders hundertfach auf deutschen Kanzeln stehen, aber auch die Traub, Jatho, Wegener sind in ihrer Art Einzelsälle. Der junge Landprcdiger bekommt eine großstädtische Psarrc, mit charakteristischen Farben sind Menschen und Verhältnisse feines neuen Wirkungskreises geschildert, man tut interessante Einblicke in Synode, Kon sistorium, in das Gcmeindcleben, präch tige Idealisten im Chorrock wie der Senior Alt und der greise Landpfarrer Lee erscheinen, daneben Pseuboliberale wie der gleißnerische Pfarrer Rottenbach, theologische Finsterlinge wie Glarner; man fühlt den Frieden des evangelischen Pfarrhauses, aber man sieht auch, daß menschliche Leidenschaften auch hier da heim sind wie anderswo, mit frischem Humor ist das gesellschaftliche Leben der Pfarrerssranen geschildert, man merkt sofort, daß hier einer die Feder führt, der die Verhältnisse kennt und der sie mit künstlerischer Wirkung zu gruppieren versteht. Pfarrer Schröder kommt durch sein großzügiges soziales Birken, durch seine begeisterte seelsorgerische Tätigkeit und seine glänzenden Predigten bei ge wissen Amtsbrlldern sehr bald in Miß kredit. Er verliebt sich in eine geistig hochstehende Jüdin, die sich aus innerster Überzeugung von ihm taufen läßt, er heiratet sie, die an einem furchtbaren Lebensschicksal trägt, er verweigert einer unglücklichen Selbstmörderin, die aus Scham und Elend mit ihrem Kinde in den Tod ging, nicht bas christliche Be gräbnis und schließlich verfällt er der Irrlehre. Natürlich nur im Sinn seiner Feinde, er selbst bekennt ein Christentum, wie es schöner, edler und großartiger nicht gedacht werden kann. Das Spruch kollegium beschließt auf Amtsentsetzung, aber seine Gemeinde hält zu ihm, es ist die sieghafte Krast einer idealistischen Weltanschauung, von der unser offizielles religiöses und kirchliches Leben heute weiter als je entsernt ist. „Pfarrer Schröder" behandelt ein heikles Gebiet. Wenn es Stilgebauer gelungen ist, das Leben selbst in seiner neuen Schöpfung wiederspiegeln zu lassen, wenn er beispielsweise in einer wunder baren Osterpredigt des verfolgten Geist lichen die wahre Höhe einer durchgeistigten Auffassung und tiefen Empfindung des Christentums zum Ausdruck bringt, ein Kapitel, bas für sich allein in seinem dichterischen Schwünge und seinem Ge dankenreichtum einen hohen Genuß be reitet, so ist ihm dies nur möglich ge worden durch die eigene Überzeugungs treue und dann durch ein gründliches theologisches Studium, das ihn die schwierige Materie in allen ihren wich tigsten Punkten dem allgemeinen Ver ständnis klarlegen läßt. Der Roman wird Tausenden erst die Tragödien Jatho und Traub zu klarem Verständnis bringen, er wird jeden denkenden Leser schon dadurch fesseln, daß er ihn in eine Welt etnfiihrt, die bisher entweder vom süßlichen Standpunkt der Gartcnlaubcnromanlitcratur oder in ten denziöser Entstellung gezeigt wurde. „Psarrer Schröder" ist ein tapferes Kamps- und Aufklärungsbuch, schöner und begeisterter ist der evangelische Psarrer als wahrer und wahrhaftiger Verkünder des Wortes Christi noch nicht geschildert worden, als es hier der be geisterten Hingabe Stilgebauers an eine ebenso bedeutende als künstlerisch-reizvolle Aufgabe gelungen ist. Ich habe dieser trefflichen und erschöpfenden Charakterisierung des Buches nichts hinzuzusiigen. Der Roman macht seine» Weg und überall regt sich starke Nachfrage. Vorläufig kann ich nur fest und bar liefern. Ich bitte sofort z» bestelle» und die Vorräte zu ergänzen. Verlangzettel liegtjsbci. Dresden, Oktober 1912. Carl Reißner.