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iiMuSiW HwMUM (Beilage zu No. 103 der Rautzener Nachrichten.) Organ des Verbandes oberlaufttzer Gewerbevereme. 2^)7 ^0. 5. Das Oberlaus. Gewerbeblatt erscheint allmonatlich. Separat zu beziehen durch die Exp. d. Bauhn. Nachr. XI. Inkrgnng. Mai. Preis: jährlich I Mark 20 Pfennige. Inserate: die Spaltzeile 12'/, Pf. 1876. Neber Kindersterblichkeit im Allgemeinen, speciell über Kinder sterblichkeit im Gerichtsamts-Bezirke Ostritz. (Vortrag des Bezirks-Arztes vr. Hesse in Zittau, gehalten im Gewerbevereine . zu Ostritz, in Mitanwesenheit von Frauen, am 26. März 1876.! Eine eben so wahre, wie traurige Erscheinung ist die große Sterblichkeit dSr Menschen im zartesten Alter, im ersten Lebensjahre. Man bcurtheilt die selbe für einzelne Länder und Districte gewöhnlich so, daß man die im ersten Lebensjahre Gestorbenen entgegenflellt den in gleicher Zeit Lebendgeborenen und be rechnet, wie viel von jenen, den im ersten Lebensjahre Gestorbenen, aufHundert Lreser, der Lebendgeborenen, kommen. So erhält man Procente, welche zum Vergleich brauchbarer sind, als die ursprünglich gefundenen Zahlen. Nun weiß man schon längst, daß die Kindersterblichkeit in den verschie denen Ländern eine sehr verschiedene ist; sichere statistische Beweise für sie hat man erst in neuerer Zeit und namentlich für europäische Staaten gewonnen.') Gering ist sie in den scattdinavischen Ländern. In Norwegen betrug sie in den Jahren 1856—1865 — 10,4 K; in Schweden 1861—1867 13,s8; in England 1838—1854 und 1851—1860 — 14—15Z, in Frankreich 1840—1859 und 1851—60 — 16—17 ^, in Spanien 1858—1868 -n 18^, in Preußen 1864—1866 incl. 21,i K. Am höchsten ist die Kinder sterblichkeit in Württemberg und Bayern; doch steht diesen am nächsten unser Sachsen. Hier betrug sie im ganzen Lande in den Jahren 1865 bis mit 1870 27 Z der Lebendgcborencn, in den Jndustriebezirken mehr, in den Gegenden mit vorherrschendem Ackerbau weniger. Ausfällig hoch ist die Kindersterblichkeit im Zittauer Medicinal-Bezirke, die Amtsbezirke Zittau, Ostritz, Reichenau und Großschönau umfassend, und hier wiederum am höchsten im Amtsbezirke Ostritz. Sie zeigte hier in der sechs- jährigenPeriode von 1865 bis mit 1870 eineHöhe von reichlich 40,o 8 und betrug im vergangeüen Jahre sogar 47,e H. In der Parochie Grunau starben von den im Jahre 1875 30 Lebendgeborenen im selben Jahre 15 und außer diesen noch sechs Kinder, welche ebenfalls das erste Lebensjahr noch nicht überschritten hätten! Es müssen diese Verhältnisse die „allgemeine" Aufmerksamkeit erregen, und muß Jeder nach Kräften sich bestreben, dem Uebel Einhalt zu thun. ' Hierzu genügt aber nicht Lie bloße Kenntniß der Thatsache, vor Allem muß man deren Ursachen kennen. Run könnte wohl Jemand meinen, es sei Naturgesetz, daß von einer ge wissen Anzahl Kinder eine gewisse Anzahl früh wieder sterbe. Wohl ist in der zarten Constitution des Kindes, in dem plötzlichen Wechsel seiner Körperthätigkeitcn einerseits, wie der äußeren Einflüsse andererseits, bei Md alsbald nach der Geburt Grund genug gegeben, die kindliche Existenz zu - *) Vergl. die Sterblichkeit der Kinder während des ersten Lebensjahres in Ssiddeutschland, insbesondere in Bayern, von vr. S. Mayr (mit 1 Karte) und „die Kindersterblichkeit in Sachsen" im 5. Jahresbericht des kgl. sächs. Landes- Medicinal-Collegiums (mit 1 Karte). gefährden; und es wird deshalb, bei größter Aufmerksamkeit und bester Pflege, stets ein ziemlicher Theil der Neugeborenen sterben. Daß es aber der früh Heim gehenden so viel geben müßte, läßt sich weder nach den Naturgesetzen erwarten, noch spricht die Erfahrung dafür. Letztere lehrt, um nur Einiges anzudeuten, daß mit dem Verfall der Sitten die Kindersterblichkeit steigt, daß nach Beseitigung von gewissen Hindernissen diese fällt. Beispiele hierfür werden noch später angeführt werden. Wenn aber die große Kindersterblichkeit keine unumgängliche Erscheinung, sondern deren Minderung — bis zu gewissen Grenzen — in unsere Hand ge legt ist, so gebietet schon die Humanität, daß wir ihr zu steuern suchen. Hält es doch gewiß ein Jeder für Pflicht, seinem Nebenmenschen, wenn er ihn inGe- fahr weiß, zu Hilfe zu eilen. Und ist das schwache, stets gefährdete Kind nicht auch ein Mensch ? — Ja noch vor der Pflicht sollte die Liebe wirken, sie, die vielbesungene Mutterliebe, die ja schon im Thiere so mächtig wirkt, daß sie uns oft in Staunen versetzt! Doch ich sage hiermit Allbekanntes. Weniger zum Allgemeinbewußtsein dürfte gekommen sein, daß durch die große Kindersterblichkeit das pccuniaire Interesse, das Staatswohl geschädigt wird. In jedem früh sterbenden Kinde geht ein Capital verloren. Hat ja doch das Kind schon vor der Geburt Stoffe in sich ausgenommen, hat es der Mutter Arbeitskraft beschränkt und hat es dies in erhöhtem Maaße während der ersten Wochen und Monate seines extrauterinen Lebens fortgesetzt, ohne seiner Mitwelt auch nur das Geringste von dem ihm geopferten Stoffe, von der ihm gewährten Arbeitskraft noch zurückgegeben zu haben. Doch mögen Andere sagen, wieMutter- liebe und Menschenpflicht, wie Cultur und Volkswohlfahrt sich mit der großen Kindersterblichkeit vereinigen läßt; meine Aufgabe ist, diese Calamität vom ärzt lichen Standpunkte aus zu prüfen. Ich würde von diesem auch nicht abgcwichen sein, wenn ich nicht zu ost erfahren hätte, wie leicht Eltern sich zu trösten wissen über den Verlust eines kleinen Kindes. „Es ist wohlversorgt", d e n k t und sagt man wohl auch, bei sich behält man, daß mit dem Tode des Säuglings Sorgen und Geldausgaben für ihn aufhören. Wohin dieser Wahn führt, das zeigen die berühmten und berüchtigten Zieh mütter, die ja deshalb nicht selten den Namen führen „Engelmacherinnen". Diese Engelmacherinnen sind die verabscheuungswürdigsten Mörderinnen. Doch kehre ich zurück auf den ärztlichen Standpunkt. Das Kind beginnt mit der Geburt ein ganz neues Leben. Vor ihr, so lange es sich noch im Mutterleibe befand, erhielt es sein Ernährungsmaterial fertig von dem mütterlichen Organismus zugeführt; mit der Geburt beginnt die eigene Verdauung des Kindes, d. h. es muß die Nahrungsmittel zu seiner Erhaltung und zu seinem Nufbauc selbst erst vorbereitcn. Organe, welche vor her vollständig unthätig waren, wir die Lungen, werden jetzt plötzlich in An spruch genommen. Das geborene Kind (wird aus einem gleichmäßig warmen, der Temperatur seines eigenen Körpers entsprechenden Raume in Räume ver-