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1244 „Wohl, aber setzen Sie den Fall, daß man nach der Verpfändung desselben «insicht, sich zu etwa- Schlechtem verpflichtet zu haben; sollte man dann nicht berechtigt sein, sein Wort zu brechen?" „Ich denke nicht; wie aber kamen Sie heut auf diesen Gegenstand ?" Er sah sie mit erwachtem Argwohne an; sie konnte doch wohl nicht erfahren haben, wozu er sich verpflichtet hatte? „Auf sehr natürlichem Wege, wir beschäftigten uns heut früh mit bib lischer Geschichte, mit der Erzählung von Hcrodcs, der Johannes den Täufer hinrichten läßt, weil er seiner Tochter mit einem Eid geschworen, ihr eine Bitte zu erfüllen. Adele setzte mir mit ihren Fragen hart zu, und ich konnte ihr doch nur sagen, daß man sich hüten müsse, ein leichtsinniges Versprechen zu geben; aber bei längerer Ueberlegung komme ich doch zu dem Schlüsse, daß man einen Eid, der uns zu einem Verbrechen verpflichtet, nicht zu halten genöthigt ist. Sind Sie anderer Meinung, Herr Fels?" „Ganz entschieden. Ich behaupte, daß man jeden Eid unbedingt halten Müsse.' „Auch wenn er für Andere da- größte Leid herbciführt, während der Bruch de» Wortes Niemandem, außer etwa unserem Ansehen vor der Welt und uns selbst, schaden kann? Meinen Sie nicht, daß ein solches Einsehen uns von unserem Eide entbinden kann?" Hubert schüttelte den Kopf. „„Herr des »«gesprochenen Wortes, Sclave des gegebenen""; ich meine, die Ueberlegung sollte vorher kommen, nachher darf man nichts mehr ändern. Sie bekennen sich zu jesuitischen Auffassungen, Fräulein Viola." „Sie sagen mir ein hartes Wort, Herr Fels, und doch — ich werde hoffentlich nie in die Lage kommen, zwischen meinem Eide und meinem Ge wissen entscheiden zu müssen." Hubert betrachtete sie sinnend, dann sagte er, den ihm unbequemen Gegenstand des Gespräches verlassend: „Wer gab Ihnen Ihren schönen Namen, Fräulein Viola?" „Meine Mutter; sie hatte eine besondere Vorliebe für das Veilchen, ein großer Theil unserer Treibhäuser war allein seiner Cultur gewidmet, und ich erinnere mich, daß das ganze Jahr hindurch blühende Veilchen in ihrem Zimmer stehen mußten." Sic lächelte trübe bei der Erinnerung an jene Zeit des Ueberflusses, sie, die jetzt abhängig in dem Hause einer Fremden lebte, während ihr Vater, wegen betrügerischen Bankerottes steckbrieflich verfolgt, sich als Flüchtling in einem fremden Lande verbarg. Hubert sah voll innigen Mitleids in ihr liebliches blasses Antlitz. Da bemerkte er eine schnelle Veränderung in dem Ausdruck der Augen, die auf die Straße gerichtet waren und ein plötzliches Aufsteigen dunkler Röthe in ihre Wangen. Das Mädchen trat vom Fenster zurück. „WaS haben Sie, Fräulein Viola?" fragte er besorgt. „Nichts, nichts" wehrte sie ab, „ich glaubte nur — nein, cs ist wirk lich nichts. Ich bin ein thörichtcs Mädchen, das sich vor einem Schatten fürchtet." Mehr erfuhr er nicht und auf der Straße war auch nichts zu er blicken. „Weißt Du wohl, Onkel Hubert", sagte Adele an einem der nächsten Tage, „daß heut Papa's Todestag ist? Wir gehen am Nachmittag Alle auf den Kirchhof, um Kränze auf sein Grab zu tragen, Du kommst doch mit?" — Er stand in ernsten Gedanken dabei, als sie die Ruhestätte des ge liebten Verstorbenen schmückten; bald würden sie auch für ihn eine solche Pflicht der Liebe erfüllen können. MS sie darauf heimwärts gingen, bemerkte er, daß ein kleiner Theil des Friedhofes auffallend vernachlässigt war, die Gräber auf demselben ver fallen und weder durch ein Kreuz noch durch eine Blume gekennzeichnet waren. Adele ging neben ihm und hatte liebkosend ihren Arm in den seinen gelegt. Sie folgte seinem umherschweifenden Blicke. „Hier liegen die Selbstmörder", sagte sie mit kindischer Gleichgiltigkeit. Ein Schauer erfaßte Hubert. Also dorthin würde er gebettet werden, nicht neben den Mann seiner Schwester, hier mußte er als Ausgestoßener liegen und noch nach seinem Tode büß n für ein leichtfertig gesprochenes Wort. Er bemerkte, daß Viola ein wenig zurückblieb und an einem der versunkensten Gräber still stand. Sie löste, unbemerkt, wie sie glaubte, eine späte weise Rose, die sie im Gürtel trug und legte sie auf den verwahr losten Hügel nieder. Da- Kind an Huberts Arm, das seine Bewegung nicht ahnte, plauderte fröhlich weiter. „Da es heut gerade Sonntag ist und die Arbeiter nicht bei Deiner Villa beschäftigt sind, könntest Du un- wohl einmal hinsühren und uns Dein Werk zeigen, wie Du schon lange versprochen hast." Um nach dem Bau zu gelangen, durchschritten sie einen Theil der Stadt. Clara ging mit den jüngeren Kindern voran, Hubert folgte mit Adele, an deren anderer Seite Viola ging. Während sie unbefangen plau derten, wandte diese sich plötzlich zur Seite und trat in den zunächst gelegenen Laden, dessen Thure sich hinter ihr schloß in dem Augenblicke, als «in fein- gekleidetcr Herr dicht an den Zurückgebliebenen vorüberging und sie mit auf merksamem Blicke musterte. Das Gesicht dieses Fremden kam Hubert bekannt vor, nur wußte er sich nicht zu erinnern, wo er dasselbe schon gesehen, und ob es vor längerer Zeit oder kürzlich gewesen sei. Ein paar Augenblicke später holte Viola sie wieder ein. „Fiel Ihnen so plötzlich eine Besorgung ein, Fräulein Kerden", fragte Adele, „aber was in aller Welt können Eie denn in einem Seisensiederladen kaufen wollen?" Viola gab eine ausweichende Antwort und Hubert vergaß bald diese kleine Begebenheit über dem Vergnügen, das eS ihm verursachte, seine Angehö rigen mit dem von ihm geleiteten Bau bekannt zu machen. Sie lauschten seinen Erklärungen mit Aufmerksamkeit, lobten alle Einrichtungen und scheuten wedcr Kalk noch Zicgelstaub, um Alles genau in Augenschein zu nehmen^ „Wie freut mich dieser Bau", sagte Clara liebevoll, „denn ich bin gewiß, es wird Dir künftig nicht an Arbeit fehlen. Diese Villa wird sicherlich so schön, daß man Dich mit Aufträgen überhäufen wird." „Ich habe deren schon bekommen", erwiederte Hubert düster. „Und das erwähnst Du mit einer Miene, als sei Dir dadurch eine Kränk ung zugefügt worden! Ist es Dir unlieb, in unserer Nähe festgehaltcn zu werden?" „Und nicht wahr, Onkel", rief Adele fröhlich, wenn Du Dich verheira- thcst, baust Du ein eben solches Wohnhaus? Ich wüßte schon, in welchem Zimmer ich logircn möchte, wenn ich bei Dir zu Besuch bin." Aber Hubert blieb der Schwester wie der Nichte die Antwort schuldig Es gelang ihm nicht sobald, die Gedanken los zu werden, die dieser Spa ziergang, besonders aber der Besuch des Friedhofes, in ihm erweckt hatte. Sein ganzes Innere sträubte sich gegen die Aussicht, in dem vcrachtetsten Theile dessel ben beerdigt zu werden, an jener Stelle, an der Alle mit geheimer Scheu eilig vorüber gingen. Viola freilich, sie würde auch für ihn noch ein mildes Wort haben. Und noch andere Erinnerungen hatte der stille Ort in ihm geweckt, Er- innerungcn an seine Mutter, von deren Lippen er einst mit kindlicher Gläubig keit die ersten heiligen Lehren empfing. Er dachte an das unbekannte Jenseits, nach welchem sic so friedlich hinüber geschlummert war, dessen Pforte er mit eigenmächtiger Hand sprengen wollte. Würde er sic, die Mutter und die ehe malige Geliebte, dort wieder finden, wie beide auf ihrem Sterbelager gehofft? Doch noch hatte er ja Monate vor sich, in denen eine für ihn glückliche Fügung des Schicksals sein Leben auf eine andere Weise beschließen konnte, ohne daß er, wie er geschworen, selbst Hand an sich zu legen genöthigt war. Er stand mit solchen Gedanken am Fenster und da es ein milder Spät sommerabend war, öffnete er es jetzt und lehnte sich hinaus. Da erblickte er auf der gegenüber liegenden Seite der Straße eine dunkle Gestalt, die, so viel konnte er bei dem Lichte der Laterne erkennen, unverwandt nach dem von ihm und seiner Schwester bewohnten Hause hinüber und zu den Fenstern desselben empor sah. Nicht nach dem, an welchem Hubert stand, sondern seitwärts, dorthin, wo Viola's Stübchen gelegen war. Nach Gestalt und Haltung schien ihm der Fremde Achnlichkeit zu haben mit demjenigen, der ihm heut bei dem Gange durch die Stadt ausgefallen war Er mußte sich überzeugen davon, ob es wirklich derselbe sei und eilte nach der Straße hinunter; aber als er dort ankam, fand er sie leer und sah nur noch, daß das Licht in dem Zimmer der Erzieherin erlosch. War es möglich, daß Viola in irgend einer Beziehung stand zu dein Fremden? War es vielleicht ein Bekannter von ihr aus der Zeit, da sie noch mit ihrer Schwester zusammen lebte? Aber warum verleugnete sie es alsdann, wie doch ihre Absicht zu sein schien, als sic einer Begegnung mit ihm aus wich? Aber es konnte ja auch nur Alles ein Spiel des Zufalls sein — doch beschloß Hubert, aufmerksam zu sein, denn, so sagte er sich selbst, er war es seiner Schwester schuldig, darüber zu wachen, ob die Erzieherin, die er ihren Kindern zugeführt, sich auch in keiner Beziehung etwas zu Schulden kommen ließe. Und dann vergegenwärtigte er sich Viola'S unschuldiges Antlitz mit den klaren, dunkelblauen Augen und schalt sich selbst darüber, daß er ihr auch den leisesten Schein eines Unrecht- zutrauen könne. - lFortsehung folgt.) Vermischtes. — ; Bautzen. Einen größeren Auflauf Neugieriger verursachte am 1. Mai Nachmittags der Transport des großen, über 4vo Ctr. wiegenden