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38 der rechnet haben. N. N. mit war Inzwischen hatte Billa die Abwesenheit ihres Vaters benutzt, um sich dem Nachlaß ihrer Mutter eingehender zu beschäftigen. Tante Rose thätig in Küche und Keller, Christel half ihr, und so durfte das junge Blumenstraße? Und wie verhält sich Ihr Gewissen dabei? Seien Sie nur immer recht höflich gegen jedermann; ich sage: recht höflich und zuvorkommend, sonst könnte etwas passieren, worauf Sie nicht mehr ge- Die Er ¬ der Offiziertisch nicht kaufen, indes — nehmen muß ich den Wein. Hätte ich doch erst das ganze Geschäft hinter mir." Soweit war er gekommen, als ihm ein anderes jedenfalls nicht kauf- Mädchen ungestört in das kleine Reich eindringen, wohin die Sehnsucht sie mächtig zog. Zuerst öffnete sie den massiven Schreibtisch, schob dieCylinder- klappe zurück und durchsuchte fast andächtig jedes Schubfach. Überall fand sie eine musterhafte Ordnung; neben deni eleganten Tintenfaß aus Sevres- porzellan lagen die sämtlichen Schlüssel zu dem Nähtisch, den Kleider schränken und Chiffonnieren, in einem anderen Fache Briefbogen und Couverte mit Namenschiffre und der siebenzackigen Krone, ein Siegel mit Malachitgriff, vergoldete Papierschere und Messer, eine Oblatenschachtel von Achat; dann folgte eine ganze Anzahl Fächer aus den verschiedensten Stoffen wie Schildkrot, Elfenbein, Sandelholz und unzählige andere Dinge, wie sie dieMode damals in dieHand einer schönen, jungen Frau legte. Billa nahm jedes Stück in dieHand und freute sich über die Mannigfaltigkeit und den Reichtum der Sächelchen und namentlich darüber, daß ihre Mutter die selben einst berührt, und sich gewiß ebenfalls darüber gefreut hatte. Mehr aber als nach diesen bunten Dingen verlangte das Tochterherz nach lebendigeren Zeugen aus dem Leben der Heimgegangenen, nach schrift lichen Notizen, Aufzeichnungen und dergleichen; sie hatte noch nicht ein mal die Handschrift der Verstorbenen gesehen, — ob Billa wohl ebenso schrieb wie sie? Wiederholt hatte das Mädchen versucht, einen kleinen Schrank im Sekretär, sowie ein darunter befindliches Schubfach zu öffnen, aber das Schloß mußte wohl in Unordnung sein, und eben wollte sie die Sache auf geben, so brennend gern sie auch den Inhalt dieser Fächer kennen gelernt hätte, als Christel eintrat. „Das sind gar kuriöse Schlösser, gnädiges Fräulein", sagte sie, „welche davon schließen einmal und welche zweimal, und dort bewahrte auch Frau Carstens ihre besten Sachen auf. In diesem Schränkchen muß ihr Schmuck liegen; ich habe oft gesehen, wie sie ihn herausnahm." „Aber Christel, ich versuche schon seit einer Viertelstunde — der Schlüssel dreht sich nicht weiter. —" „Das wird so gemacht", belehrte die verständige Dienerin, „es sind Doppelschlösser." Und in der That sprang jetzt die Thür des Schränkchens weit au^ und verschiedene Etuis, den gesuchten Schmuck enthaltend, lagen "oÜr'SÄ^ungen ^kom. "Bma mrraäjreie iiiu"oie wirklich" wslvären Gegen-- stände und nur als sie einen wertvollen Perlenschmuck in die Hand nahm, wendetesie sich nach dem Bilde der Mutter und sagte: „Der ist's, Christel." — Dann verschloß sie die Schätze wieder, um die noch übrigen Abteilungen des Schreibtisches zu öffnen, aber nirgend fand sie eine Zeile von der Hand der Verstorbenen, oder Spuren einer Korrespondenz. „Merkwürdig", sagte das junge Mädchen; „wo ist nur ihre Schreib mappe? JedeFrau-hat doch eine solche. Und warum finde ich wederBriefe noch Rechnungen ?" „Gnädiges Fräulein, ich meine, gehört zu haben", erinnerte die Dienerin, „daß der Herr Vater alle Briefe, überhaupt alles Schriftliche aus diesem Sekretär an sich genommen hat, das Fräulein Tante wird es wissen." „O, da frage ich Vater selbst. Aber nun wollen wir die Schränke und Chiffonnieren im Schlafzimmer untersuchen; der Inhalt mag böse aussehen." Bald waren beide in Erstaunen versunken über den Reichtum, den diese Möbel bargen, und den die Zeit verhältnismäßig intakt gelassen hatte. Dennoch betrachtete Billa das Ganze mit einer gewissen Eile und kehrte rasch wieder in dieWohnstube zurück, um abermals im Schreibtisch zu suchen. „Haben das gnädige Fräulein schon das Nähtischchen revidiert?" fragte Christel endlich. Rasch war der Schlüssel gefunden und das zierliche Möbel geöffnet. Da lagen die Handarbeiten der Verstorbenen, ein angefangenes Kinder strümpfchen, ein Mützchen, ein Häkelzeug, aber kein Stückchen Papier. Und wie geschickt und sauber war alles gearbeitet! Das Mädchen nahm den kleinen Strumpf in die Hand, aber ein paar heiße Thränen ließen es nicht klar er kennen. Wie traurig redeten doch diese Dinge! „Ach Fräulein", wagte die Dienerin endlich zu sagen, „ich bin über zeugt, die gnädige Frau hat einTagebuch geführt; ich erinnere mich, daß sie bei mehr als einer Gelegenheit zu mir sagte: ,Christel, vergiß nicht, ich muß es in meinTagebuch schreiben!" — Und solltedasBuch nicht irgendwo im Schreib tisch liegen? Er ist ja so groß, und hat vielleicht ein heimliches Fach." Ein Tagebuch! Ein heimliches Fach im Schreibtisch! — „Laß mich allein, Christel", batdas junge Mädchen, „späterwollen wir gemeinschaftlich suchen, aber jetzt nicht; Vater muß auch gleich zum Essen kommen. Geh, meine gute Christel!" — Sie mußte allein sein, ihr war das Herz zu voll. Der Herr Stadtrat war blaß geworden und hatte den Kopf in die Hand gestützt; nur das Ticken der Uhr an der Wand und das Krachen des Holzes im Ofen unterbrach die Stille. Endlich sagte er halblaut: „Was bedeutet das? Blumenstraße Nummer zwölf, — ja, dort habe ich gewohnt während meines Aufenthaltes in der Residenz, aber wahrlich, ich darf mir nichts vorwerfen! Und nun eine Drohung? Sollte sie nein, das ist nicht möglich. Verschwört sich denn alles, mir das Leben zu verbittern?" Er ging ärgerlich ans Fenster und wieder zurück zum Pult; offenbar war ihm die Sache keineswegs gleichgiltig. „Ob ich's mit dem Justizrat überlege? Er könnte mir raten aber auf der andern Seite " Der Commis unterbrach das Selbstgespräch, indem er den Kopf zur Thüre hineinsteckte und meldete, daß Herr Lieutenant von Flissen den Herrn Stadtrat Carstens zu sprechen wünsche. „Eintreten!" Gleich darauf erschien der junge Offizier, die Mütze in der Hand, in beinahe dienstlicher Haltung vor dem gefürchteten Mann und sagte in der ihm eigenen bescheidenen Weise: „Mein Name ist von Flissen. Ich komme im Auftrage des Herm Ba taillonskommandeurs, der sich die Anfrage erlaubt, ob der Herr Stadtrat ge neigt ist, dem Osfiziercorps einen Teil seiner Weine zu überlassen, und unter welchen Bedingungen?" Der alte Mann war aufgestanden, und, die linke Hand auf den Schreib tisch stützend, betrachtete er sein vis-a-vis einen Augenblick schweigend. Das Resultat derBeobachtung mußte aber kein ganz ungünstiges sein, obwohl die weise mit dem Vater, und nicht mit der Mutter. Ja, Herr Carstens konnte sich der Auffassung nicht erwehren, daß die Persönlichkeit des jungen Herrn etwas Ruhiges, Gesetztes habe. „Nehmen Sie Platz, Herr Lieutenant", sagte er, auf einen Stuhl weisend. „Welcher Art sollen dieWeine sein, die dieHerren zu übernehmen beabsichtigen ?" „Ihre Weine sind ausnahmslos so vortrefflich, Herr Stadtrat", er widerte der angehende Diplomat, „daß uns die Wahl schwer werden würde, wenn nicht unsere Kasse den Weg unzweideutig wiese. Wir beabsichtigen daher nur größere Quantitäten der geringeren Sorten zu kaufen, nament lich Mosel- und Rheinweine. Von den besseren dagegen müssen wir uns auf eine gewisse Anzahl von Flaschen beschränken." „Mein Entschluß, das Geschäft aufzugeben, ist so plötzlich gekommen" — begann der alte Herr wieder, verließ aber das Thema sofort und setzte hinzu, „ich kann augenblicklich nicht die Quantität angeben, die ich Ihnen zur Verfügung stelle, denn zunächst berücksichtige ich meinen Privatkeller im Gertraudenhof und die Wünsche alter Geschäftsfreunde, denen ich Weine zugesagt habe; ich erwarte aber in den nächsten Tagen eine größere Send ung Zeltinger, der ohne Zweifel vortrefflich ausfallen wird, und den ich Ihnen unter besonders günstigen Bedingungen überlassen würde." „Sehr angenehm, Herr Stadtrat; darf ich mir vielleicht einige Preise notieren?" HerrCarstens nahm von seinem Schreibtisch ein gedrucktes Prciscourant, änderte einige Zahlen mit der Feder und übergab das Papier dem jungen Mann. „Dies sind die Preise beim Bezug kleinerer Quantitäten", sagte er, „ich werde Ihnen aber in diesem Falle selbstverständlich Ausnahmepreise gestatten und stelle anheim, eine Zeit zu bestimmen, wann Sie proben wollen." Damit erhob er sich und eine kurze Verbeugung machend, deutete er das Ende der Konferenz an. Auch der Offizier stand auf, schob den Stuhl bei seite und verbeugte sich mit solcher Devotion, daß Herr Stadtrat Carstens es für notwendig hielt, seinerseits noch ein zweitesKompliment hinzuzufügen, um das erstere etwas zu vervollständigen. „Wahrhaftig", sagte er, als jener das Zimmer verlassen hatte, „wenn er nicht Flissen hieße — aber, bah — sic sind alle gleich. Und wenn er der Liebesgott in Person wäre, in meine Familie kommt er nicht, mein Kind soll diesen Namen nicht tragen." männisches Schreiben in die Hand fiel mit dem Poststempel Reicha. Aufschrift verriet unzweideutig eine Frauenhand, und mit gerechtem staunen las Herr Carstens: Geehrter Herr! Denken Sie wohl noch manchmal an die Nummer zwölf in 39 Als Herr Carstens bald darauf nach Hause kam, mitteilsamer als ge wöhnlich, wagte Billa ihn zu fragen, ob er der Mutter Briefe an sich ge nommen habe? „Ja, mein Kind; ich sagte es dir ja gleich, als ich dir die Zimmer versprach." „Und hast du sonst etwas herausgenommen, Vater?" „EinigePaketemitBriefen, die du aber uoch langenichtzu lesen brauchst, und ein Ausgabebuch, Kind", erwiderte der alte Mann, „weiter nichts." „Lieber Vater", bat sie schmeichelnd, „ich möchte von jetzt an die Rech nungen für den Hausstand führen, oder doch führen lernen; hast du etwas dawider?" „Nein, Billa", erwiderte er herzlicher als je und legte den Arm um die schlanke Gestalt; „Tante Rose soll dich unterweisen in den Geheimnissen der Wirtschaft; es ist dir überhaupt dienlich, wenn du dich einer bestimmten Beschäftigung widmest." „Dann gieb mir Mutters Rechnungsbuch, lieber Vater", schmeichelte sie. Und er nickte, „das sollst du haben, aber nun komm' zu Tische." X!I. Der Oktober hatte sich verabschiedet mit Stürmen und Schlackerwetter, ober auch mit allerlei Ereignissen, welche die guten Bewohner der Stadt Reicha noch lange beschäftigen sollten, und der November hatte seinen Ein zug gehalten in derselben unliebenswttrdigen Weise. Ani zwanzigsten Oktober waren die Rekruten eingerückt unter Begleit ung einer zahlreichen Schuljugend, und vier Tage vorher war der Herr General in Reicha erschienen nnd hatte die Garnison-Anstalten besichtigt in Begleitung eines Schweifes von Offizieren, Zahlmeistern und städtischen Beamten, hatte alles gut und zweckmäßig befunden, sodann dem Herrn Bürgermeister und dem Landrat einen Besuch gemacht und mittags im Hirsch, im neu dekorierten Saale der Offizierspeiseanstalt, das Diner eingenommen. Alles zur höchsten Zufriedenheit, welche sich bis auf die Speisen erstreckte, vor dem Weine aber kehrt machte, denn Hotelweiue, — nun, die kennt man in ganz Deutschland. Den Entschluß, einen eigenen Weinkeller für das Offiziereorps zu grüuj den, lobte der hohe Herr darum auch sehr, nachdem er im Lindwurm dia Quelle kennen gelernt hatte, aus welcher man zuffchovfcnZ'eabsichtigfc; jeM und für die freien deutschen Bauern ganz verschiedene Rechtszustände ge schaffen wurden. Es galt ferner, nachzuweisen, wie einige Jahrhunderte später auch diese ursprünglich freie deutsche Bauernschaft zum Teil in eine ganz ähnliche Knechtschaft herabgedrückt wurde, wie die, unter welcher die hörigen Wenden von jeher sich befanden. Alles dieses mußte umsomehr durch zahlreiche Beispiele urkundlich belegt werden, als viele der aus gesprochenen Behauptungen völlig neu sind. Von welcher Bedeutung und von wie tiefgehender Wirkung das von der Königl. sächsischen Regierung am 17. März 1832 erlassene Gesetz über Ablösungen und Gemeinheitsteilungen geworden sei, dürfte schon in einer nächsten Zeitperiode kaum mehr geahnt werden; es erscheint daher von In teresse, dieDarlegungen der jetztimDrucke vorliegenden Preisschrist*) auch durch nachfolgende kurze Wiedergabe zu allgemeinerer Kenntnis zu bringen. Während der Völkerwanderung im 6. Jahrhunderte waren vom pol nischen Schlesien aus slawische Stämme in das von germanischen Be wohnern verlassene Gebiet der nachmaligen Oberlausitz eingezogen, ein mit schwachem Holzpfluge ackerbautreibendes Volk, das unter Häuptlingen (Königen) und einem kriegerischen Adel stand, welchem größere oder kleinere Strecken Land als Eigentum zuerteilt waren. Die nicht selbst zu bewirt schaftenden Flurstücke überwiesen diese Grundbesitzer Hörigen ihres Stammes, welche nun durch Anbauten an die Höfe Dörfer bildeten, welche noch heute als altwendische durch die Art ihrer Anlage sich kennzeichnen und zum Teil durch ihre Namen auf — itz bezeugen, wie diese Gutsunterthanen völlig ab hängig vom Gutsherrn, ganz eigentlich ihm gehörige Leute waren, denn Milkwitz (Milkecy) z. B. bedeutet die Leure des besitzend gewesenen Milk. Als Mittelpunkt der Herrschaft, als allgemeine Zufluchtsstätte bei drohen der Kriegsgefahr, wurde die Stammesfeste Bautzen errichtet, woran sich bald auch die Stadt anbaute, welche bis Anfang des 13. Jahrhundertes die einzige im damaligen Lande Milsca geblieben ist. Diese Hörigen unterschieden sich aber, wie nach Pflichten und Rechten, so nach Rang und Stellung durch streng geschiedene Klassen. Die Supane oder Ältesten, d. h. Richter und Steuereinnehmer im Bezirke, hatten lediglich von ihrem Dienstgute dem Landesherrn den Kriegsdienst zu Roß zu leisten; die Withasen, d. h. Kriegsleute, waren als Stellvertreter der Supane bei Erhebung der Abgaben ebenfalls mit einem Roß direkt dem Landesherru .'wrv:tablcf.„vu>^vi'..>'«.o-ick..v-^ einen -lins ,u entrichten