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718 Nr. 10. STAHL UND EISEN.* October 1888. Einen Beweis dafür, welch hohes Mafs von geistiger Anstrengung dazu erforderlich war, liefert vielleicht der Umstand, dafs Winkler in späteren Jahren trotz vielfacher Anregung nicht mehr die Zeit und Kraft zur Bearbeitung einer neuen Auflage des längst vergriffenen Werkes gefunden hat. Bei solcher Massenhaftigkeit des Inhalts ist eine Aufzählung dessen, was der Verfasser neu geschaffen hat, kaum möglich; wir begnügen uns daher mit dem Hinweis auf einige der wichtigsten Stellen. Als solche sind die Untersuchungen über Bogenträger zu bezeichnen, für die Winkler zuerst eine vollständige und für die Anwendung geeignete Theorie gegeben, insbesondere auch den Einflufs der Wärme untersucht hat Die behufs Vereinfachung des Verfahrens von ihm ein geführten Kernlinien, Kämpferdrucklinien und Kämpfer druckumhüllungslinien haben der Lösung einen so hohen Grad von Anschaulichkeit gegeben, dafs wir heutzutage die schwierigsten Fragen dieser Art spielend beantworten können. Von geringerer praktischer Bedeutung, aber doch von wissenschaftlichem Werthe sind die Untersuchungen über Träger auf mehreren Stützen. Schliefslich dürfte die erstmalige Berechnung des elastisch gestützten Trägers zu erwähnen sein, welche neuerdings — weiter ausgebaut — als Grund lage für eine vollständige Berechnung des Eisenbahn- Oberbaues benutzt worden ist. Einen Stoff von wesentlich anderer Natur be arbeitete Winkler (unter Mitwirkung von Fränkel und Schmitt) in den Vorträgen über Eisenbahnbau, die von 1867 an in erster und seither in dritter Auflage erschienen sind. Hier zeigte sich der Verfasser als fleifsiger Sammler und geschickter Ordner der Er fahrungen und Lehren der Praxis. Insbesondere suchte er überall, wo es sich um die Bestimmung von Mafsen handelt, die Willkür durch feste Begeln zu ersetzen, die theils auf theoretischem Wege, theils durch Nachmessen an bewährten Ausführungen und Bildung von Mittel-, beziehungsweise Grenzwerthen gewonnen wurden — ein Verfahren, welches an das ähnliche Vorgehen Redtenbachers im Maschinenbau erinnert. Immerhin konnte die Eigenart des Verfassers bei diesem Sammelwerke nicht voll zur Geltung kommen; dasselbe ist daher von anderen überholt und, soweit vergriffen, nicht wieder neu aufgelegt. Auf das Jahr 1873 fällt der Beginn eines Unter nehmens von verwandter Art, aber noch weit gröfserer Anlage: die Herausgabe der Vorträge über Brücken bau. Es wurde in Aussicht genommen, dieselben in fünf Theile (nämlich Theorie der Brückenträger, Brücken im allgemeinen und steinerne Brücken, hölzerne Brücken, eiserne Brücken, Herstellung der Brücken) zu gliedern und letztere wieder in einzelne Hefte zu zerlegen, deren Erscheinen lieferungsweise erfolgen sollte. Diesen grofsartigen Plan zu verwirk lichen, ist Winkler nicht vergönnt gewesen; aber selbst die vorliegenden Bruchtheile des Ganzen stellen der Arbeitskraft und Ausdauer des Verfassers dasglänzendste Zeugnifs aus. Es sind dies von der Theorie das erste und zweite Heft (äufsere bezw. innere Kräfte gerader Träger), von den eisernen Brücken das zweite und vierte Heft (Gitterträger und Lager gerader Träger bezw. Querconstructionen) und von den hölzernen Brücken das erste Heft (Balkenbrücken). Diese werth- vollen Bücher fanden um so günstigere Aufnahme, als zur Zeit ihres ersten Erscheinens die Literatur über Brückenbau eine sehr spärliche war und Werke umfassender Art, aus denen man hätte einen Ueber- blick über das Vorhandene gewinnen können, fast ganz fehlten. Wir können hier ebensowenig wie bei den Vorträgen über Eisenbahnbau auf den Inhalt des Werkes näher eingehen, sondern nur einige An deutungen geben. Wie zu erwarten, zeigt sich Winklers hervorragende Begabung und Schaffenskraft wieder vorzugsweise auf dem Gebiete der Theorie, die durch ihn nach vielen Bichtungen hin bereichert und ver vollkomrnnet worden ist. So sind z. B. von ihm zuerst einfache Verfahren zur Bestimmung der gröfsten Momente und Schubkräfte eine Gruppe von Einzellasten angegeben und die Wirkungen einer veränderlichen Belastung auf den durchgehenden Träger genau er mittelt worden. Fast durchweg neu sind ferner seine Untersuchungen über die Spannungen in den Quer constructionen , die Beiträge zur Lehre von den Einflufslinien, die Ermittlungen des Eigengewichtes der Brücken, die Belastungsgleichwerthe u. dergl. m. Dabei hat Winkler jedoch die constructive Seite des Brückenbaues keineswegs vernachlässigt, vielmehr mit grofsem Eifer gepflegt. Seine an die Beschreibung ausgeführter Formen geknüpften Urtheile und eigenen Vorschläge treffen fast immer den Nagel auf den Kopf und zeigen, dafs er sich trotz aller theoretischen Schärfe ein feines Gefühl für Einfachheit und Zweck- mäfsigkeit bewahrt hat. Angesichts derartiger Leistungen — neben denen übrigens bei eingehenderer Aufzählung noch einige kleinere Werke und zahlreiche in Zeitschriften er schienene Abhandlungen zu erwähnen sein würden — ist es leicht erklärlich, dafs Winkler sich bald eines weiten Bufes als hervorragender Fachmann erfreute und oftmals als Sachverständiger und Preisrichter zu Rathe gezogen wurde. Es geschah dies u. a. auch, als im Anfang der siebziger Jahre in Oesterreich die vielbesprochenen Einstürze von Schifkorn - Brücken erfolgten. Winkler wurde beauftragt, die vorhandenen Brücken dieser Art zu untersuchen, und zog sich hierbei im winterlichen Unwetter eine heftige Er kältung zu, die den Verlust eines Auges zur Folge hatte. Bezeichnend für Winklers Willensstärke ist es, dafs dieses traurige Ereignifs seine Arbeitskraft nicht zu mindern vermochte. Erst in den letzten Jahren zwangen ihn die immer heftiger auftretenden Anfälle von einseitigem Kopfschmerz öfters zu kurzen Arbeits pausen. Gegen Ende des Jahres 1886 unterbrach ein Nervenschlag seine Lehrthätigkeit für längere Zeit ganz. Allmählich trat zwar wieder eine gewisse Besserung ein, so dafs der eifrige Lehrer die gewohnte und ersehnte Thätigkeit theilweise wieder aufnehmen und die Mufsestunden mit dem Entwerfen eines in Friedenau zu erbauenden Landhauses ausfüllen konnte. Die hierdurch bei den Freunden und Schülern er weckte Hoffnung auf längere Erhaltung des durch hervorragende Begabung und edle Geradheit ausgezeich neten Mannes sollte jedoch leider nicht in Erfüllung gehen. Ihm selbst ist der schnelle Tod nicht uner wartet gekommen; er hat seine Zeit weise benutzt, gar manche Frucht am Baume der von ihm gepflegten Wissenschaft reifen sehen und viele Samenkörner ausgestreut, die nicht verloren gehen werden. Ehre seinem Andenken I Der erste Eisenbahnzug in China. Der französischen Fachzeitschrift »Le Genie Civil« entnehmen wir folgende Miltheilung: Schon vor mehreren Jahren versuchten englische Ingenieure, China mit einer Eisenbahn zu beglücken, ihr Vorhaben scheiterte aber an der Feindseligkeit der Bewohner des himmlischen Reichs. Dank dem grofsen Einflüsse des Vicekönigs Li - Hung - Tchang und des Generals Tchenk - ki - Tong, zwei Namen, welche Frankreich kennen zu lernen und werthzu- schätzen gelernt hat, haben französische Ingenieure mit ihren diesbezüglichen Bemühungen mehr Erfolg gehabt. Die demnächst zu eröffnende Linie soll Tientsin mit dem 6 km entfernten Landsitze des Vicekönigs verbinden; möglicherweise wird sie im kaiserlichen Park von Peking eingerichtet. Ihre Spurweite ist