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(Nach der Pause.) Vorsitzender: Ich ertheile Hrn. Kaiser!. Marine-Ingenieur Busley das Wort zu seinem Vortrage über : Die Kieler Schiffswerften. Hr. Kaiserl. Maschinenbau-Ingenieur Busley-Kiel: M. H.! Kiel ist höchst wahrscheinlich eine der ältesten Heimstätten des deutschen Schiffbaues. Das Boot in dem holsteinischen Nesselblatt, welches das heutige Wappen der Stadt zeigt, ist auf den ältesten noch vor handenen Siegeln aus dem zwölften Jahrhundert eine mit vollem Segel und einem Mann am Steuer daherfahrende altsächsische Chyula, d. h. ein langes, vorn und hinten spitz verlaufendes und sehr hoch gezogenes Fahrzeug, wie es die aus dem nahen Angeln kommenden Mannen Hengists und Horsas bei ihrer Eroberungsfahrt nach England benutzten. Das alte Kieler Wappen läfst demnach darauf schliefsen, dafs schon in sehr frühen Zeiten, vielleicht schon bei der Gründung der ersten Niederlassung, die man bis in das zweite Jahrhundert unserer Zeitrechnung hinausschiebt, an der Kieler Bucht Schiffahrt und Schiffbau getrieben wurden und möglicherweise den Haupterwerbszweig der ersten Ansiedler bildeten. Nachweislich ist der Holzschiffbau in früheren Jahrhunderten bis etwa zur Mitte des jetzigen ein lohnendes und zeitweise sogar blühendes Gewerbe Kiels gewesen — dessen Privilegien die Stadt in wiederholten Streitigkeiten auf das Hartnäckigste vertheidigte — bis Sie, meine Herren Eisenhüttenleute, durch Ihre besonders in den letzten Jahrzehnten errungenen gewaltigen Erfolge diese altehrwürdige Industrie langsam verschwinden machten. Die heutigen Kieler Eisenschiffswerften sind sonach Kinder der neueren Zeit. Die erste dieser Werften gründete Georg Howaldt 1865 in Ellerbeck und erbaute auf derselben bis 1867 7 eiserne Dampfschiffe. In dem genannten Jahre mufste die Werft nach Gaarden verlegt werden, weil der Fiscus das ganze umliegende Terrain für die Errichtung der heutigen Kaiserlichen Werft angekauft hatte. Im Jahre 1868 begannen die Arbeiten zur Erbauung derselben, 1869 bis 70 wurden die ersten provisorischen Schiffbau-Werkstätten in Betrieb gesetzt und 1878 die Bassins und Docks eröffnet. Der vollständige Ausbau der Werft ist heute zwar noch nicht vollendet, indessen sind die noch fehlenden Bauten von untergeordneter Bedeutung. Die nach Gaarden verlegte frühere Howaldtsche Werft wurde in eine Actiengesellschaft umgewandelt, welche unter der Firma »Norddeutsche Werft« nur Eisenschiffbau trieb, bis sie später von einem Berliner Consortium angekauft und mit der früheren Egellschen, in Tegel neu errichteten Maschinen fabrik zu der jetzigen Schiff- und Maschinenbau-Actiengesellschaft »Germania« vereinigt wurde. Im Jahre 1876 errichtete Georg Howaldt, der bis dahin Director der Norddeutschen Werft gewesen war, seine jetzige Werft in Dietrichsdorf und verband dieselbe 1882 zusammen mit seinen Brüdern durch Uebernahme und Uebersiedlung der früheren Scheffel & Howaldtschen Eisengiefserei und Maschinenfabrik zu dem jetzt bestehenden Etablissement. M. H.! Ehe ich zur Besprechung der einzelnen Werften übergehe, mufs ich noch den Unterschied zwischen einer Privat- und einer Kriegswerft betonen, der so grofs ist, dafs er directe Vergleiche zwischen beiden vollständig ausschliefst. Die Privat werften sind in erster Reihe mit dem Neubau von Schiffen beschäftigt, nur in seltenen Fällen kommt eins der vor Jahren fertiggestellten Schiffe behufs Kesselerneuerung oder sonstiger Reparatur zur Mutterwerft zurück, welche die weitaus meisten Schiffe nach vollendeter Abnahmeprobefahrt nie wieder sieht. Anders liegt die Sache bei den Kriegs werften, deren Hauptzweck die Erhaltung, Ergänzung und mit den Errungenschaften der Technik Schritt haltende, stetige Vervollkommnung des schwimmenden Flottenmaterials —■ des vaterländischen Rüstzeuges zur See — ist. Die Erbauung neuer Schiffe, gewöhnlich als Ergänzung für seeuntüchtig gewordene ältere, steht bei ihnen erst in zweiter Reihe und bietet allen Marine-Verwaltungen in Zeiten ruhiger und friedlicher staatlicher Ent wicklung nur ein Mittel zur Erhaltung eines wohlgeschulten, tüchtigen und für den Kriegsfall unentbehrlichen Arbeiterstammes. Diesen verschiedenen Zwecken mufs nun auch die ganze Einrichtung der Werften Rechnung tragen. Während auf Privatwerften nur Werkstätten und Hellinge zu sehen sind, ist das Terrain der Kaiserlichen Werft mit vielen Magazinen und Lagerhäusern bedeckt, deren bebaute Grundfläche gröfser als die der eigentlichen Werkstätten ist. Solche Magazine sind ein unabweisbares Erfordernifs für die Unterbringung und sachgemäfse Aufbewahrung der vielartigen und vielgestaltigen Ausrüstungsgegenstände, welche eine kriegstüchtige