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64 zu verstehen gegeben worden, daß cs ihre Pflicht ist, ihn zu hcirathen, eine Pflicht, deren Erfüllung man mit Bestimmtheit von ihr erwartet, und so befindet sie sich in beständiger, fieberhafter Aufregung durch die Aufmerksamkeiten, die ihr Männer erzeigen, den sie nur zuhorchcn, aber, wie sie wohl weiß, nicht antwor ten darf." „Ja," sagte Vane, „Du hast gerade meine Ge danken, verehrter Schatz. Ich habe Herrn Skryme- gour cingeladen, heut mit uns zur Nacht zu speisen." „O!" sagte Madame Vane, „das wäre! — und was denn weiter, wenn ich fragen darf? Du Haft ihn gestern Abend und vorgestern Abend cingeladen, und er war gestern Morgen und heut Morgen da und wird morgen früh auch wieder da sein — was kommt denn dabei heraus. Er sagt ja nichts, was uns wei ter brächte." „Da gebe ich Dir vollkommen Recht, Schatz," sagte Vane. „Er sagt nichts, was uns weiter, aber auch nichts, was uns zurück brächte, denn er spricht am liebsten in einzelnen Sylbcn. Nun ist cs wohl wahr, daß man auf die letzte und Hauptfrage in Heirathsan- gelegcnhcitcn mit einer Sylbe antwortet, aber wenn ich nur wüßte, auf welche Weise wir so weit kämen." „So weit kämen!" cntgegnete Madame Vane mit verächtlicher Miene; „das Soweitkommen, Herr Vane, ist hier gar nicht in Betracht zu ziehen. Die Bedin gung des Testamentes ist vorhanden, und wenn Du willst, daß Fanny das Vermögen haben soll, so muß sie der Mann bekommen." „Nun gut," sagte Vane, „heut Abend soll sich's entscheiden, er soll mir nicht von der Stelle, bis wir zu einem Beschluß gekommen sind. — Aber wie steht's mit Fanny? Mit der hast Du doch die Sache schon besprochen?" „Ja," antwortete Madame, „besprochen, so viel als wir dabei bctheiligt sind, — aber" „Aber? was aber?" sagte Vane, „sie braucht einen Mann, das ist ausgemacht, und da ist einer." „Im Gegcntheil," entgegncte Vane, „sie hat mir eine sehr starke Abneigung gegen das Hcirathen über haupt zu erkennen gegeben." „Ach, Schatz! alle Mädchen sagen das, bis Einer um sic anhält," bemerkte Vane lächelnd. „Es scheint ihr Ernst zu sein," sagte die Mutter. „Na," hob Vane wieder an, „cs kann sein, es kann auch nicht sein — was soll ich's wissen — alles, was ich sagen kann, ist, daß mir's vorkommt, als ob ihr der Kapitain Elifton bedeutend in die Augen stäche." „Mir hat sie gesagt," sagte Madame Vane, „daß er ihr zu schön ist und zu sehr von sich eingenommen, und daß sie im Grunde sich nichts aus ihm macht." „Dann ist der junge Herr Amesbury da," ent gegnen Vane, „der immer um sie herumflattert und liebäugelt, und den Angenehmen spielt — er ist reich, wie man sagt — natürlich nicht wie Herr Skryme- gour." „Sic kann Herrn Amesbury nicht ausstehcn," sagte Madame Vane, „das weiß ich ganz genau; er ist zu witzig." „Und dann der andere Herr mit der langen. Nase und den großen Augenbraunen" — „Ach, Sunderland — nein! nein!" sagte Ma dame Vane, „den durchschaut sie — das ist ein Fa selhans, der sich in Jede verliebt, die er sieht." „Ist denn das ein so großer Fehler, Schatz?" fragte Vane. „Versteht sich, Herr Vane!" antwortete die Frau Gemahlin, „ich weiß, was cs zu bedeuten hat, einen allzu empfänglichen Mann genommen zu haben. Ich habe ihr dringend empfohlen, gegen Herrn Sunder land auf der Hut zu sein — das gebrannte Kind fürchtet das Feuer." „Nun," sagte Vane, „das ist doch köstlich! Wer mich ansieht, wird wahrhaftig keinen Frauenquäler in mir erblicken." „Das mag sein wie's will, Herr Vane," sagte Madame, „so viel ich weiß, hat man allgemein be merkt, daß Du viel freundlicher und angenehmer bist, oder wenigstens sein willst, wenn Du mit anderen Frauen sprichst, als wenn ich die Ehre Deiner Unter haltung habe — das ist wahr — buchstäblich wahr, Herr Vane — das laß ich mir nicht ausstrcitcn, und doch, als ich so jung war wie Fanny, schworst Du, mich ewig lieben zu wollen." „Ich liebe Dich ja, mein Engel, entgegncte Herr Vane, „und werde Dich immer lieben, aber Du weißt, die Jugend übertreibt manchmal." „Ich streite mich nicht um Worte, mein Lieber," sagte Madame Vane, „und ich mache Dir weiter keine Vorwürfe; ich sage blos, cs ist sehr natürlich, daß ein Mädchen, welches Talent und Beobachtungsgabe be sitzt, auf Alles merkt, was vorgeht? „O," sagte Vane, „Du-glaubst also, Fanny halte mich für ein schlechtes Muster eines beständigen Gatten ?"