Volltext Seite (XML)
tend tiefer. Nachrollcndes Gestein verkündete, daß er in einen der Steinbrüche gefallen war. „Barmherziger Gott," schrie Gotthold von Ent setzen ergriffen; aber gleich darauf tönte Heinrichs Stimme aus der Tiefe: „Um Himmels Willen Herr Pfarrer, wendet Euch links, es ist der Schicferbruch, in den ich gefallen; ich bin unversehrt, und finde mich bald heraus; nach einem kleinen Umwege werde ich wieder bei Euch sein." Der Pfarrer dankte Gott, daß hier sein Führer keinen weitern Schaden genommen und wandte sich dem Rufe zufolge nach der Linken. Aber je weiter er vorwärts watete, desto mehr nahmen die geschwächten Kräfte ab. Er mußte wiederholt stehen bleiben um auszuruhcn. Noch immer tobte das Wetter mit furcht barer Heftigkeit; kein Sternlein dort oben war zu er blicken und die Kalte ward immer heftiger. Mehrmals rief er den Namen Heinrich durch die Nacht. Im Anfang antwortete der Gerufene aus weiter Ferne, als aber die Stimme Gottholds immer schwacher ward und der Sturm tobender wurde, erfolgte keine Ant wort mehr. „Gott, mein Gott," betete inbrünstig der fromme Seelsorger, „Du wirst mich nicht verlassen und mich "'^'chren zu dem Armen, der nach Deinem heiligen e verlangt. O mein Water, und sollte es mein Wunsch, mein letztes Gebet hinicden sein, er- —,.:e Dich seiner in der letzten Stunde, auf daß er mit Freudigkeit in deinen Himmel hinüber gehen kann. Aber je inniger der Fromme betete, eine desto größere Mattigkeit bemächtigte sich seiner. Immer häu figer mußte er stehen bleiben, um Kräfte zu sammeln; .' starker wurde die Kälte; bald konnte er nicht fort. Noch einmal versuchte er mit zitternder me den Namen Heinrich zu rufen, aber der Sturm verwehte die schwachen Laute. Rings todtkaltc Finster niß. Gotthold suchte mit Gewalt sich aufrecht zu er halten; von Neuem flehte er zum Allbarmherzigcn mit aller Kraft seines Herzens, daß et ihn geleite zum Lager des Sterbenden, daß er verrichten dürfe sein heiliges Amt und Trost bringen dem Armen in der letzten schweren Stunde; aber der Himmel schien ver schlossen und der Allerbarmer taub für das Gebet seines Frommen. „Und ich lasse doch nicht von Dir, mein Gott und Vater," betete der getreue Diener des Herrn, „Dein bin ich todt und lebendig, in Deine Hände befehle ich mein Leben." Mit diesen Worten sank er erschöpft zu Boden und der hohe Schnee ward sein weißes weiches Bett. Die Augenlicder sielen ihm vor übergroßer Mattigkeit unwillkührlich zu und seiy müdes Haupt sank auf die nur für seinen Gott schlagende Brust. „Ach, ich hätte ihm so gern Trost gespendet!" Dicß war der letzte, heiße Wunsch Gotthold's. Mit ihm sank ein wvhlthatigcr Schlummer auf den Getreuen herab, der von Minute zu Minute ihn immer tiefer umhüllte. Aber je langer er schlummerte, desto wohlcr, desto sanfter ward ihm. Ein seliger, himmlischer Traum trat vor sein inneres Gesicht. Ihm träumt, wie die dunkle Erde mit ihren Stürmen und Schneegesilden immer tiefer und tiefer unter ihm hinabsinkt, während er sanft, von rosenrothen Wolken getragen, einem blü henden, heiligen Lande, einem Frühling zuschwebt, wie er solchen auf Erden nicht gekannt. Und ihm wird so himmelselig, und er beginnt laut, laut zu wei nen — denn aus einem Walde blühender, himmlischer Rosen eilt Elisabeth daher und Marianne und Rcinhold; Thränen des seligsten Entzückens in den Augen fliehen sic auf ihn zu und umarmen, Herzen und küssen ihn. „Du guter, guter Vater," rufen sie, „so haben wir Dich wieder, wie lange haben wir gewartet; nun sind wir beisammen, für immer beisammen und kein Tod soll uns mehr trennen." Doch Gotthold, der treue Diener des Herrn, trotz des seligen Wiedersindens, hat nicht vergessen seine Pflichten als treuer Seelsorger. „Elisabeth," ruft er, „Kinder, meine guten Kin der, ein armer kranker Mann sehnt sich nach göttli chem Trostspruch, den ich ihm bringen soll, o führt mich zu ihm, meine Lieben, bevor cs zu spät ist." Und die Lieben lächelten und führten ihn durch Blumen und Morgenroth nach dem bescheidenen Hause eines Landmanns, das Gotthold wohl bekannt war. Und er trat vor das Lager von Hcinrich's Water und brachte ihm himmlischen, seligen Trost. Und er sprach so be geistert, so beredt, so gottselig, wie er nie gesprochen am Lager eines Kranken, daß der Kranke erquickt und verklärt sich empor richtete und freudig und glaubens voll ausrief: „Nimm mich hin, mein Water im Himmel, in Deine Hände befehle ich mein Leben!" Und wieder sprachen die Lieben zu Gotthold: „Nun komm, Du Guter, Getreuer, wir bringen Dich jetzt zu Ihm, der uns oft von Dir erzählt und der sich freuen wird, Dich hier zu sehen."