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Glauben; sie kannte keinen Argwohn gegen Giovanni wußte nichts von seiner Unbeständigkeit, seiner Treu losigkeit und seinen übrigen Liebesabenteuern. Keine jener empörenden Thatsachen war bis zu ihr gedrun gen, so fern war sie jeder Berührung mit der Welt geblieben. Dennoch fühlte sie zuweilen Gewissensbisse und eine seltsame innere Angst; dann weinte sie und betete bei dem Gedanken an ihren Gemahl; doch Gio vanni's Gegenwart trocknete diese Thränen und be ruhigte ihren Kummer. Vanina vergaß dann die Welt, und hätte für einige Stunden dieses Glücks alle Freu den hieniden und alle Wonnen der Ewigkeit geopfert.' Einst wandelten beide Liebende in der Nacht in den schattigen Gängen, während die Duenna am Fuße des Treppengeländers schlummerte und von bösen Träu men geängstigt wurde. Der Himmel war trübe, ein schwüler Gcwittcrwind bog die Zweige und drehte schwirrend die Wetterfahne des Palastes. Bisweilen drang ein dumpfer Glockenton aus dem naheliegenden Kloster und unterbrach die Betheuerungen und Schwüre der Liebe. Vanina, auf den Arm des Geliebten ge stützt, lauschte dem über ihren Häuptern hinziehenden Sturme, während hohe Bäume rings um sie ihre un beweglichen Stämme düster emporrichteten. Plötzlich stand die junge Frau still; es schien ihr, als sei ein Schatten vorübergeschwcbt. „Komm," sprach sic, den stützenden Arm Giovan ni's fester umfassend, „komm, laß uns hineingehen, die Nacht ist unheimlich; cs wird kalt. Himmel! wel ches Wetter! Gott schütze die armen Reisenden!" Ein dumpfer Ruf schien dieser Rede zu antworten. „Giovanni!" rief die junge Frau, „was ist, was sagst Du mir?" „Nichts," antwortete er, sie umschlingend, „doch laß uns hincingehcn." Sie eilten nach dem Hause. In diesem Augenblick zuckte ein blendender Blitz nieder, dem ein furchbarer Donner folgte. Die Duenna sprang erschreckt auf und stürzte gegen das Haus; Giovanni und Vanina folg ten ihr. „Heilige Jungfraü!" rief die junge Frau, sich an dächtig vor einem Madonnenbilde bekreuzend, „heilige Jungfrau, beschütze uns!" Dann setzte sie sich und Giovanni ließ sich auf ein Kissen zu ihren Knieen nieder. Die Duenna ergriff ihren Rosenkranz und ging hinab, um die Thüren zu schließen. Vanina vernahm nicht mehr das an die Fenster scheiben tobende Gewitter; mit einer Hand hielt sie Giovanni's beide Hände, mit der andern strich sie ihrem Geliebten die braunen Locken aus der Stirne. Die am Deckengewölbe aufgehängte Lampe warf ein sanftes Licht auf sie, das Schweigen in dem großen, von Wohlgcrüchen durchduftetcn Gemache ward nur durch süße Gespräche der Liebe unterbrochen, wobei der Blick oft mehr sagte, als die Worte. Einmal beugte sich Vanina vor, und ihre Lippen berührten die Stirn ihres Geliebten, da blieben ihre Augen an den vor der Thür niedergelassenen Vorhängen haften, und plötzlich bedeckte tödtliche Blässe ihr Gesicht. Ohne eine Bewe gung, ohne nur den Blick abzuwenden, ließ sie sanft Giovanni's Hände aus der ihrigen gleiten und flüsterte zu ihm mit leiser Stimme: „Giovanni, zieh Deinen Dolch!" „So sind wir nicht allein hier?" rief er, mit der Hand in den Gürtel greifend. „Nein. Aber Du wirst Dich vertheidigen." Bei diesen Worten stand sie auf. Im selben Au genblicke schlossen sich beide Vorhänge wieder. „Herr von Donis ist hier," sagte Vanina mit dü sterer Entschlossenheit, „er hat uns gesehen. Wenn er Dich angreift, vcrtheidige Dein Leben; will er mich tödtcn, so laß ihn, er hat ein Recht dazu." „Herr von Donis!" rief Giovanni mehr mit Zorn und Erstaunen, als erschreckt. „Ja, er ist da. Ich habe ihn so eben gesehen, ich sah seine Augen in dem Schatten glänzen. — — O, Giovanni, mit welchem Blicke sah er auf uns. — Mein Gott! Mitleid!" Sie horchten; doch kein Geräusch ließ sich verneh men außer dem in der Ferne vcrgrollenden Gewitter. „Beruhige Dich, laß diese Furcht," sprach Gio vanni mit hoher Anmaßung; „Du bist in Sicherheit, so lange ich bei Dir bin." Eine Pause trat ein, während welcher eilige Schritte sich näherten, und die Duenna endlich verstört in's Zimmer trat. „Der Herr ist zurückgekehrt, der Herr ist hier," rief sie. „Ganz heimlich ist er hereingckommen; sein Schlüssel öffnet alle Pforten. Ich habe ihn gesehen und er hat sich wieder entfernt, ohne mich gewahr zu werden. — Görard, sein Stallmeister, begleitete ihn, eine Fackel in der Hand." (Die Fortsetzung folgt.) Druck von E. P. Mell;er in Leipzig.