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20 und leidenschaftlicher Stimme; „sieh, ich bin demüthig, unterwürfig — ich würde mein Leben, ja mein Seelen heil hingebcn, um van Dir geliebt zu werden." Als er diese Worte sagte, zeigte sich Vanina's bleiches Gesicht an den Fensterstäben über der Bank; sic sprach: „Welcher Verralh, Don Giovanni!" Er hob den Kopf, das junge Mädchen benutzte diesen Augenblick und entschlüpfte ihm mit der Schnelle eines davonflicgcnden Vogels. Vanina blieb mit der Stirn gegen die Stäbe gestützt, Don Giovanni gegen über; sie sagten sich nichts, aber es gab zwischen diesen zwei Wesen, die sich so gewaltsam schieden, eine schnel lere Rede als das Wort; Vanina schaute mit einem Blicke bis in den Grund von Giovanni's Herzens. Endlich erhob sie mit der Scclengröße eines in ihrer Ehre, Liebe und ihrcm Stolze bis zum Tode getrof fenen Weibes die Hand, machte eine Bewegung des Tadels, Mitleids, Lebewohls, und verschwand. Giovanni zuckte die Achseln, sann einen Augenblick nach und ließ dann sein Pferd satteln. Einige Minuten spater befand er sich ans dem Rückwege nach Avignon. Kaum war er aus dem Gesichtskreise des ärmlichen Häuschens, als der Marquis von Donis mit seinem Stallmeister und der Ducnna erschien. Der alte Edel mann hatte den Degen wieder an seiner Seite, den er in den großen Kriegen Italiens trug; sein langer, grauer Schnurbart, die hohe, kerzengerade Gestalt gaben ibm etwas Kühnes und Ehrwürdiges zugleich. Sein kräftiges Alter konnte sich noch mit Vorthcil gegen die verweichlichte Jugend Giovanni de Carrcto's messen. Seit Mitternacht verfolgte er den Räuber seiner Frau, und ein glücklicher Zufall hatte ihn auf den richtigen Weg geführt. „Liebe Frau," fragte die Duenna die Wirthin, „könnt Ihr mir nicht sagen, ob ein grün gekleideter, junger Herr mit einer Dame vor sich auf dem Pferde hier vorüber gekommen ist?" ,1)M' Bei dieser Frage verließ die Wirthin die Thür- scbwcllc und antwortete gcheimnißvoll: „Der junge Mann hat sich diese Nacht hier aufgchaltcn und ist so eben wieder abgereist, nachdem er seine Zeche bezahlt hat, ein Zeichen, daß er nicht wiedcrkommt. Die Dame befindet sick da oben." „Gereckter Himmel," cntgcgncte die erstaunte Ducnna; „er hat sie schon verlassen! Das lohnte nicht der Mühe der Einführung." Der Marquis von Donis stieg ab, befahl seinem Stallmeister und der Duenna ihn zu erwarten, und ging allein in das Zimmer, worin seine Gattin sich befand. Vanina lag auf ihren Knieen, die Stirn über den Schemel geneigt, mit herabhängendcn Armen und zerstreuten Haaren; sie bot einen schrcckenerrcgenden Anblick; man konnte sie einer Verurthciltcn vergleichen, welche den Streich des Henkers erwartet. Als sie Don Giovanni's Flucht gesehen, war die Unglückliche so nicdergcsunkcn; sie weinte nicht; ihre Lippen bewegten sich, ohne daß man einen Ton vernahm, aber im Grunde des Herzens betete sie zu Gott, ihrer einzigen Hoffnung, ihrer letzten Zuflucht in der vernichtenden Trauer. Der Marquis betrachtete sie eine Minute mit festem Blicke, dann rief er: „Vanina!" Bei dieser Stimme entglitt ein dumpfer Schrei ihrcm Munde, sie versuchte sich cmporzurichten, sank aber in die Knicc zurück und blieb stumm und Ver nichter zu den Füßen ihres Gemahls. Der Marquis von Donis liebte seine Frau und war eines großmüthigen Opfers nicht unfähig. Der Zustand, in welchem er sie fand, erfüllte ihn mit schmerzlichem Mitleid, und aller Zorn erlosch in seinem Herzen. „Vanina," sagte er sanft, „stehe auf." Sie gehorchte; es trat eine Pause ein. Der Mar quis sann nach, was zu thun sei. Die junge Frau erwartete ihr Urtheil mit der düstcrn Ruhe einer in Verzweiflung versenkten Seele. „Madame," begann der Marquis mich beleidigt, ich habe das Recht r ^ verschaffen, aber ich bin vielleicht schon hinlänglich ge rächt. Ihr Geliebter hat Sie verlassen, er ist ein Niederträchtiger. Ich hätte ihn in dieser Nacht tüdtcn sollen, und hätte ihn getödtet, wenn ich nicht die Ihnen dann öffentlich drohende Schmach gefürchtet, wenn ich nicht zu groß gedacht, um meinen Feind wehrlos in meinem Hause zu ermorden. Ich ließ ihn fliehen. Heute suchte ich ihn auf, um mich mit ihm zu schlagen, bis der Tod des Einen oder des Andern erfolgte. Ich habe nur Sie gesunden." — „Herr, mein Schicksal liegt in Ihrer Hand," un terbrach sie ihn mit ersterbender Stimme; sprechen Sie cs aus, und ich werde jede Züchtigung ohne Murren hinnchmcn." — Der Marquis ward durch diese Unterwerfung gänz lich gewonnen.. <Tie Fortsetzung folgt.) Druck von E. P. Melzer IN Leipzig.