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482 die ersten Tage des Märzes dazu bestimmt. Olearius mußte dem Monarchen dies schreiben. Die Gesandten machten nun in den nächsten Ta gen ihre Abschiedsbesuche bei den ersten Familien der Stadt, dankten im Namen ihres Souverains für die vielen Zuvorkommenheiten und ließen kostbare Ge schmeide vertheilcn. Jmhof und Flcmming wurden zu dieser Vcrtheilung ausersehen, und des Letztem Mücksstern wollte es, daß er auch dem Aeltermann Niehus eine gar künstlich gearbeitete goldene Dose, sei ner Tochter eine schwere, goldene Ringelkette überrei chen sollte. Mit pochendem Herzen hing der junge, zartgebildete Mann der Angebeteten seines Herzens dies Geschmeide um, sich glücklich preisend, ihr so nahe gewesen zu sein. Das Wörterbuch der Liebe deutet jedes noch so allgemein gesprochene Wort auf eine eigene, phantastisch- tertdirende Weise. Die leiseste Richtung des Auges, die mindeste Senkung, Erhebung oder Windung eines Mienenzuges hat darin seinen entschcidensten, bestimm testen Namen. Die Pole der Geister- und Körper- weit in ihren feinsten und lauschendsten Endpunkten, kaum sich homöopathisch winzig berührend, sind dort in mathemathische Grade, Linien und Striche abge- thcilt und benennt. — Mit einer Grazie, die der An flug der beiderseitiger Verlegenheit so natürlich erhöhte, war das Geschenk gegeben und empfangen, waren Dankesworte und Ablehnung derselben gestammelt wor- r--»' Klemmina schied. Leister, in sicheren Umris sen als vorher, trug sein lebendiges Gemüth ihr Bild mit hinweg, und sic, jene reizende Sopbia — halte gern noch länger sich mit dem stattlichen Hofjunker unterhalten, denn keines Kaufherrn Sohn hielt mit ihm die Probe aus. Reflexionen dieser Art sind bei einem jungen Mädchen gleichsam die entferntesten Wcl- lenkreise die ein Außcnobject in der Fluth ihres Jdecn- lcbens bewirkt. Am I. Marz gab der Senat der freien Stadt Reval auf dem Stadlhause der Gesandlschasi noch ein AbschiedssestT' Pracht und Fülle, Geräumigkeit des Locals und hohe Eleganz der Gesellschaft war überall zu schauen. Flemming's leuchtenden Augen entging die Angebete keinen Augenblick. Mit seinem Freunde Olearius sprach er fast stets von ihr. Mehre Male hatte er mit ihr getanzt. Jetzt schwebte sie am Arme Grüncwald's durch die glänzende Reihe. In seinem Herzen regte sich eine Bitterkeit. Die Musik ver stummte; Jeder führt seine Dame verbeugend zu ihrem Platze zurück. Olearius kommt und spricht mit ihm, seine Blicke werden abgewendct, eine Viertelstunde war vergangen, er gedenkt ihrer wieder, doch nirgends ge wahrt sie sein Auge. Ein geheimes Etwas treibt ihn, ihre holde Gestalt zu suchen. Er durchstreift den Saal und findet sie nicht. Er geht in ein Seitenzimmer, auch da ist sie nicht. Eine weiter führende Thürc ist nur angelehnt. Er öffnet sie; vor ihm ist ein langer, nur vom Mondschein, welcher durch ein am Ende be findliches Fenster hereinfällt, spärlich erleuchteter Gang. Und welche Uebcrraschung! am Ende dieses Ganges sieht er eine schlanke Fraucngestalt, ängstlich seufzend, mit einem oder zwei Männern ringen. Bleischwere Ahnung durchzieht hemmend seine Brust. Mit schnel len Sätzen eilt er dahin. Doch des Unvorsichtigen Ge räusch läßt jenen Beiden seine Annäherung merken und sie entschlüpfen gerade, als er angekommcn und die Dame erschöpft niedersinken will. Er fangt sie in sei nen Armen; o, es ist Sophia, seiner Liebe Ideal! Sein Herz bebt, seine Grundangeln erdröhnen, bei dem Be wußtsein, sein Alles jetzt so innig umschlossen zu haben, ihm so ungctdeill nahe zu sein. Ein im Nektarrausch entstandenes Traumesgcbild glaubt er, ziehe blos vor seiner Seele vorüber, die süße Gigantengröße des nur leise gedachten Wunsches, konnte sie anders wllkkll? Kaum fühlte er den lhcucrstcn Herzensschlag, wie sanf ter Mittagswest säuselte ihr Odem. Er weiß nicht, was er beginnen soll.; soll er sie sanft sorttragcn, oder nach Hülfe rufen, oder noch bleiben. Zu süß sind diese Sccunden, sein Entschluß zögert. Da öffnet sich geräuschvoll jene Thüre, mehre Personen mit Kerzen licht eilen schnell herbei. Niehus und der Gesandte Brüg gemann voran. Grüncwald hinter ihnen. — „Gebraucht Ihr so unsere Gastfreundschaft und das Zuvorkommcn? Wahrlich, nicht den Heuchler hatte ich in Euch ge sucht!" rief der erzürnte Vater, und im Uebermaaß, sich gänzlich in seinen Absichten verkannt zu sehen, vermochte Flcmming nicht erst darauf zu antworten. «Die Fortsetzung folgt.) Druck von C. P. Melzer in Leipzig.