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Rosine die verkritzelte Fensterscheibe. Man hatte sie aus dem Rahmen genommen. Der Kamenzer Stadtbibliothekar Klix hat sie lange als Heiligtum verwahrt. Auf dem Wege ins Museum nach Berlin ist sie in tausend Splitter zerbrochen. Amtmann Lessing hat sich um das Wohl des Städtchens Hoyerswerda redlich bemüht. Als man ihn, den erst 71 Jäh rigen, in den Septembertagen 1748 zu Grabe trug, gab ihm die Stadt das letzte Geleite. Ihm folgte im Amte sein ältester Sohn Theophilus. Auch er hatte die Kamenzer Stadtschule besucht, mit ihm sein Vetter Gotthold Ephraim, der ein Jahr jünger war. Wieder war es ein dreizehnjähriger Theophil Lessing, der mit den übrigen Schülern Vorbereitungen traf, den Rektor der Schule zu ehren. Nur ging es diesmal nicht so fried lich her wie damals. Es gab Händel. Und die Prügel, die der stille Knabe von dem um vieles älteren Präfekten Echart erhielt, beschäftigten nachher noch die Gerichte, wobei von Echart gesagt wurde, daß er „dem Saufen und Luder ergeben" sei, daß er ohne Examen nach Kamenz gekommen, der Schule nur Schande mache und ein „liederlicher Bursch" sei. Vielleicht waren die Zwistigkeiten daran schuld, daß Theophil Lessing vorzeitig die Schule verließ. Er war erst 20 Jahre alt, als er Justizamtmann und Richter in Hoyerswerda wurde. Doch wohnte er nicht im Burglehnhaus, sondern im Amtshaus. Wie der Vater, war auch er Schütze mit Leib und Seele. SO Jahre hat er treu zur Gilde gestanden. Und als er 1790 das goldene Schützen jubiläum feiern konnte, nahm an dem Fest die ganze Stadt teil. Wer hätte geahnt, daß ihn wenige Wochen später der Tod aus den Reihen der Kameraden abberufen würde! Noch im selben Jahre starb er, „der — wie es im Hoyers werdaer Schützenbuche heißt — noch im Tode verehrungs würdigste Herr Amtmann Lessing". 50 Jahre war er auch im Amte gewesen, ein Mann „von unbestechlicher Redlich keit und uneigennütziger, mit der biedersten Menschenliebe vereinbarter Amtstreue". Oder wie das Kirchenbuch kündet: „Ein wahrer Menschenfreund, der mit Gerechtigkeit und großer Leutseligkeit sein langgeführtes Amt verwaltet und mit Recht eine allgemeine Hochachtung und Liebe von Ein heimischen und Fremden genossen hat." Auf seinem Leichen stein sind noch heute die Worte zu lesen: „Er war ein tätiger, treuer Mann im Amte, ein Menschenfreund, ein wahrer Weiser und ein Christ — dies ist der ungeheuchelte Nachruhm seiner Zeitgenossen — ein treuer Gatte, ein lieb reicher, sorgfältiger Vater und redlicher Freund". Sie stehen heute noch alle drei: Schloß, Burglehnhaus und Amtshaus. Jenes schaut mit düsterem Gemäuer in rechter Amtsmiene auf das laute Leben nieder, das all jährlich, wenn die Schützen Feste feiern, auf dem Anger zu seinen Füßen spielt, und seine Augen mustern das Volk, ob nicht ein Herr Justizamtmann Lessing darunter ist. Das Burglehnhaus hat die Puderperücke der damaligen Zeit ab gelegt und ein neu Gewand angezogen. Ein biederer Alter wohnt darin und verwahrt vergilbte Pergamente mit des Amtsmanns Namenszug und des Kurfürsten Jnsiegel. Und das Amtshaus, das Lessinghaus, wie es in der Stadt heißt? Es wurde im Laufe der Jahrhunderte eine Schloßbrauerei daraus. Der es bewohnt, ist ein glühender Verehrer der Lessings. L. S. Auch ein Lessing Unsere Lausitzer Heimatstadt Kamenz rüstet sich zur Feier des 200. Geburtstages Gotthold Ephraim Lessings. Vor wenigen Monaten feierte man den 100. Geburtstag Carl Robert Lessings, eines Mannes, der den Namen eines der größten Söhne unserer Lausitz trägt. Auch in Kamenz hat man den Tag nicht vorübergehen lassen, ohne seiner zu gedenken, waren doch seine Beziehungen zu Gotthold Ephraim Lessing derart eng, daß man dieses nicht gedenken kann, ohne gleichzeitig sich jenes zu erinnern. Schon verwandtschaftlich. Der Großvater Carl Robert Lessings war ein Bruder Gotthold Ephraim Lessings: Karl Lessing. „Lebe selbzweiter recht wohl! Und Gott gebe, daß ich auch bald hinzusetzen kann: selbdritter. Vor allen Din gen laß mich Deinen Erstgeborenen mit meinem besten Segen hinieöen bewillkommnen. Er werde besser und glück licher als alle seines Namens." So schrieb Gotthold Ephraim Lessing seinem Bruder Karl. Der „Selbzweite" war Carl Friedrich Lessing, der nachmalige Kanzler zu Polnisch-War tenberg und Vater unseres Carl Robert Lessing. Er war mit Kindern reich gesegnet. Carl Robert Lessing war das 16. Kind. Er wurde am 11. September 1827 in Wartenberg geboren. Nicht weniger als 17 Paten erschienen zu seiner Taufe, ein Beweis dafür, daß der Vater trotz der vielen Kinder in immerhin nicht ärmlichen Verhältnissen lebte. Mit fünf Jahren kam der Junge das erste Mal nach Ber lin, das nachher seine zweite Heimat geworden ist. Die Eltern fuhren im Schlitten dorthin und nahmen den Klei nen mit. Seine Schulzeit verlebte er in Ols und Neisse, wo er die Gymnasien besuchte. In Neisse prägte sich ihm ein Erlebnis tief ins Gedächtnis ein: die Hinrichtung eines Muttermörders durch das Rad. Nach damaliger Gepflogen heit waren die Hinrichtungen öffentlich, und auch Carl Robert Lessing hatte sich aus der Schule hingeschlichen. Im November 1841 bezog er die Fürstenschule zu Schulpforta, Sie ihm die eigentlichen festen Grundlagen seiner Bildung mitgab. Jahre angestrengtester Arbeit, aber auch schöner Jugendfreude. Einer der tüchtigsten unter seinen Lehrern war Professor August Koberstein, der die Schüler nicht nur in der Schule in die deutsche Literatur einführte, sondern den besten — und Lessing gehörte zu den besten — abends in seiner Wohnung aus deutscher Literatur vorlas. Unver geßlich sind Lessing diese schöngeistigen Abende geblieben, in denen er Shakespeare, Lessing, Kleist und andere Dichter hörte. Mit welch eindrucksvoller Form Koberstein vorlas, dafür ein Zeugnis aus dem Munde seiner Schüler: „Ehe er den „Lear" las, wurde dem Nachtwächter, der unter uns im Parterre wohnte, Kunde davon gegeben, damit er nicht Feuerlärm mache, wenn er den Professor oben schreien hörte." Zu Lessings Schlllerzeit beging Schulpforta sein dreihundertjähriges Bestehen. Zu der Feier war auch der Turnvater Jahn erschienen, an dem die Zöglinge sehr hin gen. In der Weinlaune mag er aber wohl etwas allzu frei geistig gesprochen haben, wenigstens verwies ihn der Rektor aus der Versammlung. Daß Lessing ein tüchtiger Schüler war, bezeugen seine Lehrer: „Hat sich nicht nur selbst eines gesetzten und ver ständigen Verhaltens befleißigt, sondern ist auch bemüht gewesen, als Primus seine Pflicht zu tun," heißt es das eine Mal. Und ein andermal: „Bei einer lobenswerten Aufmerksamkeit und treuem Fleiß ist es ihm gelungen, manche der Lücken auszufüllen, die sich noch in seiner Kennt nis des Lateinischen vorfanden." Im Osterzeugnis 1846 steht allerdings neben „Gut und wohlgesittet": „Strengen Tadel und Strafe zog er sich zu, weil er eiserne Nappiere heimlich führte und sich derselben bedient hat, seine Mit schüler zum Fechten zu versuchen, selbst am Auge verletzt. Hat den Studenten vor der Zeit im Kopfe." Fechten und Streiten, das ist nun einmal Lessingsche Art, das lag auch Carl Robert Lessing im Blute. Deshalb schloß er sich, als er bald darauf die Universität Berlin be suchte, sogleich der Studentenvereinigung an. Als Student erlebte er in Berlin das Revolutionsjahr 1848. Er hat die Vorgänge alle aufmerksam verfolgt. Allerdings stellte er sich auf die Seite derer, die den König schützten. Wieder holt stand er Wache im Schloß. Dabei fragte ihn der König auch einmal nach seinem Namen. Als er den Namen „Les sing" nannte, sagte der König: „Sind Sie ein Sohn des alten Kanzlers?" Und als er bejahte, ließ sich der König von den Lessings erzählen. Lessing wollte auch als Frei williger gegen die Dänen ziehen, doch riet ihm sein Vater