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sie schweres Unrecht auf dem Gewissen, mieden sie den Umgang mit Menschen und spulten und wirkten in ihrem Häuschen vqn früh bis in die Nacht. Schonend und tropfenweise nur brachten sie Elsa bet, was sich im Bäcker hause zugetragen, damit sie nicht zerschmettert würde von den Trümmern ihrer Hoffnungen. Das Mädchen nahm es mit einem stillen, wehmütigen Kopfnicken hin. „Ach ja," dachten die Eltern, „sie will's uns nicht schwer machen und nimmt sich zusammen. So war sie immer, das arme Mädchen I Wie mag's in ihr drin aus sehen!" Als sie in ihren Augen einen stillen, frommen Schein nicht erlöschen sahen, wußten sie, daß sie es überwand. Elsa hatte sich keinerlei Vorwürfe zu machen, denn sie hatte 'nichts getan, um Männer anzulocken. Wohl aber bat sie Johann, sich ihretwegen nicht ins Unglück, in Feind schaft mit seinen Eltern zu stürzen, sie wolle gern auf ihn verzichten, wenn er da glücklicher sein könne, und von der schönen Erinnerung ihr Leben lang zehren. Johann aber ließ nicht von ihr, die nicht eine derbe Bauernschönheit, sondern zart und fein von Leib und Ant litz, klug uud tiefen Gemütes war. Mit der ganzen Leiden schaft, deren ein Mann fähig ist, liebte er. Und gerade, weil er die Flammen nicht aus seinem Herzen hinaus lodern lassen durfte, brannte seine Liebe immer heißer. Nun war es keipe heimliche Liebe mehr, dennoch verlor sie auch nichts an Kraft. Johann bemerkte, daß das Mäd chen seinetwegen von vielen gehaßt wurde, im Gesang verein, dem sie beide angehörten, gab es Klatsch und Zank, len die Bungert-Töchter schürten. Elsa litt darunter, sie wollte austreten, was aber ein schweres Opfer bedeutete, da sie den Gesang leidenschaftlich liebte. Johann sah das nicht lauge an, er hatte sein Mädchen zu beschützen. Als eines Abends nach Schluß der Gesangsstu-lde im Gasthofe, eine Neidische eine gehässige Bemerkung über Elsa fallen ließ, verabreichte er ihr eine klatschende Ohrfeige. Die zehn Mark Strafe, die ihm das einbrachte, bezahlte er mit Vergnügen. Seit er nach zwei Seiten seine Liebe zu ver teidigen hatte, zeigte er sich reizbarer. Auch Elsa gegen über. Wenn er sie vom Tanze oder der Singstunde heim begleitete, schlang er sie oft plötzlich in seine Arme, bedeckte ihr Gesicht mit Küssen und stieß hervor: „Du! Liebste! Dir bleib ich bis in den Tod. Du mir auch. Du darfst nicht von mir lassen, und wenn die ganze Welt an Dir zerrte! Du bist mein, mein!" Er fieberte in der Angst, Elsa könnte, um ihm und sich Ruhe zu verschaffen, ihn doch hintergehen. Es kam vor, daß sie bet seiner Umarmung heiße Tränen über ihre Stirn fließen fühlte. Dann beruhigte sie ihn, er wisse ja, daß sie ihn von ganzem Herzen liebe, aber immer wieder bat er: „Halte aus! Wir sind bald soweit." Frau Alwine hatte jede Veränderung an ihrem Sohne beobachtet und war bestrebt, es nicht zu einer Krise kom men zu lassen. So sprach sie denn wieder mit Ehregott, stellte ihm vor, wie schön es für sie beide wäre, wenn Jo hann mit der, der er nun einmal seine Liebe darbringe, hier wohnen und glücklich sein könne. Sie befreite das Bild der Elsa Liebscher vom Schmutz der Verleumdung und zeigte ihrem knurrigen Manne eine Blume, die, obgleich aus dürrem Boden stehend, in frischem Grün, leuchtender Blüte und lieblichem Dufte prangt, weil sie ihre Lebens kraft ganz aus der Tiefe holt. Und eines Tages sagte Ehregott zu seinem Sohne: „Johann, Du bist ja kein Junge mehr, Du wirst wohl wissen, was Du tust. Warst doch sonstein ganz vernünftiger Kerl, wirst da wohl auch nicht gerade in der Sache ein Esel sein. Nuja, also, ich hab's mir überlegt: wir wollen die Streitaxt begraben. Wenn Du glaubst, daß Du mit dem Mädel gut fährst, ich will Deinem Glück nicht im Wege stehen." Da reichte ihm Johann stumm die Hand. Dieser Händedruck, der Freude und Dank aussprach, tat dem Alten sehr wohl, und er war froh, daß er nachgegeben hatte. An diesem Abend war Geschrgsstunde. Elsa konnte zwischen den anderen Reihen der Sängerinnen hindurch Johann sehen, und es war ihr beim ersten Blick ausge fallen, daß irgend eine große Freude in ihm war, um Mund und Augen zuckte es ihm, als könnte er ein Auf lachen kaum unterdrücken. Und vernahm sie nicht durch den ganzen Chor den schmetternden Jubel seiner kräftigen Stimme? Was bedeutete das? „Sollte sein Vater ," nein, sie wagte diesen Gedanken nicht zu Ende zu denken, uind doch tauchte er immer wieder auf. Sie geriet in mäch tige Unruhe und konnte das Ende der Übung nicht er warten. Bei der Friedenseiche, fünfzig Schritte vom Gasthofe entfernt, harrte sie seiner. Hier konnte sie nicht leicht ent deckt werden, beim Herannahen eines Menschen hätte sie sich hinter die Weißdornhecke gebückt, die den Stamm mit der Gedenktafel umschloß. Es war ziemlich dunkel, das Mondlicht drang als fahler Schimmer durch den Wolken vorhang, der durch den sanften, lauen Lufthauch ein wenig bewegt wurde. In der Eiche und den alten Linden des Rittergutsparkes auf der anderen Seite der Straße lis pelte und knackte es leise, als ob kleine Frühltngsgeister ihr Spiel darin trieben. Es keimte, wuchs, knospete. Mit allen Sinnen nahm man die Erregung, das tiefe Erbeben wahr, das in Baum und Strauch, in Erde, Luft und Wasser das heimliche Werden begleitete. Das Mädchen trat auf die Straße. Er kam, am leichten, elastischen Schritt hatte sie ihn erkannt. „Elsa!" sprach er und ergriff ihre Hand. Langsam schritten sie die Straße hinauf, am Kirchhof vorbei, über einen hölzernen Steg, der unter ihrer Last sich knackend senkte, dann einen ver- rasten Seitenweg nach Liebschers Häuschen zu. Sie sprachen kaum, aber eins fühlte des andechr er regtes Blut. Er mußte, daß sie eine Frage quälte, aber sie sollte warten. Dabei konnte er sich selbst kaum beherrschen, die Freude wollte hinaus, und er mußte stark achtgeben auf seine Zunge. Besser, man schwieg, da ging man der Ge fahr am leichtesten aus dem Wege. Hie und da brach durch die kleinen Scheiben der Weber stuben rötlich-gelber Schein, da saßen die armen Schlucker noch hinter Wirkstuhl und Spulrad. Auch bei Liebschers wurde noch gewirkt. Die Fenster schieber schlossen dicht und ließen kein Licht Hinwegsickern, aber das dumpfe Dröhnen des Stuhls drang in die Stille der Nacht. Die Ankommenden hörten schon aus einiger Entfernung deutlich das taktmäßige Geräusch und das Klirren der Fensterscheiben, das jedesmal dem dumpfen Anstoßen der Lade folgte. „Na, aber Dein Vater wirkt ja noch!" sagte Johann. Elsa nickte. „Ja, er wirkt noch!" Er vernahm schmerzliche Wehmut, die in den paar leisen Worten vom Grunde ihrer Seele heraufkam, und fühlte Mitleid mit ihr und ihren Eltern. „Sie sollten sich nicht so placken." Da hielt er plötzlich inne, gleich wäre ihm das frohe Ereignis entschlüpft. „Sie — haben doch nur Dich!" fügte er langsam hinzu. Auf der Steinbank neben der Tür setzten sie sich nieder. Hier hatten sie manche Stunde Hand in Hcknd gesessen und tn die Zukunft geträumt. Elsa schwieg, sie wartete. Jetzt mußte es kommen. Aber er redete einiges Gleichgültige, worüber er sonst nie ein Wort verlor, doch auch darin schwang ein froher Ton. „Wie lange wird er's ertragen?" dachte sie, denn seine Unruhe und die Flucht zu gleichgül tigen Dingen verriet ihr, daß er sich die gleichen Folter qualen bereitete wie ihr. Als einmal der Webstuhl schwieg, sprang er auf und klopfte ans Fenster. „Johann, was willst Du?" fragte sie, besorgt, er möchte voreilig handeln. „Geh schnell!" „Sei ganz ruhig, Liebste!" Drin « sprach eine quärrige Stimme: „Mutter, woar's