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Hause nahmen wir uns jeder ein Paket Rietschelkuchen für die Lieben daheim mit, auf dessen Umhüllung sein Bildnis und ein ganz kurzer Lebensabriß verzeichnet war. Östlich von der Stadtkirche gelangten wir über diePuls- nitzbrllcke für einen Augenblick in die Landgemeinde Puls nitz-Meißner Seite und wurden dadurch an alte Zeiten er innert, in denen der Pulsnitzfluß fast sechshundert Jahre lang die Grenze zwischen den wettinischen Erblanden und der zu Böhmen gehörigen Lausitz gebildet hat. Hart an dieser Grenze hat das böhmische Schloß Pulsnitz die Wacht ge halten, und noch heute bildet der „Wall" einen beliebten Spazierweg für die Bürger. Auf dem Schloßteich sahen wir junge Leute sich im Rudern üben. Nachdem wir uns mit Kaffee und Kuchen gestärkt und erfrischt und im Vorbei gehen noch das Geburtshaus des ersten evangelischen Hindu- Missionars Ziegenbalg bemerkt hatten, wollten wir soeben Pulsnitz verlassen, als uns über einer Haustüre am Ober markt die winzige Gestalt eines Töpfers an seiner Dreh scheibe hinter Glas und Rahmen ausfiel und wir, noch wäh rend wir sie betrachteten, zum Betreten dieses Hauses freund lich eingeladen wurden. Nach dem überall umherliegenden weißen Staub und der erheblichen Wärme, die darin herrschte, hätten wir meinen können, in eine Bäckerei geraten zu sein, doch die langen Reihen noch unglasierter Töpfe, denen zum Teil sogar noch Henkel und Schnauze fehlten, belehrten uns eines anderen. Die Gesellen machten sich ein Vergnügen daraus, vor unseren Augen Töpfe, Krüge und Flaschen aus einem unförmlichen Tonklumpen mit Hilfe ihrer geschickten Finger und der nimmer ruhenden, die Drehscheibe in Bewe gung setzenden Füße entstehen zu lassen. Nicht ganz ohne Denkzettel an unfern Kleidern verließen wir die Werkstatt, um einen Einblick in die Geheimnisse der Töpferei reicher geworden. Doch nun wieder „zum Städtele hinaus", und zwar diesmal mit umgehängtem Wetterkragen, denn der Morgennebel von heute früh erschien als gelinder Nachmit tagsregen wieder auf der Bildfläche; aber meine Anfrage, ob wir nicht den Bahnhof zum Antritt der Heimfahrt auf suchen wollten, wurde entrüstet zurückgewiesen: „Wir haben ja noch nicht einmal die Pulsnitzquelle gesehen." Also ans nach Ohorn, dort muß sie stecken. Bald war das Dorf erreicht, in dem unzählige elektrische Leitungs drähte die Straße einsäumten und bald links, bald rechts in den Häusern verschwanden. Überall klapperte und surrte es hinter den Fenstern, und als wir neugierig in eins der schlichten Häuschen eintraten, da zeigte man uns, wie die elektrische Kraft die Bandwebstühle in Bewegung setzte, die früher mühsam mit Hand und Fuß bedient werden mußten. 24Bänderwurden da auf einmal gewirkt, die verschiedensten Muster nebeneinander auf einem Weberbaume, und außer dem wickelte sich selbsttätig das Garn von der Winde auf die zum Hin- und Herschteßen benötigten Spulen. Dicht daneben stand das Familiensofa, so friedlich, als wäre das schon seit undenklichen Zeiten so gewesen. Ja, wo die Elek trizität zur rechten Zeit hinkommt, da ermöglicht sie es dem Arbeiter, gleich seinen Voreltern im eigenen Hause sich sein Brot zu erwerben und doch die Vorteile des Großbetriebes zu genießen. Unweit der Stelle, wo wir Einkehr gehalten hatten, war auch die Pulsnitzquelle zu finden, doch hatte man bereits seit 1907 aus Nützlichkeitsgründen eine richtige Lausitzer Plumpe darauf gesetzt, sodaß die eigentliche Quelle zwar nicht sichtbar war, aber das von meinen jungen Ge fährten so sehnlich gewünschte „Daraustrinken" umso leichter wurde. Die Eigentümerin des Quellen-Grundstücks versah selbst das Amt der Brunnennymphe, und getrunken wurde nach dem verbesserten Rezept des Diogenes aus der hohlen Hand. Unterdessen war die Sonne wieder durch das Gewölk gebrochen, aber nur um anzuzeigen, daß sie nicht mehr lange Zeit mit dem Untergang säumen würde. Darum rüstig hinauf auf den Schleißberg am oberen Ende Ohorns, wo eins der entzückendsten Forsthäuser Deutschlands inmitten präch tigen Hochwaldes und grünender Rasenflächen steht, und hinüber nach dem Sch weden stein mit seinem weißleuch tenden Turm, von dessen Höhe wir im Purpurschein der Herbstabendsonne noch einmal das heute durchwanderte Ge biet überblicken konnten. Die Nachtruhe sollte nach unserm Plane am Fuße des Sibyllensteines gehalten werden. Ehe wir in die Schatten des großen Forstreviers Ohorn ein traten, galt es, die Karte auswendig zu lernen; denn an ein Lesen darauf unterwegs oder an ein Erkennen der ziemlich hoch an den Bäumen befestigten Wegweiser war bei der schon beginnenden Dämmerung nicht zu denken. Also: den Mühl weg rechts, dann den Tellerweg links, über den Haselbach damm und wieder rechts den Luchsenburgweg entlang, so mußte in 45 Minuten die Luchsenburg erreicht sein. Und wirklich — es klappte, der Lichtstreifen über dem Waldweg oben am Himmel hatte das Gelingen unseres Gänsemarsches ermöglicht, aber o weh! — weder in der Försterei Luchsen burg, noch im dicht daneben liegenden Röderbrunn konnte man den vier Nachtwandlern Unterkunft gewähren, und so hieß es noch ein Stündchen zugeben und das eben erst betre tene Rödergebiet wieder verlassen, um in Rammenau die müden Glieder ausruhen zu können. Ein biederer Burkauer, der unsere Not erfuhr, schob uns zu Gefallen sein Rad den ganzen Weg, mit seiner Laterne zugleich reichliches Licht spendend, und Alfred, der kleinste von uns, durfte sich noch dazu auf den Sattel setzen. So wurde auch diese unvorher gesehene Anstrengung noch überwunden, und umso vortreff licher mundeten die Spiegeleier im „Erbgericht", und umso weicher ruhte es sich in den sauberen Betten aus. HI. Auf dem Schwedensteine bei Pulsnitz hatten wir gestern abend an einem dem Turme gegenüberliegenden Felsen die Namen Ziegenbalg, Rietschel, Lessing und Fichte als die jenigen der größten Söhne der nordwestlichen Oberlausitz eingemeißelt gefunden. Unser erster Besuch am nächsten Mor gen galt dem Denkmal Fichtes, das die Rammenauer „Dem Gelehrten" und „Dem Vaterlandsfreunde" in dankbarem Stolze auf den in ihrem Dorfe geborenen berühmten deut schen Weltweisen errichtet haben. Als wir dann endgültig aus dem gastlichen „Erbgericht" aufbrachen, lagerte wie am Tage vorher ein dichter Nebelschleier auf der Erde, der aber nur von geringer Höhe war; denn ab und zu lugte blauer Himmel über uns hindurch, während rechts und links kaum die nächsten Häuser erkennbar waren. Bei unsrer Ankunft an dem schon zuBurkau gehörigen „Heitern Blick" machte dieser am Waldesrand herrlich gelegene Punkt seinem Namen alle Ehre. Ein frischer Morgenwind brachte eine gründliche Aufheiterung, sodaß Berg und Tal im goldenen Sonnenlicht vor uns lagen. Wir fragten einen uns begegnenden Burkauer Häusler, der seine „Ardbern ausmachen" wollte, nach der Klosterwasserquelle, und dieser wies uns nach einem dicht an der Straße durch ein Bruchsteingemäner eingefaßten und überwölbten Brunnen, aus dem in wunderbarer Klar heit das Wässerlein hervorrieselte und jenseits der Straße zu Tal eilte. An derselben Stelle begann die Burkauer Dorf-