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I irZM§r> »Ja, Ul, es ist vielleicht das beste, wenn du allein mit deinen Erinnerungen fertig zu werden suchst. Ich werde für alles andere sorgen. Sieh nur zu, daß du ruhiger wirst.' Wie im Traum schritt Ulrich Marquardt aus dem Hause, durch den Ort, dem Strand zu. Weiter und immer weiter, durch die menschenleeren Dünen. Seine Schritte waren schwer wie Blei, langsam nur kam er vorwärts. Priska lebte! Lebte — und er hatte es nicht gewusst! Diese Gewißheit war noch schlimmer als das Bewußt sein ihres Todes. Es war einfach nicht zu fassen. Priska war RupertS Frau. Man mußte wahnsinnig werden über diesen Gedanken. Wie sollte das alles nun werden? Am besten wäre rS gewesen, wenn Priska ihn nicht zu Gesicht bekam. Aber das ging ja nicht — wie sollte er das vor Rupert ver antworten? Wie er Priska liebte! Mit einer rasenden, lodernden, begehrenden Liebe. Ohne sie gesehen zu haben. Wie würde diese Liebe über ihn herfallen, wenn er sie erst wieder sah? Sie als Frau seines Bruders sah, die er nicht be gehren, nicht berühren durfte. Er blickte auf. Vor ihm lag daS weite Meer. Die Wellen kamen und gingen. Wie ein Symbol der Ewigkeit. Ulrich, den sonst jede Naturschönheit entzückte, sah nichts, sah nicht die Schönheit des Meeres und nicht das idyllische kleine Dorf, das sich an seinem Rand« sommerlich aus breitete. Wirr trieben di« Gedanken in seinem armen Kopfe. Er wußte nicht, waS er tun sollte. Priska, seine Frau, die er geliebt, die er besessen, die er immer als sein eigen betrachtet hatte — Priska gehörte einem anderen, gehörte seinem Bruder. Wie entsetzlich hatte das Schicksal gewaltet, als ob «S nur darauf gewartet hätte, sein Leben völlig zu zerstören. Und Priska? Wie hatte sie es über sich gebracht, aus feinem Leben zu gehen, so völlig zu verschwinden, ohne «in Wort, ohne Aufklärung zu suchen oder zu geben? Wenn sie ahnte, was ihr bevorstand! Wenn er sie nur hätte sprechen können, ehe sie ihn vor dem anderen sah! Wer weiß, ob sie ihre Fassung behalten, ob sie alldem standhalten konnte. Er würde ja auch heute noch sein Herzblut geben, nm sie zu schützen. Er stöhnte auf, hielt im Gehen inne. Wie «in Verzweifelter blickte er um sich. Plötzlich sah er vor sich hin, wie gebannt. Da vorn, nicht weit von ihm entfernt, saß eine Frau im hohen Dünengrase, das Gesicht dem Meere zugewandt. Auf den ersten Blick hatte er Priska erkannt. Ihr wunderschönes Profil hob sich in scharfer Kontur ab vom Blau deS Himmels. Fest waren die Lippen auf einander gepreßt, seltsam leblos saß sie da, unverwandt das Kommen und Gehe» der Wellen betrachtend. Beide Arme lagen um di« hochgezogenen Knien; wie welt entrückt starrte sie in das Wasser. Genau so hatte er sie in der Erinnerung; st« schien sich wenig verändert zu haben. Rur daß er den schweren Ernst Nicht kannte, der auf dem schönen Gesicht lag. Leise schritt Ulrich näher. Sie schien nicht- zu hören. Fest sogen sich seine Blicke an der Frau fest. Jetzt hörte er einen liefen Seufzer. Ulrich sah, wie »ine große Träne sich löst« und langsam di« Wangen PriskaS hinunterlief. Er konnte sich nicht mehr halten. Mit erstickter Stimme tief er: „Herzlieb! PriSka!" Ein Aufschrei, wie klirrendes Glas. Da lag er neben ihr im Gras«, barg seinen Kopf kn ihren Schoß, küßte ihre Hände ... «in Schluchzen durch» schüttelt« leinen Körper. * M * Priska war heute ganz früh aus dem Hotel gegangen. Sie liebte diese Spaziergänge. Es waren die einzigen Stunden, in denen sie allein sein konnte. Ihr Mann hatte am Vormittag mit seiner Post zu tun, Gabriele war eine enragierte Schwimmerin und tummelte sich am Strande. So war Priska einige Stunden sich selbst überlassen. Sie war so froh, wenn sie sich von der Gesellschaft ihres Mannes freimachen konnte. Entsetzlich war diese Ehe! Noch heute begriff sie nicht, wie sie die Frau dieses Mannes geworden war. Gewehrt hatte sie sich dagegen, hatte daS Netz gefühlt, das man über sie warf, das sich immer enger zusammen zog, bis sie sich darin gefangen hatte. Man hatte sie über rumpelt. Rupert Bergmann hatte einfach seine Macht ge braucht. Sie lieble ihn nicht, sie haßte und fürchtete ihn. Sie war tief, tief unglücklich. Sie hatte dahingclebt im Hause Bergmann, vegetiert, wie eine Blume, die man aus ihrem Boden genommen und in fremdes Erdreich verpflanzt hatte. Sie hatten es gut gemeint, di« Bergmanns, auf ihre Weise. Der Vater und die Tochter. Sie hatte Gabriele auch ganz lieb gewonnen, hatte sich gefreut an der Gesund heit und der Unbekümmertheit des jungen Geschöpfs. Hatte an ihren harmlosen Vergnügungen teilgenommen und war auf dem Wege gewesen, ruhig zu werden und resigniert ihr Schicksal zu tragen. Allmählich war es gekommen, daß sie die Leitung deS Hauswesens übernommen hatte. Die Dienstboten waren zu ihr gekommen mit allen Fragen, und die Arbeit und die Verantwortung hatten daS ihre getan, Priska ge sunden zu lassen. Nur daß sie Ulrich nie, nie vergessen konnte, daS wußte sie. Kein Tag verging, da sie nicht in tiefstem Schmerz und in heißester Liebe seiner gedachte, da sie sich nicht nach seinen Küssen und nach seinen Zärtlichkeiten sehnte. Aber sie verschloß diese Sehnsucht ganz in sich; kein Mensch wußte, wie es in ihr aussah. Mit Entsetzen hatte sie dann die Annäherungsversuche Rupert Bergmanns beobachtet, hatte getan, als ob si« nichts davon bemerkte. Das ging einige Zeit. Gabriele war cs, die dem Zögern ihres Vaters ein Ende bereitete, die die Geschichte ins Rollen brachte. Sie hatten zu dritt beim Tee gesessen, nach dem Abend essen. Gabriele hatte dann für einen Augenblick das Zimmer verlassen. Als Priska dem Hausherrn das zweit« Glas Tee reichte, fühlte sie mit Entsetzen, daß Rupert Bergmann zugleich mit dem Glase ihre Finger ergriff und sie leise und zärtlich drückte. Priska wagte kaum zu atmen. Bergmann mochte ihre Angst für Zustimmung halten; er rückte näher, legte seine Hand um ihren Körper und flüsterte: „Ich bin Ihnen so gut, Priska — wissen Sie das nicht?" Priskas Glieder schlugen vor Schreck. Was sollte si« nur tun? Wenn sie den Mann jetzt zurückstieß, dann war sie verloren. Dann stand sie auf der Straße, hatte keinen Menschen, der sie schützen würde. Trotzdem wollte si« sprechen, dem Manne alles sagen. Aber ihre Zunge ver sagte den Dienst. Sie stammelte ein paar Töne: „Ich ... ich..." In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, Gabriel« kam herein. Sie übersah die Situation und rief in ihrer forschen, burschikosen Art: „Was machst du denn nur so lang', Paps? Gib Priska doch einen Kuß, dann ist alles in Ordnung." Ohne daß Priska sich eigentlich gewehrt hatte, war si« di« Braut und die Frau Rupert Bergmanns geworden. Sie wußte kaum, WaS mit ihr vorging in diesen Wochen, Immer wieder gaukelte vor ihren Augen die Gestalt «ine- anderen Mannes. DeS Mannes, den sie lieble und der sie verraten hatte, den sie nie iyirderjeheg chürd« und nach dem ihr« Seel« schrie. Sie fürchtete sich vor dem anderen Manne, der sie fern« Braut nannte, der sie küßte und sie umarmte. Aber — sie wurde seine Frau. Sie hatte es zuvor nicht gewußt, wie entsetzlich es war, die Frau eines ungeliebten Mannes zu sein. Da war nichts von der Zärtlichkeit und dem Verständ nis, mit dem Ulrich Marquardt um sie geworben hatte. Da war nichts als derbes Verlangen, die den Besitz altz Selbstverständlichkeit nahm. Rupert Bergmann wollte selbst umschmeichelt werden; er verlangte des Morgens und des Abends allerlei Hand reichungen von seiner jungen Frau, um seine HauSherrn- würde dadurch zu dokumentieren — Handreichungen, die ihr weibliches Empfinden heftig störten. Priska tat alles, um des Friedens willen. Sie wollte nichts als Ruhe und Frieden, wollte ausruhen von den Kämpfen ihres jungen Lebens. Schwer genug mußte sie sich diesen Frieden erkämpfen. Die laute und ein wenig harte Art ihres Mannes, der es im übrigen herzlich gut mit ihr meinte, lag ihr gar nicht, und sie mußte sich täglich von neuem daran gewöhnen» Seine Umarmungen, seine festen Griffe taten ihr weh, und er schalt oft genug, manchmal sogar ein wenig ärger lich, über ihre Zimperlichkeit. Mit zusammengebissenen Zähnen ertrug Priska seine Umarmungen, mit seltsam starren Augen ließ fi« seine Liebkosungen über sich ergehen. Diese Ehe war ein Martyrium, das wußte sie nach den ersten Nächten. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig, als dieses Martyrium zu ertragen. Hier an der Nordsee war es erträglicher als zu Hause. Hier brauchte sie wenigstens keine Gesellschaften zu be suchen, hier hatte sie vor allem diese seligen Vormittags stunden für sich allein, während derer Rupert arbeitete und Gabriele schwamm. Diese Stunden in den Dünen waren das Beglückendste, das Priska erlebt hatte, seitdem sie in Rupert Bergmanns Hause lebte. Wie herrlich es heute wieder war! Kein Mensch war zu sehen; die anderen Badegäste tummelten sich am Strande — sie war ganz allein. Nichts war zu sehen als das Meer und die Dünen. Priskas Augen folgten dem Spiel der Wellen. Diesem ewigen Wechsel von Kommen und Gehen, von Versinken und Hochspritzen... So eine Welle war ihr Leben gewesen. So stolz und hoch wie eine Woge war auch sie gewesen. Auch sie hatte nach dem Höchsten greifen wollen, bis si« sortgerissen und an den Strand geschleudert worden war. Ein-, zweimal noch hatte sie sich aufzebäumt, und dann hatte sie sich ge duckt, wie jene Well«, die langsam und ergeben den Tand- boden bedeckte. Jetzt mußte sie stillhalten, mußte das Leben ertragen, so gut es eben ging. Was Ulrich Wohl machte? Ob er mit jener schönen, girrenden Frau glücklich geworden war? Ob er noch manchmal an sie dachte, oder ob er si« ganz vergessen hatte? Sie, die ihn heute noch so heiß und so glühend liebte wie am ersten Tage, die nie, nie wieder einen anderen Mann lieb gewinnen würd«. Ein Seufzer rang sich von ihren Lippen, «ine Trän« lief ihre Wangen herunter. Plötzlich stand ein Schatten vor ihr. Priska sah auf. Wollte «mporspringen in schnellem Enisetzen, blieb sitzen, weil ein« plötzlich« Lähmung ihr« Glieder umfangen hielt. Eine Stimme drang an ihr Ohr, nach derem süßen Klung sie sich sehnte, die langen schlaflosen Nächte hin durch, legte sich schmeichelnd und zart aus ihr wundes, bcl'cndcs Herz. Diese Stimme, diese flüsternden Worte rissen das Tor auf, das sie künstlich und hart «rrichtet hatte. Liebe und Sehnsucht überfluteten sie, und sie fühlte nicht- andere- als die bealückendr Näh« deS gMbtev Kanne-. Füblte seine Küsse auf ihren Händen, seine brennenden, nassen Augen, seine Arme, die sie fest umklammert hielten. Ihre von Sehnsucht und Leid zermürbte Seele flog ihm entgegen, willig schmiegte sie sich in diese festen, kräftigen Arme, an die Brust deS Mannes, als ob da her einzige Platz in der Welt wäre, an den sie gehörte. Lange dauerte es, ehe si« sprachen. Stumm hielten si» sich umfaßt, eng aneinandergeschmiegt, beseelt von dem Gefühl, sich gefunden zu haben. Dann sprach der Mann, leise und zartr „Priska, meine Priska! Oh, daß du lebst, daß ich dich gefunden habe, mein Herzlieb! Ich habe mich so gegrämt um dich. Du weißt nicht, wie ich gelitten habe. Warum hast du da- getan? Wußtest du nicht, wie sehr ich dich liebte?" „Ulrich — Lolott... Ich kam zu dir, dich zu über raschen. Ich sah Lolott bei dir im Atelier, hörte ihr« girrend« Stimm«: .Dummer Bub, als ob ich dich jemals vergessen könnte!' Du schienst sie um ihre Liebe gebeten zu haben; ich hörte die Antwort, sah ihre heißen Blicke. Da mußte ich fort. Du liebtest sie, hattest mich vergessen; ich konnte mich dir nicht aufdrängen, mußte au- deinen? Leben verschwinden. Ich wollte dir nicht lästig fallen, wollte sterben — man hielt mich davon zurück. Oh, Ulrich, ich bin ja so unglücklich!" „Liebling, wie schrecklich das alles ist! Wenn du nur einen Augenblick länger zugehört hättest, damals, alle- wäre anders gekommen. Ich wies Lolott zurück, sagte ihr, daß ich nur dich liebte, daß «S keine andere Frau auf der Welt für mich gab als dich. Aber — du liefst davon, und ich sah dich niemals wieder. Ich habe dich gesucht, ich hab« gewartet auf dich, bis heut«. Und jetzt endlich habt ich» dich wiedergefunden, Lieb!" Er wollte sich herunterbeugen, sie zu küssen. Mit einem Aufschrei fuhr Priska zurück. „Nicht, Ulrich — nicht — ich bin verheiratet!" „Ich weiß es, Priska. Ich weiß es von Rupert Berg« mann selbst. Er ist mein Halbbruder." Gellend schrie Priska auf. Ihre Augen starrten ii« Hellem Entsetzen in die des Manne-, ihr« Hände flogen, Ulrich suchte sie zu beruhigen. „Fasse dich, Liebling!" „Es ist fürchterlich, Ulrich! ES kann doch nicht Wahl sein..." „Doch, Priska, es ist wahr!" „Schlag« mich doch tot, Ulrich! Sei barmherzig! Daß ich nicht mehr weiter zu leben brauche." Er nahm die zitternde Gestalt in seine Arme, streichelt« sie, gab ihr leise, zärtliche Namen, bis das Toben sich langsam beruhigte, bis Priska leise und still vor sich hin weint«. Wie beglückend cs war, diesen schmalen Frauenkörpe» so nahe an dem seinen zu spüren, diese weichen Haar streicheln zu dürfen! Und doch, wie schrecklich diese- Wiedersehen war! Lange saßen sie so, ohne ein Wort zu reden. Dem tobenden Ausbruch der Gefühle war bei Priska eine Art stoische Resignation gefolgt. Jetzt sah sie auf, gerade in Ulrich- Augen hinein. Ganz nah« lagen ihre Gesichter aneinander. Zum ersten Male, daß sie sich wirklich ansahen, daß ihre Seelen sich sanden. Ulrich beugte sich vor, wollt« PriSkaS Mund küssen. Ihre schmale Hand legte sich auf seine brennenden Lippen. „Richt, Ulrich — ich bin die Frau deines Bruders!" Ihre Stimme brach. Wortlos beugte der Mann seinen Kopf. Rur ihr« Hand drückte er an die Lippen, an die Augen. „WaS soll nun werden, Ulrich?" Er sah auf. Trostlos schweiften seine Blick« über da- Meer. Dann sagte er leis«: „Ich — werde aeben — weit fortqehen. Ich kann da-