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zulegen. Die circa 700,000 Feinspindeln der österreichisch-ungarischen Wollgarnspinnerei ha ben daher einen schweren Stand gegenüber den grossangelegten, längst amortisirten, niedriger besteuerten Spinnereien im Elsass und in Bel gien, welche ihre wohlfeiler und vortheilhafter gesponnenen Garne umsomehr hereinbringen, als sich ihnen andere Absatzgebiete (Frank reich, Russland etc.) aus bekannten Gründen verschliessen.“ Nun sollen Zollerhöhungen für feinere Garne (von 8 und 12 auf 15—20 fl.) hauptsächlich der österreichischen Kammgarn spinnerei helfen (1884: 180,000 Spindeln, wo von 56,000 in Vöslau bei Wien), wogegen sich die österreichische Wollwaarenindustrie wegen ihres Kammgarnverbrauchs lebhaft sträubt. Bei den gefärbten Stick- und Strickwoll garnen, deren Absatz und Einfuhr nach Oester reich-Ungarn sich mit der dort immer zuneh menden Frauenhandarbeit vermehrt, ist von den Interessenten darauf hingewiesen worden, dass der österreichische Zolltarif zwischen den rohen und den gefärbten (gezwirnten) Garnen kei nen Unterschied macht und dass durch diese kleine Lücke grosse Mengen modegefärbter Stickereigarne zumal aus Deutschland (Berlin) eingeführt werden, was im Interesse der öster reichischen Färberei verhütet werden soll. Trotzdem die österreichische Tuehindustrie wiederholt und besonders zollbegünstigt wurde, trotzdem die Einfuhr in wollenen Webwaaren von 25,450 Meterctr. in 1879 auf 19,916 Meter ctr. in 1884 und gar auf 14,871 Meterctr. in 1885 zurückgegangen ist, was die deutsche Tuchindustrie namentlich in Aachen, Cottbus, Finsterwalde etc. unlieb verspürt haben dürfte, sind dennoch 1886 neue Zollerhöhungen be willigt worden, hauptsächlich zu Gunsten der Brünner Wollindustriellen, sowie der Brünner und Wiener Kleiderconfectionäre. Für leichte wollene Webwaaren (im Gewicht von 200 g oder weniger der Quadratmeter, auch bedruckt), also insbesondere für Thibet, Merinos, Kasche mirs, Beige, Voile, Orleans etc.) soll der Zoll von 80 auf 110 fl. erhöht werden zu Gunsten der österreichischen Damenkleiderstofferzeu- gung gegenüber besonders der sächsichen Con- currenz. Hauptsächlich gegen die deutsche Einfuhr richtet sich auch die Zollerhöhung für Sammte, Posamentir-, Webe- und Wirkwaaren, insbesondere für die Möbelplüsch- und Strumpf- waarenerzeugnisse (Normalwäsche) von 80 auf 110 fl., obschon die Erzeugung von Normal wäsche in Nordböhmen und Brünn kräftig auf genommen worden ist und in Bregenz Seitens des Stuttgarter Stammhauses Zweigfabriken er richtet worden sind. Trotz ihrer günstigen Erzeugungsbedingun gen*), welche sie schon lange ausführkräftig ge macht haben, trotz der grossen Unternehmer gewinne, welche sie abgeworfen, hat die öster reichische Wollindustrie seit zwei Jahrzehnten folgende Zollerhöhungen zu ihren Gunsten durch zusetzen gewusst: Oesterreich-Ungarns Einfuhrzölle für den Meter-Centner. 1868 1878 1882 1886 Kammgarn. . fl. 0.75 1.50 1.50 1.50? Wollgarne,roh „ gefärbt od. „ 4.— 8.— 8—12 8—16 gezwirnt Wollwaaren, „ 6.- 12.— 12.— 16—20 Kotzen etc. „ 5.— 12.— 12.— 12.— Gewalkte. . . „20.— 50—80 50—80 50—80 Sammtartige . „40.— 80.— 80.— 100.— Shawls etc. . „60.— 100—150 150.— 200.— Spitzen. . . . „70.— 150.— 150.— 200.- *) In Mähren und Brünn stellten sieh z. B. 1884 die Wochenlöhne für Männer wie folgt: Spinner 5—12 fl., Wolfer 3—6 fl., Scherer 1.68—3 fl., Zwirner 3.50—8 fl., Auch für die österreichische Kunstwollerzeu gung ist höherer Zollschutz gegen die fremde Einfuhr, insbesondere aus Rheinpreussen, ge fordert worden, indessen vorerst erfolglos. Eine erste böhmische, mit allen zweckmässigen Ein richtungen der Neuzeit (electrischer Beleuch tung etc.) versehene Fabrik soll im Jahre 1884 nicht einmal ihre Auslagen verdient haben, wogegen die Einfuhr von 8658 Meterctr. im Jahre 1881 auf 19,561 Meterctr. im Jahre 1884 gestiegen ist. Zur Ausfuhr aus Oesterreich ge langen geringe, meist shoddyhaltige Woll hadern , wogegen nach der österreichischen Permanenzcommission für Handelswerthe be- ! sonders die deutsche Mitbewerbung auf dem Wollhademmarkte sehr hemmend auf die Kunst wollfabrikation der feineren Sorten wirkt, wel che in grossen Quantitäten aus dem Markt | genommen, in Deutschland gerissen, gefärbt etc. werden und als bessere Sorten Kunstwolle „zoll frei“ wieder in Oesterreich eintreten. Während von einigen österreichischen Spin nern eine Zolleinigung mit Deutschland als ein Unglück bezeichnet worden ist, weil das Deut sche Reich durch den Zuwachs von Elsass- Lothringen eine ungeheure Erzeugungskraft er langt habe und auch sonst unter günstigeren Bedingungen arbeite, haben sich im Jahre 1880 bei der erneuten Erörterung der deutsch-öster reichisch-ungarischen Zollfrage unter Anderem hervorragende österreichische Wollindustrielle j für das gänzliche Fallen der Zollschranken zwischen den beiden Reichen in der Hoffnung ausgesprochen, als Ersatz für den in gewissen Artikeln verloren gegebenen österreichisch-unga rischen Markt entsprechenden Absatz, nament lich für Modewaaren, in Deutschland zu finden. Auch aus den Kreisen der österreichischen Juteindustrie sind Wünsche nach einem Zusam mengehen mit Deutschland laut geworden. In einem Zollbericht der Handelskammer zu Eger vom 8. October 1885 besteht unter den Textil industriellen auch die Ansicht, dass durch einen Zollvertrag mit Deutschland eine Zolleinigung angebahnt werden könnte in der Art, dass inner halb eines Zeitraumes von zehn Jahren durch allmähliche Herabsetzung die gegenwärtigen Zölle zwischen den beiden Staaten schwinden. Ein Zeitraum von zehn Jahren würde öster reichischen Textilindustriellen genügende Ge legenheit geben, den Gegner kennen zu lernen, und dieser würde damit von seiner vermeint lichen Gefährlichkeit verlieren, denn die Er zeugungsbedingungen der Textilindustrie im nördlichen Böhmen lägen nicht ungünstiger als in irgend einem Theile des Deutschen Reiches, und Oesterreich könne durch eine Zolleinigung mit Deutschland nur gewinnen. Die Crefelder Seiden- und Sammetfabrikation. Der soeben erschienene Jahresbericht der Crefelder Handelskammer enthält wiederum eine Fülle interessanten und werthvollen Materials und entnehmen wir dem Berichte Folgendes: Die rückläufige Geschäftsbewegung in der vor nehmlich in unserem Bezirk betriebenen Sammet-, Seiden- und Halbseidenanfertigung dauerte wäh rend des ganzes Jahres an und schuf Zustände, insbesondere für weite Arbeiterkreise der länd lichen Bezirke, welche sich als eine nie gekannte Nothlage kennzeichneten. Die Rückwirkung dieser Verhältnisse auf andere Erwerbszweige in unserem Bezirke war unausbleiblich und die traurige Gesammtlage bei uns beschäftigte des- Walker 4.60—6 fl., Rauher 3.12—4.80 fl., wobei sich der Durchschnitt den niedrigeren Angaben nähert. Weib liche und jugendliche Arbeiter hatten geringeren Ver dienst. halb vielfach auch Verwaltungs- und Aufsichts behörden. Unsere früheren Rathschläge bezüg lich der auf unsere Industrie zu nehmenden Rücksichten in zolltarifarischen Angelegenheiten haben sich auch bei der Nothlage des Jahres 1885 zutreffend erwiesen. Die Industriellen sind sich der Aufgabe durchaus bewusst ge blieben, dass sie einen schweren Kampf um die Erhaltung der Concurrenzfähigkeit auf dem Weltmärkte führen, bei dem das Wohl und Wehe einer grossen Arbeiterbevölkerung in Frage steht. Die Härten, die ein solcher Kampf im Verhältniss der Fabrikanten zu ein ander und zu ihren Arbeitern unausbleiblich mit sich führt, nach Möglichkeit zu mildern, bleibt eine besondere Aufgabe der Handels kammer im Verein mit Behörden und Cor- porationen. Von der Staats- und Reichsregierung muss aber die Industrie erwarten, dass sie ihre vielseitigen Interessen, welche durch die sie vertretende Handelskammer zum Ausdruck ge langen, berücksichtigen und insbesondere die Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen suchen, welche ihre Produktionsbedingungen der aus- | ländischen Concurrenz gegenüber belasten. Es ist hier der Ort, daran zu erinnern, dass die niederrheinische Seidenindustrie trotz aller Be mühungen ihrer Vertreter immer noch ihre Baumwollgarne, welche sie zu neun Zehntel aus England beziehen muss, zu versteuern hat, während die immer bedeutender werdende Con currenz des Auslandes in der Fabrikation halb seidener Gewebe, Frankreich und Italien, jene Garne zufolge der zeitweiligen Zulassung zoll frei, die Schweiz solche mit nur geringem Zoll aus England gleichfalls beziehen. Die inter essante Industriestatistik zeigt eine Abnahme der Erzeugung von nahezu 8 Millionen Mark gegen das Jahr 1884. In sammetartigen Ge weben hat der mechanische Webstuhl schon eine um so vieles bedeutendere Rolle gespielt, dass z. B. der von der Mode darin bevorzugte Artikel, die leichtern Gattungen Plüsche, fast ausnahmslos ihm verfiel und der Handarbeit entzogen wurde. Der geringe Begehr nach dem Artikel Sammet, welcher noch im Jahre 1884 einer grossen Anzahl von Webern in der Haus arbeit Beschäftigung gewährte, konnte zunächst durch grosse Vorräthe, die sich noch in Hän den der Fabrikanten befanden, zum wesent lichen Theile aber durch mechanisch herge stellte Waare gedeckt werden. So verblieben dem Handstuhle in Sammet und sammetartigen Geweben fast nur die gemusterten Artikel und die schweren Mantelplüsche, und Tausende von Handwebern, insbesondere in den weiter ent legenen Orten, wurden beschäftigungslos. Die Stoff Weberei ist, nachdem grosse Stapelartikel von dem ausländischen Wettbewerb uns wirk sam auf dem Weltmärkte bestritten werden, auf Herstellung von Sonderheiten aller Art ver wiesen. Es haben die Fabrikanten dieser Webe- i Stoffe es wahrlich nicht an Anstrengungen feh len lassen und finden die Leistungen bei aller dings sehr geschmälertem Nutzen viele Aner kennung. Einer eigentlichen Neigung der Mode hatte sich diese Fabrikation nicht zu erfreuen. Eine grössere Nachfrage nach ganzseidenen Stoffen hat sich allerdings gezeigt, indessen tritt hier der Wettbewerb Frankreichs, Italiens und der Schweiz auch in so bemerkenswerthem Grade uns entgegen, dass nur die vollendetsten Herstellungsweisen auf Hand-, mehr aber noch auf Maschinenstühlen der hiesigen Industrie Erfolge sichern. Nach dieser Richtung hin sind allerdings grosse Fortschritte zu verzeich nen, die wir nicht unerwähnt lassen dürfen. Die vorstehend berührten Verhältnisse müssen ganz naturgemäss ihren Einfluss auf die hiesige Sammet- und Seidenfärberei, als einen der wich tigsten Hülfsgewerbezweige, ausüben. Die Menge 43*