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VII. Was ist christliche Dichtung? (^n den vorstehenden Ausführungen ist wiederholt die Bezeichnung christliche und katholische Dichtung gebraucht worden, ohne daß zwischen einer Deutung im engeren und weiteren Sinne unterschieden worden wäre. Und doch wird diese Unterscheidung unerläßlich sein, wenn wir den Begriff im allgemeinen Bewußtsein nicht wollen zusammen schrumpfen lassen zu dem einer rein religiösen oder geistlichen Poesie. Viele verstehen ihn bereits nur in diesem Sinne. Aber wie wir die Begriffe des theokratischen und des christlichen Staates nicht gleich setzen, so dürfen wir auch die Vorstellung der christlichen Poesie in der der geistlichen, religiösen nicht aufgehen lassen. Die analoge Begrisfs- bildung „Christliche Kunst" darf uns nicht irre leiten. Beim bildenden Künstler, der das Prädikat christlich für sich in Anspruch nimmt, ist die Beschränkung auf religiöse Stoffe schon in gewissem Sinne durch die Beschränkung seiner Ausdrucksmittel bedingt und gefordert. Er vermag keine Handlung im Sinne des Nacheinander und der ursächlichen Ver knüpfung darzustellen und ist daher immer nur an den jeweiligen Aus druck des Dargestellten an sich, ohne Beziehung auf ein anderes, an gewiesen. Gerade in der Kunst der Relationen aber liegt für den Dichter das Geheimnis der Beseelung und Verknüpfung scheinbar verschiedener Vorgänge durch die Idee. Ohne ausgesprochen zu sein, steht sie durch leuchtend und verklärend über dem Ganzen, gleichwie der blaue Himmel über Meer und Land. Der Maler kann eine Landschaft nie im Ernste christlich oder unchristlich empfinden und so darstellen, es sei denn, er greife zu Allegorien oder ähnlichen unkünstlerischen Mitteln?) 1) In der „Kunstlehre" von Gietmann und Sörensen (Bd. IV, S. 170) kann man von einer „pantheistischen Landschaft" lesen, als deren Ver treter die Künstler des pa^sags intime, vor allem aber Böcklin bezeichnet werden. Für den tiefer dringenden Betrachter ist die Benennung eine