die Überwindung der natürlichen Abhängigkeit zur Freiheit der Per sönlichkeit emporgewachsene Mensch ist auch der wahrhaft schöpferische Mensch. Derjenige allein, welcher sich an keine niedere Welt schicksals mäßig gebunden glaubt, vermag eine höhere zu erzeugen. Wer erkennt da nicht den tiefsten Atemzug des Schillerschen Denkens? Es be stätigt sich auch hier, daß der Dichter, in der generischen Bedeutung dieses Wortes, es immer, wenn auch oft unbewußt, mit der Wahrheit hält, oder wie Willmann es einmal ausdrückte: „Der echte Dichter kann dem Unechten beirrender Zeitströmungen nie ganz verfallen. Die Musen sind die Töchter der Mnemosyne, der weihevollen Erinnerung, die auch ein pietätloses Zeitalter nicht entwurzeln kann/") Die Annäherung unserer Dichtung an die christliche Wahrheit beruht also auf einem Gesetz innerer Verwandtschaft. Unsere Klassiker haben ihr in allgemeinster Weise durch ihre Wiederaufnahme der idealen Prin zipien und der zum Teil unbewußten, fast instinktiven Ablehnung des einseitig subjektivistischen Idealismus vorgearbeitet. Die Romantik hat dann dieses Verhältnis durch ihre Schwärmerei für ein ideales Mittelalter , als einer Zeit des konsequent und praktisch' in Kunst, Dichtung und Leben ausgeprägten Christentums konkreter gestaltet. Aber sie war im tiefsten Grunde diesem mittelalterlichen Geist entgegengesetzt und fühlte sich daher nach dem Gesetz der Anziehungskraft des Ungleichartigen ge trieben, eben in jener objektiven Welt des Glaubens und einer konkreten Symbolik eine Ergänzung und Beruhigung zu finden für ihre indivi dualistische und subjektivistische Lebensstimmung. Auch Goethe hatte es ja zur Natur gezogen, weil ihm diese feste und sichere Gesetzmäßigkeit Ruhe und Beschwichtigung seines stürmenden Gefühls verhieß. So war denn wohl aus einem ästhetisch-seelischen Bedürfnis heraus eine machtvolle Anregung gegeben, aber als gerade von denjenigen, die den Mut gehabt hatten, „den letzten Schritt in der Anerkennung der Wahrheit getrost daran zu setzen" (Schlegel), das Ersehnte in die Erscheinung hätte geführt werden sollen, da war die künstlerische Kraft gebrochen oder viel mehr durch die Gewalt der neuen Gesinnung mit so viel religiösem und sittlichem Pathos vermengt, daß ein ästhetisches Beherrschen dieser neuen Lebensmächte unmöglich wurde. Jedoch der Gedanke einer Poesie, die nicht bloß die christliche Lebensstimmung, sondern die objektive Welt der christlichen Offenbarungstatsachen, mit anderen Worten, nicht nur 1) Geschichte des Idealismus, 3. Bd., S. 609, Braunschweig 1897.