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SS Theologie und Dichtkunst größten Bedeutung für die Pflege des religiösen Lebens und damit indirekt auch für die Kunst und Dichtung werden. Alles religiös künstlerische Schaffen beruht auf dem Erlebnis. Ein religiöser Schriftsteller, dem es gelingt, die Menschen für die religiösen Wahrheiten der Offenbarung zu begeistern und diese mit psychologischer Kunst dem seelischen Verständnis so nahe zu bringen, daß der Mensch bereit ist, ihre Bewährung auch in der Tat zu versuchen, ein solcher Schriftsteller würde, indem er die Menschen besser, ernster, sittlicher — und mit einem Wort religiös macht, auch alles, was von ihnen ausgeht, mit diesem Geiste erfüllen. „Der persönliche Charakter des Schriftstellers bringt seine Bedeutung beim Publikum hervor, nicht die Künste seines Talentes", sagt Goethe, und Schiller faßt den gleichen Gedanken noch präziser: „Kein noch so großes Talent kann dem ein zelnen Kunstwerk verleihen, was dem Schöpfer desselben gebricht, und Mängel, die aus dieser Quelle entspringen, kann selbst die Feile nicht wegnehmen." Auch die Feile des Theologen wird da nichts bessern können, wo schon das Verhältnis des religiösen Dichters zu seinem Werk kein solches ist, das aus der Tiefe der persönlichen religiösen Erfahrung stammt. Auch Meyenberg ist dieser Gedanke nicht fremd, ja man darf ihn sogar vielleicht den Grundgedanken seines ganzen Buches nennen: „Werdet", so lesen wir darin, „erst volle, innerlich schöne, harmonische Menschen, dann werden aus dieser inneren Schönheit Und Harmonie, aus Geist, Talent und Genialität wie von selbst Kultur, Kunst und schöne Literatur erblühn." Das ist ein kernhafter, lebendiger und lebenerweckender Gedanke. Er beweist, daß in dem Menschen Meyenberg ein gerades und sicheres Gefühl lebt für das, worauf es hier ankommt. Aber dieses Gefühl vermag sich wie so oft bei Meyenberg dem Theologen gegenüber nicht fest und beherrschend durchzusetzen. Kaum hat jener einen solchen Gedanken ausgesprochen, sofort erhebt sich dieser und trägt seine „Linien ein", und siehe da, das Bild wird steif, eckig, manieriert, unwahr! Diesmal wurde er auf Abwege geführt durch einen Gedanken Lienhards, mit dem er sich auseinandersetzte. Lienhard spricht in seinen „Wegen nach Weimar" in zwei Aufsätzen „Von Kant zu Schiller" und „Von Kant zu Goethe" von der Klärung des Dichtergemütes durch die Philosophie. Meyenberg gerät ob dieses Einflusses Kants sofort in Besorgnis. Wie könnte aus Kant für den katholischen Poeten je eine Klärung des Dichtergemütes möglich sein! Kant ist der „Philosoph des Protestantismus", für den katholischen