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IV. Theologie und Dichtkunst. LV^ie es nun mit solchen mehr formallogisch-korrekten, als innerlich wahren Ideen zu gehen pflegt: sie werden nicht bloß rein rational schnell ausgegriffen, sondern auch in gleicher Einseitigkeit fortgeführt. Und so müssen wir neuestens erleben, Theologie und Dichtkunst in eine Verbindung gebracht zu sehen, die weder der einen noch der anderen wesentlichen Gewinn eintragen wird. Wir haben hier nur mit verwandelter Dekoration die Wiederholung eines Schauspieles, dessen Zeugen wir erst vor beinahe zwei Jahrzehnten gewesen sind. Damals in der ersten Periode des Realismus und späteren Naturalismus, als die Vertreter des „roman experimental" ihre überzeugtesten Manifeste schrieben, war über die Poeten ein wissenschaftlicher Rausch gekommen. Man lebte in dem Wahn, die Wissenschaft könne dem Dichter das Auge schärfen, ja die ungeheure Konsequenz ihrer Analysen selber sei ein poetisches Element, dessen sich der Dichter gewissermaßen durch eine An wendung ähnlicher Methoden bemächtigen könne. Und so gings an ein geschäftiges Beobachten, Zählen, Notieren, Registrieren, und uneingedenk der Goetheschen Erkenntnis: „Geheimnisvoll am lichten Tag läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben, und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag, das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben" glaubte man ganz naiv auf diese Weise der Poesie eine Eroberung zu machen. Die Fetzen dieses ungeheuren Irrtums schleifen heute längst als überwundene Hüllen im Staube. Unsere Dichter wissen: Nicht die Geschichtswissenschaft, sondern die Geschichte als ein immer neu zu Erlebendes, nicht die Naturwissenschaft, sondern die Natur als ein ewig Lebendiges ist und bleibt ihres Dichtens allezeit begeisternd rauschende Hippokrene. Auch die Theologie ist Wissenschaft, ist intellektualistisches Zer legen der menschlich-religiösen Erfahrung hinsichtlich der Ofsenbarungs- 3*