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26 Ultraschriftsteller schaffensfroher und jugendfrischer. Hier, wo an die Stelle begeisterter Kraftentfaltung und tatenfroher Lebensfülle Mißgunst, Hader und Bitter keit treten, sehen wir die in der Einheit des persönlichen Bewußtseins wurzelnde Zuversicht gelähmt, die Sammlung innerer Kräfte in Ver wirrung gebracht und aufgelöst; die schöne Ruhe eines harmonisch spie gelnden Innern ist aufgehoben, und es sind zum großen Teil Zerrbilder, die aus solcher Wiederspiegelung hervorgehen. Hier liegt der tiefere Grund für das Unbefriedigende unserer heu tigen Dichtung. Mag es auch dem einzelnen, der sich bewußt von dem allgemeinen Treiben fernhält, glücken, ein reines Produkt künst lerischen Fleißes hervorzubringen, so bezahlt er diese Isolierung doch mit dem Mangel an lebendiger Wechselwirkung zwischen seiner Kunst und der Breite des Volkslebens — und dies vor allem ist es, woran unsere ganze zeitgenössische Literatur — das Theater eingeschlossen — krankt. Werfen wir nach dieser allgemeinen Betrachtung einen Blick auf einen Ausschnitt aus dem Ganzen des nationalen Literaturschaffens, ich meine auf die literarischen Bemühungen der deutschen Katholiken, so werden wir die schmerzliche Beobachtung machen, daß sich hier trotz günstiger innerer Bedingungen die allgemeine Lage durch eine neuerliche Verwickelung der Verhältnisse noch schwieriger gestaltet. Zu Anfang des Jahres 1899 glaubte ich schreiben zu dürfen: „Die Kulturkampfgesinnung des deutschen Volkes hat seit dem Jahre 1887 hüben wie drüben unverkennbar das verloren, was sie ehemals für die Pflege künstlerischer Neigungen so hinderlich machte: die tiefgehende Verbitterung und die Inanspruchnahme eines jeden einzelnen in seiner ganzen Persönlichkeit. Die Kräfte, die damals fast ohne Ausnahme für eine Sache dienstbar gemacht werden mußten, sind heute freier, die Begabungen vermögen sich, da der Kampf in ruhiger und geordneter Weise geführt wird, vielseitiger und sorgloser zu entwickeln, der der Wissenschaft ergebene einzelne darf sich beruhigten und gesammelten Geistes auf seiner Studierstube abschließen, und vor allem ist dem Künstler die von jeder Verbitterung freie, überlegene, weihevolle Stimmung des ästhetisch Schauenden wieder ermöglicht."^) Wie sieht es heute mit dieser Stimmung aus? Ich mache kein Hehl aus meiner Überzeugung, daß wir auf dem besten Wege sind, 1) Die literarischen Aufgaben der deutschen Katholiken, Mainz 1899, S. 2.