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HI. Was eine Literatur bedeutet. die literarische Produktion zu einem Erwerbszweig und die Herstellung und Verbreitung von Büchern zu einer kapitalistischen Angelegenheit geworden ist, hat der Begriff der Literatur eine tiefgehende Änderung erfahren. Man frage die Welt der Lesenden, was sie unter Literatur verstehen, und die Antwort wird fast überall die gleiche sein: Literatur ist das, was zum Zweck der Unterhaltung und Belehrung an Büchern, Theaterstücken, geschichtlichen Darstellungen und ähnlichem jahr aus jahrein hervorgebracht wird. Diese Ausfassung konnte sich um so leichter herausbilden, als sich das Schassen unserer Dichter besonders unter der Herrschaft des Bürgertums den größeren Aufgaben und Stossen entzogen sah. Mit dem Hereinbrechen der neuen sozialen Verhältnisse verlor es immer mehr die Fühlung auch mit der Wirklichkeit des Volkslebens und schränkte sich einseitig in den engen Kreis individueller Erfahrungen der guten oder oft auch schlechten Gesellschaft ein. Es ist klar, daß damit die Literatur ihren nationalen Charakter verlieren, sich zu einer Literatur für Stände, einzelne Klassen, Gruppen differenzieren und so in endloser Zersplitterung jede nachhaltigere Wirkung einbüßen mußte. Dennoch ist bei vielen das Gefühl für einen anderen Zustand der Dinge lebendig geblieben. Schon die Betonung des Nationalen, das sich immer wieder regte und zeitweise sogar literarische Erfolge davontrug, sorgte dafür, daß das Bewußtsein einer in der Gemeinsamkeit des Volks lebens wurzelnden Kunst und Poesie nicht ausstarb. Aber die nationalen Aufgaben bilden heute nur einen Bruchteil der Sorgen, mit denen der mo derne Mensch sich belastet fühlt: seine tieferen Bedürfnisse bleiben durch sie unbefriedigt. Wohl hat die bürgerliche Dichtung sich auch den sozialen Fragen und Verhältnissen zugewandt, aber selbst hier nur von außen. Sie beschrieb und stellte dar, was man in einer gutbeobachteten Welt, der man nicht selber angehört, beschreiben und darstellen kann; aber die gab ihren