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Ult besonderer Nrrücbsrcbtlgung der Anthropologie und Ethnologie. Begründet von Karl Andree. In Verbindung mit Fachmännern herausgcgcben von vr. Richard Kiepert. 1' n n 11 s <ti m o i n Jährlich 2 Bände L 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen nnd Postanstalten 1 8<8 l / V znm Preise von 12 Atark xro Band zu beziehen. Eine Reise durch Mingrelien. (Nach dem Französischen der Madame Carla Serena.) Madame Carla Serena veröffentlicht im „Tour du Monde" eine Reihe anziehender Schilderungen des Kaukasus- Landes, das Ergebniß einer in den Jahren 1876 bis 1878 ausgeführten Reise. Seitdem die neue Aera den Kaukasus für Reisende zugänglicher gemacht hat, ist für seine Er forschung in geographischer und besonders auch in ethnogra phischer Beziehung verhältuißmäßig viel gcthan worden; trotzdem aber und trotz des hohen wissenschaftlichen Wertstes eines Theiles der schon vorhandenen einschlägigen Literatur — wir nennen darunter in erster Linie Radde's.treffliche Arbeiten — ist, durch die Natur des Landes und durch die buntscheckige Zusammensetzung seiner Bevölkerung bedingt, unsere Kenntniß der heutigen russischen Statthalterschaft Kaukasien immer noch eine ziemlich lückenhafte. Und wenn es voraussichtlich auch noch lange dauern wird, bis die alles nivcllirende europäische Kultur auf dem weiten Umwege über Rußland bis in die entlegenen Thäler und Schluchten des Kaukasus dringt nnd hier ihren Einfluß geltend macht, so muß doch jede neue Mittheilung über die ethnographi schen Verhältnisse dieses Gebietes um so freudiger begrüßt werden, als ja schließlich die Zeit doch nicht ausblciben kann, wo die ursprüngliche Physiognomie des Lebens und der Sitten jener Bergvölker durch den dauernden Kontakt mit dem fremden Elemente eine wesentliche Veränderung erleiden wird. Die interessanten Schilderungen, die Ma dame Serena uns darbictet, sind nicht nur aus flüchtigen Rciseciudrückcu zusammengcstcllt; durch längere Aufenthalte in den Hauptorten des Landes, die sie zu Ausgangspunkten Globus XI.I. Nr. 1. für ihre mannigfachen weiteren Touren nahm, sowie durch den daraus sich ergebenden Verkehr in den gastfreien Häusern einheimischer Familien fand sie Gelegenheit zu manchen ein gehenderen Beobachtungen, gewann sie vor allen Dingen cm richtigeres Verständniß für manche Erscheinung des Volks lebens, als dies dem eigentlichen Touristen möglich ist. Wir geben nachstehend einige Auszüge aus ihren Aufzeichnungen über Mingrelien, das letzte, erst im Jahre 1867 in russischen Besitz übergcgangene Stück des Kaukasus-Landes. Die Distriktsstadt Novo-Senaki, in der Madame Serena, von Kutais kommend, für die Zeit ihres Verweilens in Mingrelien ihr Hauptquartier anfschlng, ist eine russische Schöpfung der letzten Jahre. An der von Poti nach Tiflis führenden Eisenbahn in entzückender Gegend gelegen, zählt sie heute erst wenige hundert Einwohner; das rege Leben nnd Treiben aber, das in den Straßen ihres Bazars herrscht, läßt ein baldiges und schnelles Emporblühcn des kleinen Ortes voranssehen. Das europäische Element ist durch die Familicu der russischen Rcgicrungsbeamten vertreten, der größte Theil der Einwohner aber ans der etwa 7 Werst nördlicher belegenen alten Stadt, Staro-Scnaki, hierher übcrgcsiedclt. Verheerende Ucberschwemmuugen, ohne Zweifel eine Folge der unsinnigen Ausrottung des Waldes in eini gen Theilen des Landes, hatten die alte, am Tcchnr gelegene Stadt schon zn wiederholten Malen in den letzten Jahrzehn ten hcimgesncht; der Mai 1869 brachte aber eine so furcht bare Verwüstung, daß man beschloß, den fast ganz in Trüm mern liegenden Ort nicht wieder aufzubaueu. Staro-Se- 1